Betrachtet ein Astronaut von seinem Raumschiff aus die Erdkugel, so erblickt er als Zeichen des dortigen Lebens die erleuchteten Punkte der nächtlichen Städte. Mit viel Zoom erkennt er außerdem wichtige Verkehrsadern. Was jedoch selbst ein Astronaut nicht sehen kann, ist die alles umspannende Kommunikation der Erdenbürger untereinander.
Ich wollte mehr über das Kommunizieren herausfinden, und so reiste ich los, um in 13 Ländern der Welt diesen verbindenden Puls zu spüren, der die gegenwärtige Transformation vorantreibt. Es ist der Austausch der sich weltweit vernetzenden Menschheit in ihrem zunehmend digital geprägten Lebensalltag in Form von Informationen. Und es sind der stets neue Content und Daten als Futter für die immer mächtiger werdenden Algorithmen.
Auf meinem Weg um die Welt – drei Viertel meiner Stationen zählen zu den größten Metropolregionen – stieß ich häufig auf ein Phänomen, das diesen verbindenden Achsen widerspricht: Ich beobachtete den massiven Rückzug von Menschen in ihre eigene Informationsblase und die geringe Bereitschaft, sich mit Gegensätzlichem auseinanderzusetzen.
Überall auf der Welt leben Menschen in solchen Blasen, die weit über den auf Algorithmen fixierten Begriff der „Filter Bubble“ hinausgehen. In Brasilien etwa traf ich arme Favela-Bewohner. Deren Behausungen verfügen oftmals über keinen Wasseranschluss, stattdessen jedoch – illegal angezapften Stromleitungen sei Dank – über Flachbildfernseher, aus denen sie sich mit Telenovelas dauerberieseln lassen. Diese Sendungen scheinen jedoch eher als Narkotikum denn als Aufstiegsanreiz zu wirken, wie ich auch in Mexiko beobachtete. Am Ende handelt es sich hier doch bloß um eine gefühlte Teilhabe an der Welt der Reichen und Schönen.
Die reale Welt bleibt zunehmend außen vor
Dennoch ist die Aufstiegshoffnung von Menschen generell eine zentrale Triebfeder für ihre Bereitschaft zur Weiterentwicklung. Ihr Verhalten wird durch Kommunikation gezielt beeinflusst. In Indien beschrieb mir der CEO des Ablegers eines international tätigen Unternehmens: „Unsere Zielgruppe möchte Teil der großen weiten Welt sein. Deshalb kauft sie westliche Konsumprodukte.“
Statusorientierte Anschaffungen, auch wenn der Kunde diese eigentlich gar nicht benötigt – es geht ihm, frei nach dem französischen Soziologen Pierre Bourdieu, um das Nachleben des Lebensstils höherer Schichten. Dieses „Show off“-Verhalten ist an vielen Orten der Welt zu beobachten. Am extremsten fiel es mir im Libanon auf.
Hinweise auf südkoreanischen Bürgersteigen holen den Smartphone-Nutzer zurück in die reale Welt. (c) Georg Milde
In den Industrieländern von Großbritannien bis Japan erlebte ich immer wieder aufs Neue, wie sich die Menschen mit Streamingdiensten, Onlineshopping, Spielekonsolen und Social-Media-Identitäten in ihren jeweiligen Blasen bewegen. Ich bin heute mehr denn je überzeugt: Personifizierte Kaufempfehlungen und ähnliche Annehmlichkeiten werden in den kommenden Jahren ergänzt werden durch zusätzliche Virtual-Reality-Systeme, die den individuellen Vorlieben immer besser angepasst sind. Und außen vor bleibt die reale Welt …
Warnhinweise auf den Gehwegen
Ich denke an meine Ankunft in New York. Kurz nach der Landung kam ich ins Gespräch mit einer Amerikanerin. Die Managerin beklagte, dass die Debatten in den sozialen Netzwerken viel rauer geworden seien. „Da posten nur noch extrem Linke gegen extrem Rechte“, meinte sie und sieht als eine der Ursachen die Wahl von Donald Trump zum Präsidenten ihres Heimatlands: „Die unterschiedlichen Kreise bleiben zunehmend unter sich.“
Sogar unter Nachbarn würden sich jene mit gegenläufiger Meinung eher meiden. Sie selbst tausche sich daher lieber nur noch mit engeren Kontakten aus. Doch wer nur mit ähnlich denkenden Mitmenschen kommuniziert, fühlt sich von diesen in seiner Meinung bestätigt, bis er diese Meinung gar für die Mehrheitsmeinung innerhalb der Gesellschaft hält.
In Tokio erlebte ich, wie sich solche geschlossenen Räume sichtbar manifestieren: In der sogenannten Electric City begeben sich die vielen Manga-Fans auch äußerlich in die Traumwelten der Rollenspiele. Hunderttausende sogenannte Hikikomori ziehen sich über Jahre hinweg in ihre Wohnung zurück, um dem immensen Erwartungsdruck der japanischen Gesellschaft und deren hierarchischen Traditionen zu entfliehen.
Als eindrückliches Symbol der Schnittstelle zwischen individueller Blase und äußerer Welt blieben mir die Warnhinweise auf den Bürgersteigen in Südkorea in Erinnerung. Kurz vor Kreuzungen bedeuten sie allen auf ihr Smartphone starrenden Fußgängern, dass sie nun wieder die möglichen Gefahren des Straßenverkehrs beachten sollen.
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