Korea ist überall

Zuckerbrot und Peitsche

Frau Kim (Name geändert, weil sie Nordkoreanerin ist) hat mich durch ihr Land geführt und mir erklärt, wie sie mit ihren drei Bier-Gutscheinen pro Woche klarkommt (sie verkauft sie weiter), wie das Gesundheitssystem Nordkoreas funktioniert (alles kostenlos und sehr gute Ärzte), und am Abend haben wir bei nordkoreanischem Bier diskutiert, wie das mit dem Verlieben läuft in Nordkorea. Sie hat offen gesagt, dass die Partei ein Wort mitredet, wer wen heiratet. Manchmal war Frau Kim etwas seltsam: Als wir abends an einem Hochhausblock vorbeiliefen, in dem jedes einzelne Fenster erleuchtet war, fragte ich, ob wirklich alle Bürger zu Hause seien. Sie schaute mich gespielt entsetzt an: „Wo sollen sie sonst sein? Es ist neun Uhr abends!“

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Trotz allem hatte ich nach meiner Woche Aufenthalt das Gefühl, dass Frau Kim nur selten schauspielert und dass wir einander gut kennengelernt haben. Sie war auch wirklich am Leben in Deutschland interessiert, zumal unser Land ja auch einst geteilt war. Offiziell wusste sie nicht, dass ich Journalist war. Ich reiste mit einer Gruppe US-Studenten inkognito. Trotzdem gab es diesen irren Moment am Flughafen, kurz vor dem Abschied am Gate, als Frau Kim meine rechte Hand in ihre beiden Hände nahm, mir tief in die Augen schaute und sagte: „Schreiben Sie etwas Gutes, bitte!“

Nun mögen Nordkoreaner Anfänger sein, was die PR-Arbeit betrifft. Überrascht war ich aber, dass es mir in Südkorea, wo ich für eineinhalb Jahre lebte, nicht viel anders erging. Wer dort einmal ein Interview mit der PR-Abteilung von Samsung führt, wird ganz ähnlich empfangen wie in Pjöngjang. Frau Kim (sie hieß wirklich so) und ich standen vor dem beeindruckenden Samsung-Hochhaus in Seoul – und in unserer Nähe Demonstranten, die wegen eines außerhalb Koreas kaum bekannten Leukämie-Skandals in einer Fabrik des Konzerns protestierten. Frau Kim tat so, als sehe sie die Demonstranten nicht. Sie sagte: „Bitte schreiben Sie etwas Nettes!“

„Sie erwarten keine Journalisten, sondern Fans”

Inzwischen lebe ich wieder in Deutschland. Mir ist leider aufgefallen, dass es eine gewisse Koreanisierung der PR in Europa gibt. Ich finde sie bedenklich. Vor allem, wenn große US-Unternehmen in Deutschland Fuß fassen. Sie blockieren, antworten auf E-Mails nicht, reden Probleme klein. Facebook, Apple und Google sind da inzwischen etwas besser geworden. Zugänglich sind sie nach wie vor nicht. Im Grunde erwarten sie nicht Journalisten, sondern Fans.

Doch als Reporter mache ich diese Erfahrung nicht nur in der Wirtschaft: Die PR-Dame einer Schauspielerin droht, ein bereits geführtes Interview zurückzuziehen, wenn der Text nicht ausnehmend positiv ist. Der Deutsche Fußball-Bund fordert Journalisten auf, nur Nettes zu schreiben, um die schöne WM-Stimmung nicht kaputtzumachen. Und nicht zuletzt: Chemnitzer Bürger rufen in meiner Redaktion an und sind sauer, wenn ich in meiner Reportage aufschreibe, dass es in ihrer Stadt zu Hetzjagden kam und manche Demonstranten den Hitlergruß zeigten.

Ich erinnere mich an eine Begebenheit aus der koreanischen Historie: Der König der Joseon-Dynastie bekam im 16. Jahrhundert Besuch von einem niederländischen Forscher. Er ließ ihn gefangen nehmen. Als der Mann fliehen konnte, schrieb er das erste Buch über Korea. Es fiel wenig positiv aus. Die Folge: Der König veranlasste, dass keine Häuser mehr in Strand-Sichtweite gebaut werden – „so weiß niemand, dass wir hier sind“.

Diese Art der Krisen-PR gehört zum Glück der Vergangenheit an. Es ist uns ganz und gar unmöglich, als Journalist immer nur „Nettes“ zu schreiben. Das gilt für die Frauen Kims dieser Welt – und für alles andere auch.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe MUT. Das Heft können Sie hier bestellen.

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