Wieviel Vertrauen herrscht zwischen Journalisten und Kommunikatoren?

Sie ist arg gebeutelt, die schreibende Zunft. Die Verlage bauen Stellen ab und die Kostensparprogramme fordern ihren Tribut. Die verbliebenen Redakteure sind gestresst, leiden unter Zeitnot und Abgabedruck, versinken in zusätzlichen Aufgaben, kämpfen mit ökonomischen und diplomatischen Zwängen. Und was ist mit den wichtigsten Eigenschaften von Journalisten Sorgfalt, Mut, Neugier, kritische Distanz? Oder Augenmaß, Misstrauen, Rückgrat und Verweigerung, wie Wolf Schneider es sich in seinem Essay „Wir Panikmacher“ wünschte. Diese sind bedeutend schwieriger zu leben unter immensem Zeit- und Leistungsdruck. Im Gegensatz zu den klammen Redaktionen rüstet die Unternehmenskommunikation offenbar auf. Der Zentralbereich Kommunikation von Evonik Industries, das neu gegründete Kommunikationszentrum Center of Expertise Communication des Energiekonzerns RWE oder der Newsroom des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) sind nur einige Beispiele.

Der Sound der Unternehmen

Auch die Aufgaben des Kommunikationsmanagers haben sich gewandelt, er ist längst nicht mehr nur einer, der mit der Presse spricht. Die neuen Medien haben die tradierte Position des Pressesprechers unterhöhlt. Der Brunswick-Report „Leaders in Communications 2014“ prognostiziert, dass der Kommunikator sich künftig zu einem Mindset-Manager entwickelt. Dieser schaffe sich seine Öffentlichkeit selbst und inspiriere andere, mit „vielfältigen Öffentlichkeiten zu kommunizieren“. Eine ganze Organisation könne so einen gemeinsamen „Sound produzieren“.

Bleibt zu befürchten, dass dieser Sound durch die Newsrooms in Unternehmen sehr laut wird; ein Big-Band-Konzert im Gegensatz zu den verhältnismäßig zarten Tönen, die aus den ausgedünnten Redaktionen erklingen. Für die Unternehmenskommunikation ist das vorteilhaft. Sie kann so ihre Themen leichter lancieren und zügig mit eigener „Berichterstattung“ reagieren. Aber die Entwicklung ist auch für die Redaktionen nicht durchweg negativ: Die Professionalität, Schnelligkeit und das aufbereitete Hintergrundwissen können Journalisten auch Unterstützung im hektischen Alltag bieten.

„Es wird immer klarer, dass eine auf die klassische Printredaktion ausgerichtete Pressearbeit nicht mehr ausreicht“, sagt Christoph Hardt, Geschäftsführer Kommunikation des GDV. „Wenn ein Unternehmen am Abend um 17 Uhr ihr durch sieben Korrekturschleifen gelaufenes Statement abgibt, kommt es nicht in die Medien.“ Je mehr Schleifen Texte drehen, desto dominanter schimmert natürlich die Vorsicht durch sie hindurch. „Diese Vermeidungsstrategien sind gerade das, was Journalisten nicht haben wollen“, sagt Hardt. „Insofern müssen Unternehmen generell umlernen, wenn sie die Kommunikationspolitik verändern ­wollen.“ Für den Verband heißt dies konkret: Die Kommunikationsabteilung wird aufgestockt und ein Newsroom sorgt dafür, dass Verbandsthemen redaktionell gesteuert und Anfragen schneller und multimedial beantwortet werden.
Der Newsroom ruft natürlich auch viele Kritiker auf den Plan. Journalisten befürchten flutartige Beeinflussung. Hardt wiegelt ab: „Die Kritik kann ich nicht nachvollziehen. Es gibt außerdem bereits unzählige virtuelle Newsrooms in Unternehmen. Uns ermöglicht ein solcher schnelle und transparente Kommunikation, da wir journalistische Prozesse in unsere tägliche Arbeit integriert haben. Früher war die Kommunikation eher reaktiv, heute wollen wir gute Beiträge produzieren.“

Diese Form der Themenstreuung braucht Redakteure, die Zeit für Recherche haben, Faktenchecks und Quellenverifikation durchführen und die Herkunft der Information kennzeichnen. Wenn Unternehmen journalistische Informationen bereitstellen, muss klar sein, von wem die Botschaften kommen. Hardt versichert: „Es liegt uns völlig fern, unsere Botschaften zu verschleiern. Natürlich stehen wir dazu, dass wir unsere Interessen vertreten.“ Dennoch: Die Kompetenzbereiche vermischen sich.

