"E-Sports gehört auf die Titelblätter"

Fifa, Dota und LoL

1,3 Milliarden Euro. So hoch soll der weltweite Umsatz im E-Sport 2020 sein, wie eine Deloitte-Studie ermittelt. Für Deutschland würde das einen Jahresumsatz von 130 Millionen Euro bedeuten. Schon heute ist Deutschland beim E-Sport-Umsatz die weltweite Nummer vier. Die wichtigsten Erlösquellen: Sponsoring und Werbung. E-Sport ist angesagt, nicht nur bei Gamern, sondern vor allem bei Vermarktern. Die größte Popularität genießen Dota 2, League of Legends, Fifa und Co. unter jungen, gut ausgebildeten Männern, einer Zuschauerschaft, die laut Deloitte nur noch schwer über klassische Kanäle zu erreichen ist.

Wüstenrot, Mercedes, DHL, Tchibo, Intel und Vodafone zählen zum Kreis der Sponsoren. E-Sport hat es sogar unter die Studiengänge einiger Hochschulen geschafft. In Mittweida studieren Gamer „E-Sports and Games Marketing“, an der Hochschule für angewandtes Management in Ismaning „E-Sports Management“. Auch die Techniker Krankenkasse springt auf den E-Sport-Zug auf und kooperiert mit der ESL, der Electronic Sports League. „Damit junge Menschen für gesundheitsbewusstes Verhalten sensibilisiert werden, müssen wir mit unserer Kommunikation im Lebensumfeld dieser Menschen mit relevanten Inhalten stattfinden“, sagt Bruno Kollerst, Leiter der Abteilung Werbung und HR-Marketing der Techniker Krankenkasse (TK). Es sei Teil der Aufgabe der TK, Versicherte bei der gesunden Gestaltung ihres Alltags zu unterstützen. „Das können wir, indem wir am Beispiel von professionellen E-Sportlern zeigen, wie ein gesundheitsbewusster Umgang mit Video- und Computerspielen aussieht.“

25 Prozent kennen E-Sports nicht

Auch der DOSB ist der Meinung, „dass virtuelle Sportarten und eGaming als Teil einer modernen Jugend- und Alltagskultur in der Gesellschaft angekommen sind“, so Michael Schirp, stellvertretender Ressortleiter Medien. Laut Deloitte kennen 48 Prozent der Deutschen den Begriff und die Bedeutung von E-Sport, ein Anstieg von 19 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Auch 25 Prozent der über 65-Jährigen kennen E-Sport. Demgegenüber hat ein Viertel noch nie etwas von E-Sport gehört. Woran liegt das? „Das liegt vor allem dem Generationscut zugrunde“, meint Christopher Flato, Head of PR der ESL. „Wir sehen bei E-Sports Enthusiasten und Fans meist mit einer maximalen Altersgrenze von 40 bis 45. Ab 45 kann man von der Generation 0 sprechen.“ Laut Statista waren Ende 2017 rund 50 Prozent der Deutschen älter als 40 Jahre. „Demzufolge merken wir, dass gerade in den Mainstream-Medien weniger über E-Sport berichtet wird.“ Dennoch sei der E-Sport-Journalismus in den letzten Jahren quantitativ gewachsen, wie Hans Jagnow, Präsident des E-Sport-Bund-Deutschland, anmerkt. Inzwischen gebe es eigene TV-Sender für E-Sport und auch die Öffentlich-Rechtlichen berichteten beispielsweise in der Sportschau über E-Sport. Doch: „E-Sport ist inzwischen so groß und populär, dass es in die Hauptsendezeit und aufs Titelblatt gehört. Auch im Print.“

Keine Anerkennung als Sport

Dass E-Sport anders als Fußball in der Tagesschau eher Ausnahme als Regel ist, dürfte auch mit folgendem Problem zusammenhängen. Offiziell ist der E-Sport kein Sport. Zwar stützen sich E-Sport-Verfechter auf die Vereinbarung im Koalitionsvertrag der Bundesregierung, und blicken der Anerkennung als Sport zuversichtlich entgegen. Doch der Deutsche Olympische Sportbund winkt ab. „Absichtserklärungen im politischen Tagesgeschäft spielen bei unseren Betrachtungen keine Rolle, der DOSB handelt vor dem Hintergrund des Grundgesetzes als Nichtregierungsorganisation“, so Michael Schirp. Als eingetragener Verein sollte der DOSB entscheiden, wer Mitglied der Organisationen werden könne und wer nicht. Nach der derzeit gültigen Aufnahmeordnung sei ein „motorisches sportartbestimmendes Element“ zwingend. Schach gelte beispielsweise nur noch als Sportart, da es Bestandsschutz genieße. Der Verband war Mitglied im früheren Deutschen Sportbund, der 2006 mit dem Nationalen Olympischen Komitee zum DOSB fusionierte.

