Schöner debattieren mit Hirn und Herz

Diskussionskultur

Meine Kolumnenbeiträge zur Erhöhung der Rundfunkgebühr, zur Sorgfalts-Verantwortung von Journalisten und Redaktionen, zum Gendern in der Pressearbeit oder zu Kommunikationsproblemen bei der Deutschen Bahn haben einige Reaktionen hervorgerufen. Das hat mich insbesondere beim Thema Gendern nicht überrascht. Hier geht es ja nicht nur um sprachliches Finetuning, sondern auch um die jeweilige persönliche Betroffenheit.

Die Rückmeldungen und Kommentare zu meinen Beiträgen enthielten zum Teil Zustimmung und zum Teil Widerspruch. Hier und da entspann sich auch eine Diskussion unter Teilnehmern verschiedener Foren und Kommunikationsformate auf Linkedin, Xing oder Twitter.

Wenn publizierte Beiträge zu öffentlichen Diskussionen anregen, ist das gut. Darin liegt ja durchaus ein Mehrwert von Social Media – also von Medien, die eine breit angelegte Kommunikation und den Austausch untereinander fördern. Doch leider artet der Austausch unterschiedlicher Meinungen in den sozialen Medien oft in einen ziemlich unsozialen Kampf um die Wahrheit aus, in eine Art semantische und verbale Kriegsführung. Verständlich, dass die Journalistin und Moderatorin Dunja Hayali schon vor langer Zeit (weit vor ihrem Bericht über die Anti-Masken-Corona-Verschwörungstheoretiker-Demonstration in Berlin) in einem Interview für „Diskussionsabrüstungsverhandlungen“ plädierte.

Dauerndes Zuspitzen lässt die Hemmschwellen sinken

Woher kommt der Diskussionskrieg in den sozialen Medien? Der Journalist Martin Hoffmann sagt in einem Beitrag auf Twitter, dass sich Medien und Politik „über die Verrohung der Debatte, die Aufregungsspirale und das Abdriften des Sagbaren nach rechts“ beschweren, sie aber „selbst eine zentrale Rolle in dem ganzen Spiel (übernehmen) in der Hoffnung, davon zu profitieren.“ Da ist etwas dran. Denn so unterhaltsam manche Politikerrede und manche Zeitungsschlagzeile sein mag: Zuspitzen im Sinne des Gehört-Werdens führt auf die Dauer dazu, dass Zuhörer und Zuschauer abstumpfen, dass Meinung in Verunglimpfung ausarten kann und dass allgemein die sprachliche Hemmschwelle deutlich sinkt.

Zweites Problem der Zuspitzung ist, dass objektive Betrachtung und subjektive Bewertung verschwimmen. Ein Kollege hat in einem gemeinsamen Seminar einmal die Erfolgskriterien für Pressearbeit so zusammengefasst: „In die Medien kommt man durch Zuspitzung“. Dieses Rezept haben seitdem natürlich viele aufgegriffen: Von A wie AfD bis Z wie Ziemiak wird zugespitzt und gerne auch überspitzt. Nicht nur in der Politik, auch in Wirtschaft und Gesellschaft, in sogenannten sozialen Medien ebenso wie in den viel zu vielen klassischen Talkshows. Auch Medien spitzen gerne zu – denn die schrill-bunt-knallige Schlagzeile verkauft sich besser als die vielleicht blass-dröge. Wenn mir mein Smartphone auf der Startseite die ersten vier News anbietet, kann ich heute kaum noch unterscheiden, welche Headline vom Boulevard stammt und welche von der einst seriösen Tageszeitung.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Natürlich ist die Entwicklung der Zeitungssprache nicht der alleinige Verursacher heutiger Hasstiraden in Posts und Facebook-Kommentaren. Aber augenscheinlich laufen die Zunahme von hemmungslosem Niedermachen, das journalistische Zuspitzen und die Vereinfachung komplexer politischer und gesellschaftlicher Vorgänge in wenige Sekunden lange Talkshow-Phrasen parallel.

Von der Schwierigkeit, Meinungen und Tatsachen zu trennen

Eine „Spektakelpolarisierung“ nennt der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen solcherlei Ausschmückung. Man müsse für eine Sprache der Mäßigung werben und wieder miteinander ins Gespräch und in einen Austausch von Meinungen kommen. „Damit das Miteinander-Reden gelingt, braucht es den Abschied von absoluten Wahrheitsvorstellungen.“

Und da ist – wie oben schon geschrieben – das zweite Problem: Sprache ist immer zu trennen in Objektives und Subjektives, in Tatsachen und Meinungen, in Beschreibung und Bewertung, in Information und Emotion. Wo die Kommentarfunktion unter den Artikeln echte Meinungen enthält – die kann von der vollkommenen Zustimmung bis zur erbitterten Ablehnung reichen – ist das okay und gewollt. Zum Problem wird dieser virtuelle Ad-hoc-Austausch immer wieder dort, wo Meinung und Wahrheit durcheinandergebracht werden oder Personen und Positionen.

Der frühere Bundeskanzler und Zeit-Herausgeber Helmut Schmidt hat in seinem letzten Buch über Internet und soziale Medien geschrieben: „Die vollständige Vernetzung aller mit allen führt zu Konsequenzen, die wir einstweilen noch nicht erahnen. Was das für die Zivilisation bedeutet, weiß ich nicht, wohl aber sehe ich deutlich, dass wir durch die neuen Kommunikationsmittel in eine Krise der Demokratie hineinlaufen können.“

Raus aus dem Dilemma: weniger ad-hoc, mehr Differenzierung

Natürlich gibt es jede Menge Vorschläge, wie dieser Krise der Demokratie zu begegnen sei. Zwei möchte ich hier wiedergeben. Der eine stammt von Medienwissenschaftler Pörksen: „Wer das Kommunikationsklima verbessern will, der muss das Zögern lernen.“ Hier geht es also darum, nicht sofort auf alles zu reagieren oder ad hoc zu handeln. Besser sei es, den „kommentierenden Sofortismus“ einzuschränken. Auf Deutsch: Erst das Hirn einschalten! Dazu gehört auch, einen Sachverhalt differenziert zu betrachten, statt alternative Fakten ungehemmt zur eigenen Wahrheit zu erklären und diese dann weiter skandalisierend zu teilen.

Den zweiten Vorschlag entnehme ich einem Zeit-Interview mit der Sängerin Rosanne Cash. Auf die Frage „Was fehlt unserer Gesellschaft?“ antwortete sie: „Respekt“. Man kann vieles kritisieren, anderer Meinung sein, eine Überzeugung nicht teilen oder das Handeln eines anderen einfach nur doof finden. Das ist völlig okay und wesentlich einfacher zu ertragen, wenn wir dabei den Respekt behalten – vor jedem Menschen und seiner individuellen Meinung.

 

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