Zensur im Zack-zack-Modus

Kommentar

Im Internet darf es keine Freiräume für Hassrede und Kriminalität geben. Hierzu gibt es einen breiten gesellschaftlichen Konsens. Mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das insbesondere auf Betreiben des Bundesjustizministeriums kurz vor der Bundestagswahl noch durch das Parlament gebracht wurde, sollen strafbare Äußerungen auf Online-Plattformen in kurzer Frist gelöscht werden. 

Das NetzDG verspricht schnelle Abhilfe. Tatsächlich jedoch wird es mehr Schaden als Nutzen anrichten. So wird die Löschung von „offensichtlich rechtswidrigen Inhalten“ innerhalb von 24 Stunden gefordert. In allen anderen Fällen gibt es sechs Tage mehr Zeit.

Aber was ist „offensichtlich rechtswidrig“, wenn es etwa um Beleidigung oder Verleumdung geht? Das Schmähgedicht von Jan Böhmermann gegen den türkischen Präsidenten? Oder eine Satiresendung, die eine rechtsnationale Politikerin als „Nazi-Schlampe“ tituliert? Selbst Richter tun sich mit Antworten extrem schwer – und kommen oft zu überraschenden Ergebnissen. Der gesunde Menschenverstand beurteilt Sachverhalte − offensichtlich − häufig ganz anders, als es die Gerichte nach sorgfältiger Abwägung tun.

Was den Gerichten mit all ihrer juristischen Kompetenz und ihren forensischen Mitteln kaum gelingt, sollen nun Online-Plattformen im Schnellverfahren erledigen. Was von denen verlangt wird, ist de facto Zensur im Zack-zack-Modus. Wollen wir das wirklich?

Die große Gefahr für die Meinungsfreiheit entsteht durch die Verbindung kurzer Fristen mit hohen Bußgeldern. Deshalb wird künftig nicht „im Zweifel für die Meinungsfreiheit“ gelten, sondern „im Zweifel kein Bußgeld riskieren“. Die Plattformen sind durch die kurze Frist und die hohen Bußgelder geradezu gezwungen, im Zweifel zu löschen. Namhafte Juristen halten das Gesetz auch aus diesem Grund für verfassungswidrig. Hinzu kommt, dass es eine ganze Reihe unbestimmter Rechtsbegriffe benutzt, wodurch große Rechtsunsicherheit entsteht.

Wer das NetzDG aus Sorge um die Meinungsfreiheit ablehnt, kapituliert nicht vor dem zweifellos vorhandenen Hass im Netz. Die gro­ßen Plattformen müssen handeln, völlig klar. Sie müssen für Behörden, Strafverfolger und Gerichte schnell und unbürokratisch erreichbar sein. Sie müssen natürlich auf behördliche Anordnung Inhalte löschen, und zwar unverzüglich. Sie müssen die Behörden mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln bei Prävention und Verfolgung von Kriminalität unterstützen. Und sie müssen ihren Mitgliedern Mittel zur Kennzeichnung zur Verfügung stellen. Aber auch der Staat muss handeln: mit digitalen Polizeistreifen im Netz, digitalen Streetworkern und einer konsequenten Strafverfolgung.

Dieses Gesetz war sicherlich gut gemeint, es ist aber schlecht gemacht. Das NetzDG propagiert einfache Lösungen für ein hochkomplexes Problem. Einfache Lösungen gibt es hier aber nicht. Jetzt muss es darum gehen, ein funktionierendes Maßnahmenpaket zu entwickeln, das der Herausforderung Hassrede und Kriminalität in Sozialen Netzwerken wirklich gerecht wird. Das NetzDG verschwindet dann hoffentlich auf Nimmerwiedersehen in den Aktenschränken des BMJV.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe VORBILDER. Das Heft können Sie hier bestellen.

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