Wachsende Pressestellen bedeuteten noch lange nicht, dass sich die Machtverhältnisse zwischen Journalisten und Kommunikatoren verschieben, konstatiert Anton Hunger in seiner Kolumnensammlung „Die Wahrheit liegt auf dem Platz“ (2014). Dass sich die Kommunikationsabteilungen vergrößerten, schreibt Hunger, liege an den Aufgaben, die hinzukämen. Der ehemalige Journalist und Kommunikationschef von Porsche beleuchtet in seinen Kommentaren die „vertrackte Beziehung“ von Journalisten und PRlern äußerst pointiert, „manchmal philosophierend, zuweilen jonglierend“.

Nah und fern zugleich

Die große Herausforderung an die Journalisten-Pressesprecher-Beziehung sei die „Dialektik der Nähe“, sagt Christoph Hardt. Er  kennt beide Seiten, denn er war selbst lange Zeit beim „Handelsblatt“, zuletzt als Leiter des Ressorts Unternehmen + Märkte. Als Journalist geht es Hardt zufolge darum, einerseits eine vertrauensvolle Beziehung zu Gesprächspartnern in den etablierten Unternehmen zu schaffen, und andererseits diese Nähe nicht zu einer Interessenverbindung werden zu lassen.

Viele Journalisten können diese Verbindung jedoch gar nicht in vollem Ausmaß herstellen. Ihnen fehlt schlicht die Zeit, den Unternehmen wirklich nahe zukommen, so dass sie sich oftmals mit oberflächlicher Recherche abfinden müssen. Ein umfassender Blick hinter die Unternehmenskulissen ist ohnehin kaum möglich. Pressekonferenzen oder Besuche der Vorstandbüros stellen naturgemäß kaum die gesamte Wirtschaftswirklichkeit dar, liefern höchstens einen punktuellen Einblick. Doch was ist schon die Wirklichkeit, bringt doch jeder Journalist seine eigene Persönlichkeit und Wahrnehmung in seine Arbeit ein. Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen nannte „korrekte Realitätsabbildung und Objektivität“ bereits 2012 in einem Interview mit „Brand eins“ „einigermaßen furchtein­flößende Großbegriffe“. Der Beruf verlange dem Journalisten im Grunde Unmögliches ab: Er ist der Wahrheit verpflichtet, soll unabhängig sein von einer Welt, deren Teil er ist, gleichzeitig für seinen Verlag Gewinn einbringen und – nicht zu unterschätzen – der Gesellschaft unter Höchstgeschwindigkeit Orientierung bieten. Das könne nur in „Selbstüberhöhung“ enden, sagt Pörksen.

Andersherum können Pressesprecher dem Kolumnisten Anton Hunger zufolge gar nicht leisten, was sich  Journalisten von ihnen wünschen. „Pressesprecher werden nicht dafür bezahlt, als frei schwebende Künstler über den Dingen zu stehen. (…) So wenig es die Reinheit im Journalismus gibt, so wenig gibt es die Reinheit in der Kommunikation“, lautet sein Urteil. Außerdem gebe es leider auch genug Fälle, in denen Verlage Schleichwerbung dulden oder redaktionelle Inhalte verkaufen – und damit die Glaubwürdigkeit des Journalismus’ schwächen. Hunger räumt jedoch ein, das betreffe eine „Schmuddelszene“, die dann auch nur „Dumpfbacken des PR-Gewerbes anlockt“.

Außerhalb dieser Szene ist das Vertrauen der Wirtschaftsjournalisten in die Pressesprecher in den vergangenen Jahren von 68 Prozent auf 85 Prozent gewachsen. Das ergaben zumindest die „Journalisten-Trends“ (2010). Die vier Redaktionen, die das Magazin pressesprecher dazu anfragte, hatten durchweg „leider keine Zeit“ für ein Gespräch.

Zeitnot – eine der größten Herausforderungen im Journalisten-Alltag. „Viele Redakteure können nicht in die Tiefe recherchieren, weil es schnell gehen muss“, sagt Jörg Howe, Head of Global Communications bei Daimler. „Sie nehmen sich wenig Zeit für ihre Nachfragen in Unternehmen und Auskünfte müssen sofort gegeben werden.“ Der ehemalige „Handelsblatt“-Journalist Christoph Hardt wundert sich, wie selten sich Medienvertreter beim GDV melden, wenn sie  kritische Geschichten über die Versicherungsbranche schreiben. „Es kann auch sein, dass die Kollegen uns bewusst nicht befragen“, räumt er ein.