Anders als beim Schach eröffne sich beim E-Sport „ein ganzes Bündel an Eigenschaften, die das wettkampfmäßige Spielen von PC- und Konsolentiteln vom Sport abgrenzen“. Schirp stellt die Frage nach den ethischen Normen, die den Spielen zugrunde liegen. „Wie transparent und demokratisch werden Spielregeln festgelegt und verändert? Wie groß ist der Anteil an Eigenmotorik?“ Und diene E-Sport dem Gemeinwohl oder gehe es nur um „wirtschaftliche Zielsetzungen“. Schirp vermutet letzteres. „Wenn die Games-Industrie nicht auf den smarten Gedanken gekommen wäre, Akzeptanz und Vermarktbarkeit ihrer Produkte durch das Gütesiegel E-Sport aufzuwerten, würden wir jetzt gar nicht darüber reden.“

E-Sports ist kein normales Gaming

Flato widerspricht. „Wir grenzen E-Sport vorm normalen Gaming, dem normalen Spielbetrieb ab, denn es ist mehr als das. Es ist der wettbewerbsorientierte Streit.” Das könne nicht mit einem Spiel gleichgesetzt werden. „Diese Profi-Gamer trainieren den ganzen Tag, haben Ausgleichssport, machen Analysearbeit und Teambuilding.“ Die Anerkennung als Sport könne der Bekanntheit und Akzeptanz des E-Sport einen Schub verleihen, denn der Sportbegriff biete großes Potenzial, sich weiterzuentwickeln. Andererseits setze sich E-Sport auch ohne Anerkennung mehr und mehr durch, „eben weil er Menschen verbindet. Mann, Frau, jung, alt, die Herkunft. Im E-Sport zählt nur, was du kannst.“ Vor diesem Hintergrund blickt Flato der Anerkennung des E-Sport gelassen entgegen. „Wir erreichen irgendwann den Punkt, bei dem Perception-vs-Reality greift: Wenn eine komplette junge Generation ein Fifa, Counter-Strike oder Dota als Sport empfindet, wird es ein Sport.“ Eine Definition von Sport sei letztlich eine gesellschaftliche und sozioökonomische.

Der ESBD begrüßt die Debatte. Sie fördere das Verständnis von E-Sport in der Breite. „Die Diskussion um die Anerkennung von E-Sport bildet das Selbstbewusstsein einer jungen Sportbewegung ab, der immerhin in Deutschland mehr als drei Millionen Menschen angehören.“ Ziel des Verbandes sei es, über das Entertainment hinaus zu kommunizieren. Es gehe um die Geschichten hinter den Menschen.

15 Millionen tägliche Twitch-User

Auch ohne Sportbegriff brauche sich der E-Sport nicht verstecken und sei schon lange raus aus der Nische, sagt Flato. „Wir verzeichnen mittlerweile Zuschauer- und Communityzahlen, die wünscht sich manch traditioneller Sport.“ Die Deloitte-Studie belegt Flatos Einschätzung. E-Sport sei vor allem auf Plattformen wie Twitch, Smashcast oder YouTube-Gaming präsent. Weltweit nutzten 15 Millionen Menschen Twitch täglich, 50 Prozent davon wöchentlich mehr als 20 Stunden. 28 Prozent der Befragten wünschten sich E-Sport darüber hinaus auch im linearen TV zu sehen. Hans Jagnow bestätigt dieses Ergebnis. „Akteure im E-Sport erhoffen sich von medialen Formaten im Mainstream, dass Sie einen Platz in den etablierten Formaten erhalten.“ Der bleibt allerdings nur wenigen vorbehalten, wie dem 16-jährigen Kyle “Bugha” Giersdorf, der die erste Fortnite-Meisterschaft in New York für sich entschied und den WM-Titel im Juli nach Deutschland holte. Die meisten Medien, die über E-Sport berichten wollen gingen laut Jagnow aber den entgegengesetzten Weg. „Sie wollen ihr Digitalangebot stärken und suchen Kooperationen für Plattformen wie Youtube oder Twitch und bleiben nur digital.“ Diese Differenz müsse aufgelöst werden.

Doch obwohl der E-Sport durch Events wie in der Lanxess-Arena in Köln mit 15.000 Zuschauern auch im analogen Raum präsent ist, ist er für viele nicht sichtbar. Grund dafür dürfte auch die Komplexität sein. Laut Deloitte sei E-Sport besonders erklärungsbedürftig. Anfänger müssten inhaltlich im TV abgeholt werden, „Heavy User“ würden sich wiederum langweilen. Daher fokussierten sich viele Medien auf Onlineangebote, die den spezifischen Interessen gerechter werden.

E-Sport-Titel haben eine hohe Einstiegshürde

Die ESL betreibt Aufklärung, um den E-Sport weiter voran zu bringen. „Wenn ich mir Sportarten wie Curling oder einen Triathlon anschaue, ist auch nicht auf den ersten Blick verständlich, was da alles passiert“, sagt Christopher Flato. Doch er räumt ein: „Natürlich haben einige E-Sport-Titel wie LoL, Dota oder Starcraft eine sehr große Einstiegshürde.“ Wer diese Spiele nicht selbst gespielt habe, werde sicher nicht zum Zuschauer. „Wir sind immer hinterher, mit Universitäten, Elternverbänden oder der USK Kampagnen zu fahren und Workshops zu veranstalten, unter anderem, damit auch Eltern einen Einblick in die Szene bekommen.“

Trotz aller kommunikativen Herausforderungen sehen Prognosen die Szene weiter im Aufwind. Schon heute liegen die Marketingbudgets großer Unternehmen im deutschsprachigen Bereich bei 500.000 bis einer Million Euro jährlich, wie Branchenkreise berichten. Laut dem Global E-Sports Market Report des Datenanalyseunternehmens Newzoo werden die weltweiten Zuschauerzahlen noch in diesem Jahr die Marke von 450 Millionen Zuschauern knacken. Zum Vergleich: Den Sieg der Deutschen Fußballnationalmannschaft bei der WM 2014 gegen Argentinien verfolgten mehr als eine Milliarde Menschen. „An König Fußball knabbern wir noch nicht ganz. Aber man muss ja auch noch Ziele im Leben haben“, so Flato.

 

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