„Der Zeitfaktor ist ausschlaggebend“

Krisenkommunikation

Herr Höbel, hat die Krisenkommunikation für Unternehmen in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen?

Der Kommunikationskongress 2019 steht unter dem Motto "Zeit".Peter Höbel: Die Kommunikation war immer schon ein unverzichtbarer Bestandteil des operativen Krisenmanagements. Bedauerlicherweise ist dies in der Vergangenheit nicht immer so gesehen worden und hat daher oft genug zu Folgekrisen und Verschärfungen geführt. Mittlerweile hat sich aber herumgesprochen, dass ein frühzeitiger und sinnvoller Umgang mit Kommunikation wesentlich zur Schadensbegrenzung und damit zur Sicherung der eigenen Werte beitragen kann.

Wird Krisenkommunikation heute anders gemacht als früher?

Immer schon ausschlaggebend war der Zeitfaktor. Die sozialen Medien haben allerdings dafür gesorgt, dass die Reaktionszeiten noch kürzer geworden sind. Ob aber nun ein Radioreporter eine schnelle Meldung raushaut – die zutrifft oder vielleicht auch nicht – oder ob das auf Twitter passiert: Die Reaktionszeit war immer schon kritisch. Nur das Einfangen einer verbreiteten Nachricht ist noch schwieriger geworden.

Warum ist der Zeitfaktor bei der Krisenbekämpfung für Unternehmen besonders wichtig?

Bei einer Krise ist es ähnlich wie bei einem Brand: Je früher ein Feuer erkannt wird, desto leichter ist es zu bekämpfen. Ist das Haus erst einmal im Vollbrand, kann man oft nur noch ein Übergreifen der Flammen verhindern oder muss womöglich zusehen, wie das Gebäude abbrennt. Mit anderen Worten: rechtzeitig den Ernstfall vorbereiten, schon beim ersten Brandgeruch so schnell wie möglich eingreifen und dann beherzt mit den richtigen Mitteln „löschen“.

Wie sollten Unternehmen einen solchen „Löscheinsatz“ konkret angehen?

Im ersten Schritt sollten sie die eigenen Risiken erkennen und analysieren. Wichtig ist es dann, in Prävention zu investieren, beispielsweise Krisenpläne vorzubereiten, technische Hilfsmittel und Krisenhandbücher zur Verfügung zu haben und – das ist das Wichtigste – Führungskräfte und Personal zu sensibilisieren, sie etwa in Seminaren und Trainings auf Krisen vorzubereiten. Neben hausinternen Workshops sind auch Krisensimulationen ideal, in denen schwierige Situationen im geschützten Raum durchgespielt werden können. Auf diese Weise werden mögliche Schwächen oft frühzeitig erkannt.

Ist eine besonders schnelle Reaktion auf eine Krise immer richtig oder ist manchmal auch Abwarten angebracht?

In der Krisenkommunikation gilt eine Grundregel: Schnelligkeit geht vor Vollständigkeit. Das bedeutet aber nicht, ungeprüfte Informationen zur verwenden oder sich auf Spekulationen einzulassen. Wichtig ist es, zielgerichtete Botschaften zu senden. Eine Metabotschaft sollten Unternehmen und Organisationen zu jeder Zeit senden können: Wir wissen, dass etwas geschehen ist und wir tun etwas dagegen. Und zwar das Richtige, denn wir wissen, wie mit der Situation umzugehen ist.

Was sie nicht tun sollten ist, über Ursachen zu spekulieren oder etwas zu dementieren, von dem sie möglicherweise noch nicht wissen, ob es überhaupt dementierbar ist. Lügen haben kurze Beine. Was den Umgang mit dem Zeitfaktor so schwierig macht: Zu einem Zeitpunkt, zu dem in der Regel noch sehr wenig bekannt ist, besteht bereits ein sehr hoher Informationsdruck. Das heißt, man muss sich schnell äußern, obwohl möglicherweise erst wenige belastbare Fakten bekannt sind. Stets richtig – seine Bereitschaft zeigen, sich der Krise offen anzunehmen.

