Explosion des Wissens: der Countdown läuft

Deutscher Preis für Onlinekommunikation

Bis zum Jahr 1900, schätzen Historiker, verdoppelte sich das Wissen der Menschheit im Durchschnitt etwa alle einhundert Jahre. Heute brauchen wir dafür nur noch etwa ein Jahr. Verdoppelt, verdoppelt, verdoppelt. Jahr für Jahr für Jahr.

Die Geschwindigkeit des Wissens- und Informationszuwachses steigt sogar weiter an, und zwar exponentiell: Forscher von IBM legten im Jahr 2016 dar, vor dem Durchbruch stehende Entwicklungen wie künstliche Intelligenz und das „Internet of Things“ dürften schon in sehr naher Zukunft eine wahre Informationsexplosion auslösen. Dann würde es nicht mehr Jahre oder gar Jahrhunderte dauern, bis das gemeinsame Wissen aller Menschen um jeweils einhundert Prozent steigt. Auch nicht Monate, Wochen oder Tage.

Sondern: elf bis zwölf Stunden.

Gewaltige Herausforderung – für alle

Falls sich diese Prognose als auch nur halbwegs zutreffend erweisen sollte, stehen wir vor einer gewaltigen Herausforderung – wir alle. Jeder einzelne Mensch, der beruflich oder privat auf der Höhe der Zeit bleiben möchte. Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft, die jeden einzelnen Tag brandneue Erkenntnisse berücksichtigen und Prozesse entwickeln müssen, diese neuen Erkenntnisse in Echtzeit miteinander zu verknüpfen. Lehrende, die Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen beibringen sollen, was als wissenschaftlich gesichert gilt – und was nicht.

Nicht zuletzt: Wissenschaftler, die gezwungen sein werden, buchstäblich rund um die Uhr auf dem Laufenden zu bleiben. Die aber auch die Ergebnisse ihrer Forschungen noch viel schneller und überzeugender in die Welt hinaus kommunizieren müssen. Der womöglich unmittelbar bevorstehende, ebenso erhoffte wie gefürchtete „Wissens-Tsunami“ ist vor allem auch eine Herkulesaufgabe für die zeitgemäße Kommunikation von Wissenschaft und Bildung.

Wissenschaftskommunikation hat Gegner

Das wird kein Selbstläufer, hat doch die Wissenschaft im Moment wohl mehr Gegner als je zuvor in den letzten einhundert Jahren: Der amtierende US-Präsident bezeichnet den menschengemachten Klimawandel öffentlich als “hoax” und scheint sich fast diebisch zu freuen, wenn er gelegentlichen Schneefall oder Frost als „Gegenbeweis“ zum wissenschaftlichen Konsens anführen kann. Der Chefredakteur der Welt-Gruppe, Ulf Poschardt, fragt (scheinheilig?), welche „Interessen“ die #Scientists4Future eigentlich verfolgen, wenn sie sich an die Seite der für Klimaschutz demonstrierenden Schüler stellen.

Die Homöopathie-Bewegung kapselt sich beharrlich von wissenschaftlicher Erkenntnis ab. Dank der Impfgegner gibt es wieder regelmäßig Masern in Deutschland, Tetanus in den USA. Dank islamischer Rechtsgutachten, die Impfkampagnen als westliche Verschwörung brandmarkten, gibt es wieder Polio in Nigeria, Pakistan und Somalia. Die Debatte um „Genfood“ wird leidenschaftlich, doch nicht immer sachlich geführt. Die Crispr-Entdecker warnen eindringlich vor Genom-Experimenten an Embryonen. Das Bildungswesen vieler Länder scheint eine evolutionäre Rolle rückwärts anzutreten und sich wieder aufzuteilen in jene, die viel lernen dürfen, und jene, die abgehängt werden. Umweltzerstörung und Artensterben gehen in vielen Teilen der Welt unvermindert weiter. Der medizinische Fortschritt ist nicht aufzuhalten, und doch sind Geißeln wie Krebs, HIV oder Alzheimer noch lange nicht besiegt.

dpok als Schaufenster für herausragende Projekte

Es gibt also jede Menge zu tun für die Wissenschaft und die Wissenschaftskommunikation – und große Herausforderungen bieten immer auch große Chancen. Die Möglichkeiten, digital und crossmedial Geschichten aus der Forschung zu erzählen und damit Millionen Menschen zu erreichen, zu informieren und vielleicht sogar zu begeistern, waren nie so gut wie jetzt.

Im vergangenen Jahr gewann das Helmholtz-Zentrum für Material- und Küstenforschung in Geesthacht für seine Kampagne „Uhrwerk Ozean“ den Deutschen Preis für Onlinekommunikation in der Kategorie Wissenschaft & Bildung. Wer sichert sich 2019 diesen renommierten Preis für die beste kommunikative Leistung aus Forschung und Lehre?

 

 

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