„Bitte um Antwort bis 15 Uhr“

Der Dialog zwischen Kommunikationsabteilung und Journalisten ist schwieriger geworden. Es wird weniger miteinander gesprochen, seltener zum Hörer gegriffen. Viel eher wird schriftlich angefragt, und auch schriftlich – also kalt – geantwortet. Zur Mail gebe es häufig zeitliche Ultimaten, erzählt Hardt. Diese zu setzen habe sich gerade in Investigativteams breit gemacht. Dabei sei das gar nicht notwendig,  schließlich werde er dafür bezahlt, möglichst schnell, gut und multimedial zu antworten. Peinlich werde es außerdem, wenn die Ultimaten gar nicht so ultimativ sind. „Wenn es wirklich um Krieg und Frieden geht“, sagt Hardt, „kann derjenige gerne anrufen und mich um eine sofortige Antwort bitten.“

Für Daimler-Kommunikationschef Jörg Howe ist die Zusammenarbeit mit Nachrichtenagenturen und Online-Medien am schwierigsten. „Die Onliner setzen Trends und eine Geschichte, die online lief und Mist war, kriegt man nicht mehr eingefangen.“ Das Problem mit Agenturjournalisten sei, dass Meldungen „irre schnell auf den Draht gehen“. Wenn jedoch etwas schiefliefe sei keiner bereit, Korrekturmeldungen zu verschicken. „Erfahrene Redakteure bei Reuters oder Dow Jones formulieren so, dass das rechtlich nicht anstößig ist. Es gibt aber solche, die hauen irgendwelche Sätze heraus, die kapitalmarktrelevant für ein börsennotiertes Unternehmen oder rufschädigend sind“, sagt Howe. Seine Kommunikationsabteilung habe sich strukturell und mental auf ­diese Schnelligkeit eingestellt. Und wenn Redakteure der „Bild“-Zeitung anfragen, werde Howe sofort informiert. „Einige Journalisten betreue ich selbst“, sagt er. „Es ist ein relativ offener Umgang. Wir reden auch über Themen, die nicht sofort veröffentlicht werden. Mit Journalisten im Off zu sprechen, ist zunehmend schwieriger, weil Regeln, die früher selbstverständlich waren, heute nicht mehr eingehalten werden.“

Wie groß ist das Vertrauen?

Wie in jeder Beziehung ist Vertrauen etwas, das sich entwickelt und von guten Erfahrungen lebt. In der Zusammenarbeit kann man immer nur im Einzelfall entscheiden, auf wen man sich ein- und verlassen kann. Man müsse die Journalisten lange kennen, sagt Howe. Natürlich frage man auch Kollegen nach guten oder schlechten Erfahrungen, damit man grob wisse, mit wem man es zutun habe. Wurde Vertrauen verspielt, ist die Zusammenarbeit geschwächt. „Der Grad der Auskunftsmöglichkeit von Leuten, mit denen ich schlechte Erfahrungen gemacht habe, beschränkt sich aufs Nötigste“, sagt Howe. Sein Team beantworte aber alle Anfragen, immer. Er habe schon herbe Enttäuschungen erlebt: Redakteure, die sich nicht an Ansprachen hielten, schwach recherchierten, Fragen nachschärften. Als der „Focus“ 2010 die Meldung brachte, dass Daimler-Vorstandsmitglied Wolfgang ­Bernhard den Vorstandsvorsitzenden Dieter Zetsche ablösen würde, hätte Howe dem verantwortlichen Redakteur zuvor lang und breit erklärt, dass dies eine Falschmeldung sei. „Ich habe das Dementi angekündigt, ihm gesagt, er verbrenne sich die Finger“, erinnert er sich. Samstag um fünf Uhr früh erschien die Meldung online. Eine schwierige Zeit, um sofort Stellung zu beziehen. Howe ließ den Samstag Samstag sein, verschickte eine Pressemitteilung, rief Agenturen und seinen Medienanwalt an. Die Redaktion musste ihren Artikel korrigieren und willigte ein, jegliche Behauptungen in diesem Zusammenhang zu unterlassen. „Sie standen nicht zu ihrer Geschichte“, sagt Howe.

