Das Schweigen der Sprecher

Warum Journalisten und PRler keine Freunde sind – Teil 1/5

Fast jeden Abend flimmern sie über die bundesdeutschen Bildschirme – die Faxe und Mails von Unternehmen, die in Verbrauchersendungen und politischen Magazinen eingeblendet und von einem anonymen Sprecher monoton verlesen werden. Noch seltsamer wirken die verwackelten Aufnahmen vom Firmenchef oder Pressesprecher, der vor den wartenden Mikrofonen davonläuft. Der Bürger fragt sich staunend: Was ist los in der deutschen Wirtschaft? Warum verweigern sich selbst namhafte Unternehmen dem Dialog mit der Presse? Warum hat kaum ein Firmenlenker oder zumindest sein Pressesprecher den Mumm, in der Öffentlichkeit sein Unternehmen oder sein Produkt zu verteidigen? Warum entschuldigt sich niemand für scheinbar offensichtliches Fehlverhalten und gelobt reumütig Besserung? Und warum geht fast nie ein gestandener Unternehmer in eine Fernseh-Talkshow und überlässt stattdessen den Wagenknechts, Lauterbachs und Trittins die große Bühne, wenn diese gegen die Auswüchse des Kapitalismus, schlechten Service und miserable Arbeitsbedingungen wettern?

Keine Frage: Etwas läuft gehörig schief in der Beziehung zwischen Medien und Unternehmen. Und eine Besserung ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Das Misstrauen hat eher zugenommen, das Schimpfen über den jeweils anderen auch. Das Verweigern von sogenannten O-Tönen und persönlichen Statements für Sendungen wie „Monitor“, „Panorama“ und „Akte 20.14“ ist da noch zu verschmerzen. Denn deren Zuschauer haben sich vermutlich bereits daran gewöhnt, dass die Welt der Wirtschaft, durch die mediale Brille betrachtet, alles anderes als rosarot, sondern eher tiefschwarz ist.

Woher kommt die Angst vor der Presse?

Und es gibt sie tatsächlich: die gierigen Banker, die windigen Handy-Verkäufer und die schlampigen Handwerksbetriebe. Aber wo bleiben in den Medien die vorbildlichen ehrbaren Kaufleute alten Schlags, die erfolgreichen Mittelständler und die innovativen Start-ups? Sie hätten durchaus spannende Geschichten zu erzählen. Wenn man sie denn ließe und, zugegeben, wenn sie es selbst denn täten. Denn für viele deutsche Unternehmen gilt noch immer: Keine Presse ist die beste Presse. Woher aber kommt die mediale Abstinenz der Wirtschaft? Warum entscheiden sich Unternehmer für ein Leben als kommunikative Einsiedler und schicken – wenn überhaupt – lieber ihre Pressesprecher und die Vertreter ihrer Verbände an die journalistische Front? 

Das Verhältnis von Journalisten und Unternehmern ähnelt der Liebesbeziehung eines alten Ehepaares, die sich nach einem frühen Sturm und Drang in den 50er und 60er Jahren  nach und nach und spätestens seit den 90er Jahren erheblich abgekühlt hat. Heute leben die beiden eher  neben- als miteinander und der eine (die Wirtschaft) ist vom anderen (den Medien) bitter enttäuscht, weil er sich missverstanden und betrogen fühlt. In dieser eisigen Atmosphäre rächt sich der verschmähte Liebhaber mit beleidigtem Schweigen. Dieses versucht der Journalist aufzubrechen – durch ständiges Nachfragen, beharrliche Provokationen und den Flirt mit den verhassten Nebenbuhlern aus den Kreisen der kritischen Wissenschaftler und engagierten Verbraucherschützer.

Nach wie vor sitzen die beiden an einem Tisch. Nicht zuletzt, weil sie sich nach wie vor brauchen und immer brauchen werden. Die Journalisten benötigen die Informationen aus der Wirtschaft wie das tägliche Brot, sie sind auf die vertraulichen Tipps ebenso angewiesen  wie auf den offenen Austausch über Trends und Themen. Die Unternehmer wiederum brauchen die Medien, weil nur diese glaubwürdig und kompetent die komplizierten  Botschaften der Unternehmen in die breite Öffentlichkeit transportieren können.  

Die Öffentlichkeit interessiert sich für Wirtschaftsthemen

Denn die hat in den vergangenen zehn, zwanzig Jahren ihr Interesse an Wirtschafsthemen entdeckt. Galt früher noch als Langweiler, wer beim Abendessen unter Freunden oder dem Stehempfang des Musikvereins über Sparbuchzinsen, Steuertricks und Managerkarrieren sprach, so ist heute der Austausch über Autorabatte, die Schnäppchen im Supermarkt und die jüngsten Skandale der Banker fast so geläufig wie das Reden über das Wetter. Das haben auch die Medien erkannt: Sie berichten heute sehr viel intensiver über Verbraucherthemen. Vor allem aber berichten sie sehr viel häufiger aus der Sicht des Verbrauchers.

Genau das bereitet vielen altgedienten Firmenlenkern so viel Ungemach. Sie fühlten sich früher vom Herrenclub der Wirtschaftsjournalisten verstanden und wertgeschätzt. Von deren Berichterstattung hatten sie außer Langeweile nicht viel zu befürchten. Seit zehn bis fünfzehn Jahren jedoch treffen sie auf einmal auf junge und kritische, aber keineswegs immer mit den Details der Gewinn- und Verlustrechnung vertraute Redakteure. Auf der Jagd nach der Exklusivgeschichte, der prickelnden Schlagzeile und der großen Enthüllung überschütten diese sie  mit unbequemen Fragen zu Verbraucherrechten, Frauenförderung und Umweltschutz. Und dabei wollte man doch nur mal eben einigen engagierten Schülern einen großzügigen Scheck für ihr neues Biotop überreichen und beim Foto-Termin etwas in der medialen Sonne glänzen.

Außerdem reicht es heute nicht mehr, einmal im Jahr zur Pressekonferenz einzuladen, dort die neuesten Erfolgszahlen zu verkünden und zu hoffen, fortan von der Journaille in Ruhe gelassen zu werden. Gerade große Konzerne oder Unternehmen in Krisensituationen haben es heute nahezu rund um die Uhr mit Medien aus aller Welt zu tun. Die sozialen Netzwerke und der Online-Journalismus haben das Tempo in der Kommunikation sogar noch einmal deutlich gesteigert.      

Weitere Artikel