Welche Fehler werden in der Krisenkommunikation oft begangen?

Ich sage manchmal scherzhaft, es gilt die alte Wildwestregel: Wer zuerst schießt, lebt länger. Dafür will ich Ihnen ein praktisches Beispiel geben: Neulich haben selbsternannte Umweltaktivisten für ein paar Stunden ein Kohlekraftwerk – wie sie sagen – „besetzt“. Tatsächlich haben sich vielleicht 30, 40 Leute am Haupteingang und einem nicht in Betrieb befindlichen Förderband niedergelassen. In Agenturmeldungen wurde aber sehr schnell die von der Gruppe selbst verbreitete Zahl von angeblich 100 Besetzern verbreitet. Diese Zahl hielt sich den ganzen Tag und wurde ungeprüft von anderen Medien weiterverbreitet. Da es ein Samstag war, dauerte es eine Weile, bis die Unternehmenskommunikation vor Ort war und die Zahl korrigierte.

Die Kohlegegner hatten außerdem das Gerücht verbreitet, aufgrund ihrer Besetzung müsste innerhalb weniger Stunden das Kraftwerk heruntergefahren werden. Die vom Sprecher des Betreibers verbreitete wichtige Kernbotschaft, die Stromversorgung für die Bevölkerung sei sichergestellt, ging unter, weil sie einfach zu spät kam. Die Angaben der Besetzer konnten unwidersprochen über längere Zeit die Nachrichtenagenturen und sozialen Netzwerke dominieren. Obendrein wurde sie auch über konventionelle Medienkanäle weiterverbreitet. Updates fanden dort so gut wie keine statt. Das angegriffene Unternehmen hat wegen des Wochenendes schlichtweg den Wettlauf gegen die Zeit verloren.

Haben Sie auch ein Beispiel für eine besonders gelungene Krisenkommunikation?

Ein Lehrstück für schnelle und gute Kommunikation ist die Reaktion der Deutschen Lufthansa nach dem Germanwings-Flugzeugunglück. Dabei kamen 149 Passagiere und Besatzungsmitglieder sowie der Täter ums Leben. Schon wenige Minuten nach Bekanntwerden haben Lufthansa und Germanwings über Twitter erste Informationen verbreitet. Sofort haben Sie auch ihren Twitter-Auftritt angepasst: das sonst gelbe Logo wurde als Zeichen der Trauer schwarzgefärbt. Auch im weiteren Verlauf waren sie extrem schnell: Innerhalb kürzester Zeit gab es bereits die erste Pressekonferenz, in der der Lufthansa-Vorstandsvorsitzende Carsten Spohr als „Krisengesicht“ für das Unternehmen Empathie und entschlossenes Handeln gezeigt hat. Das wurde sowohl von den betroffenen Hinterbliebenen als auch von der Öffentlichkeit positiv wahrgenommen.

Warum reagieren einige Unternehmen in Krisensituationen richtig, andere jedoch nicht?

Prävention kostet Geld. Bleiben wir beim Beispiel Lufthansa: Deren Krisenmanagement konnte nur funktionieren, weil sie sich mit großem Aufwand auf Extrem-Situationen vorbereitet. Seit Jahren wird das Personal trainiert. Sie verfügt über die nötige Technik und hält Infrastruktur bereit – obwohl solche Ereignisse glücklicherweise ausgesprochen selten vorkommen. Es wird also viel Geld in die Hand genommen, obwohl die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Absturzes verhältnismäßig gering ist. Diese Haltung könnte als Benchmark auch für andere Unternehmen gelten, die den Zeitfaktor noch immer nicht auf dem Radar haben.

Mit dem Zeitfaktor in der Krisenkommunikation wird sich Peter Höbel auch in seinem Workshop auf dem diesjährigen Kommunikationskongress beschäftigen. Der Titel der Veranstaltung ist: „Der Zeitfaktor in der Krise: Den Wettlauf gegen die Uhr gewinnen“.

 

 

Weitere Artikel