Coronavirus: Sind die Journalisten schuld?

Medien in der Zwickmühle

Eine Kollegin erzählte mir vergangene Woche von einem Erlebnis auf dem Wochenmarkt. Die Kundin vor ihr habe mit der Verkäuferin am Stand über die aktuellen Entwicklungen rund ums Coronavirus gesprochen. Entsetzt sei die Kundin angesichts der ersten Hamsterkäufe gewesen: Nudeln, Tomatenmark und Klopapier – alles, was man wohl im Ernstfall braucht – sei aus den Regalen der Supermärkte verschwunden. Reaktion der Marktfrau: „Und wissen Sie was? Die Journalisten sind schuld.“

Stimmt das? So pauschal sicher nicht. Pauschalurteile sind nie die ganze Wahrheit, weil sie nicht differenzieren und nie das große Ganze beleuchten können. Je komplexer die Materie (und ein neu auftretender und nicht komplett erforschter Virus ist eine sehr komplexe Angelegenheit), desto schlechter sind undifferenzierte und nicht differenzierende pauschale Aussagen.

Aber ein Fünkchen Wahrheit lässt sich da schon erkennen. „Warum gibt es diese Hamsterkäufe?“, wollte die Moderatorin einer Radiosendung von einem der vielen angeblichen Experten wissen. Antwort: Weil die Menschen verunsichert sind. Warum sind sie verunsichert? Weil in einigen Medien seit Anfang des Jahres aus verschiedenen Gründen Fachleute aus den Bereichen Katastrophenschutz und Notfallvorsorge zu Wort kamen und mahnten, in Sachen Vorräte seien Haushalte in Deutschland im Schnitt schlecht ausgestattet. Man solle Nahrung und vor allem Trinkwasser für zwei Wochen im Haus haben für den Fall, dass eine Epidemie oder ein umfassender Stromausfall nicht nur die Lichter in den eigenen vier Wänden ausgehen lässt, sondern auch die Lieferung von Gas und Wasser zum Erliegen bringe.

Offen berichten und konkret raten, ohne Panik auszulösen

Die Medien stecken in einer Zwickmühle: Sie sollen schnell und umfassend informieren, die Corona-gebannte Gesellschaft in jeder Sekunde auf den neuesten Stand bringen, Zahlen liefern und Tipps geben. Gleichzeitig sollen sie sich an der Panikmache nicht beteiligen – tun es aber doch, weil sie ihren Informationsauftrag erfüllen wollen. Dabei verfallen sie leider den Gesetzen der knackigen Schlagzeile. „Virologe: 70 Prozent Infizierte“ ist da nur eines der wenig hilfreichen Beispiele für eine missglückte Verkürzung des wahren Inhalts.

Grundsätzlich würde ich mir von unserer Medienlandschaft und für unsere Mediengesellschaft etwas mehr Zurückhaltung wünschen. Ist die Sau wirklich beeindruckend, kann ich sie auch noch in zehn Minuten durchs Dorf treiben. Sprich: Ich kann dem Ganzen etwas mehr Zeit geben – und damit vielleicht (hoffentlich) auch mehr Substanz und Sorgfalt bei der Recherche. Im Moment sehe ich aber eine Grundnervosität und eine permanente Zappeligkeit (die Ähnlichkeit zum Begriff des schnellen und ziellosen Zappens ist nicht zufällig), die dafür sorgt, dass jede noch so kleine Meldung zum Aufmacher wird. Dass Wildschweine durch die Straßen getrieben werden, die sich kurze Zeit später und bei näherem Hinsehen als Gruppe harmlos verschmuster und ungefährlich schnurrender Kätzchen herausstellen.

Die Verantwortung liegt bei Sender und Empfänger

Doch die Verantwortung nur auf die Medien abzuwälzen, wäre eben wieder zu pauschal und damit schlicht falsch. Wie jede Kommunikation hat auch die Medienkommunikation zwei Seiten: Sender und Empfänger. Redaktionen berichten, Hörer, Zuschauer und Leser empfangen – und reagieren. Wie sie reagieren – ob sie die Tipps der Katastrophenschützer interessiert zur Kenntnis nehmen oder sich panikartig im nächstgelegenen Supermarkt den Einkaufswagen mit Ravioli-Dosen und Einkoch-Gemüse vollpacken – ist ihre Entscheidung und unterliegt ihrer Verantwortung.

Es wäre aber gut, wenn Medienschaffende – Journalisten und Moderatoren – bedenken, was sie mit ihrer Berichterstattung auslösen können. Das Wort von den Medien als „Empörungsverstärker“ hat ja schon die Runde gemacht. Ursprünglich ging es da um die Rolle von Medien bei Shitstorms. Doch die Wirkmechanismen sind immer ähnlich: Egal ob bei der Politiker-Schelte oder bei Hamsterkäufen.

Journalisten sind keine Marktschreier

Das hat etwas damit zu tun, wie mediale Berichterstattung heute funktioniert. Zu einem großen Teil nämlich über Posts, Tweets und Teaser, übers Web und Social Media, über Verkürzungen auf plakative, pauschale oder inhaltlich verfälschte (siehe oben) Schlagzeilen, die sich über Medien hinweg zum Verwechseln ähnlich sehen, weil uns in der Presselandschaft in dieser Hinsicht der Wettbewerb scheinbar abhandengekommen ist.

Die Differenzierung, die der Marktfrau bei ihrem Kommentar fehlte, die fehlt leider immer häufiger auch in Teilen der Berichterstattung. Und die nicht mehr nur in sozialen Netzwerken, sondern auch in vielen Redaktionen übliche Zuspitzung auf knackige und knallende Schlagzeilen und Headlines tut ihr Übriges.

Sind die Journalisten schuld? Nein, so pauschal lässt sich das nicht sagen. Aber sie haben ihren Anteil daran, wenn Mücken zu Elefanten werden. Etwas mehr Gründlichkeit und Sachlichkeit und etwas weniger Schnelligkeit und Agitation würden uns allen guttun. Journalisten sind keine Marktschreier – und umgekehrt auch nicht.

 

 

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