Gute PR, schlechte PR

Das zeigt, gute PR braucht guten Journalismus und guter Journalismus braucht gute PR. Viele Journalisten sehen in Pressesprechern „schlicht Nebelkerzenwerfer, Wahrheitsverhinderer oder gar Lügner“, schreibt Anton Hunger im Vorwort zu seinen Kolumnen. Oder auch einfach Zeiträuber, die mit aller Macht versuchen, ihre Geschichten in die Medien zu bringen. Einige Agenturvertreter und Kommunikationsverantwortliche aus Unternehmen wollen den Redaktionen helfend zur Seite springen, wie sie es oft gern formulieren: etwa bei der Themenfindung, (Ich habe da ein spannendes Thema für Sie. Das würde wunderbar in die nächste Ausgabe passen. Mein Chef ist wirklich Profi auf diesem Gebiet) oder sie helfen dem Redakteur auf die Sprünge, wie verbunden sie mit dem Hause sind (Aber wir sind doch schon Anzeigenkunde bei Ihnen. Wir haben nun auch schon xy bei Ihnen gesponsert, was muss man denn tun, um ins Heft zu kommen?), nehmen Kontakt zum Chefredakteur oder Verleger auf, um ihn an die Dringlichkeit der Geschichte zu erinnern oder „erleichtern“ gestressten Journalisten gerne die Arbeit. (Falls Sie keine Zeit haben, kann ich das Interview auch gerne selbst schreiben, ­inklusive der Fragen. Also wir stellen uns Folgendes vor…).

Der Journalist, ein suspektes Wesen?

Ist also Aufpassen angesagt? Wie immer im Leben: Die Balance, das Maß, ist entscheidend. Christoph Hardt sagt, der Umgang mit Journalisten müsse nicht so verkrampft sein. In den Kommunikationsabteilungen hätten die Sprecher oft eine herausgehobene Position gegenüber den anderen Kommunikatoren, nur weil sie „exklusiven Zugang zur geheimnisvollen Kaste der Journalisten“ hätten. Das sei eine unnötige „Pseudodistanz“, überhöhter Respekt völlig fehl am Platz. Die Angstkultur in einigen Kommunikationsabteilungen kommt Hardt zufolge hauptsächlich daher, dass in den großen Unternehmen keine Fehler gemacht werden dürfen, wenn man die Karriereleiter hinauf will. Sie werde am deutlichsten bei den Korrekturschleifen, die ein Zitat in einem Unternehmen nehmen kann. „Ich weiß doch, welche kleine Zuspitzung ein Journalist mitunter für seine Geschichte braucht“, erklärt Hardt. „Aussagen, die wir als erfahrene Journalisten in Antworten extra herausgekitzelt haben, werden oft intern abgelehnt. Daraus resultiert, dass das Statement von den Journalisten gar nicht erst genommen wird.“

Heutzutage gibt es wohl kein Interview mehr, das ohne Autorisierung gedruckt wird. Um Falschverstandenes richtigzustellen und Fakten zu überprüfen ist eine Autorisierung sicherlich sinnvoll, doch einige Kommunikatoren entdecken dabei häufig ihre Berufung als Lektor. Schnell werden Grenzen überschritten, oft auch lautstark am Telefon und unter mehrfacher Anzweiflung, ob der Journalist seinen Job beherrsche. Natürlich gibt es auch hier schwarze Schafe. Howe ist, was die Autorisierung von Zitaten betrifft, sehr auf der Hut. „Journalisten schreiben ständig etwas dazu. Für mich ist das immer eine ganz klare Ansage, dass ich die Zitate sehen will. Ich sage es immer vorher. Ich habe schon viel zu viel Mist erlebt: Bezüge, die herausgenommen wurden, Fragen, die derart nachgeschärft wurden, dass die Antworten nicht mehr passten oder wichtige Adjektive, die ­einfach gelöscht wurden.“

Das Auf und Ab der Journalisten-Pressesprecher-Beziehung lässt sich natürlich nur annähernd beschreiben, in subjektiven Aus­schnitten festhalten. Letztlich geht es um das grundsätzliche Miteinander unter Menschen und die sind per se wankelmütig, unterschiedlich, verletzlich, übermütig, schüchtern, souverän, laut oder leise. Anton Hunger findet in seinem Vorwort versöhnliche Worte für die die „lustvoll gepflegte Gegnerschaft“ zwischen Journalisten und ­Unternehmenssprechern. Sie fördere das Selbstverständnis der jeweiligen Profession.
Und diejenigen, die auf Nummer sicher gehen wollen, können den Journalisten auch einfach gar nichts mehr sagen und nur noch ­GIF-Interviews geben. Darin sprechen lautlose Videosequenzen statt geschriebener Antworten für sich.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Randgruppen-PR. Das Heft können Sie hier bestellen.

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