Wann die Blending-Falle droht

Homeoffice und Co.

Vorab ein Blick ins Innenleben dieses Textes: Drei der vier Gesprächspartner für diesen Artikel haben feste Jobs und ein eigenes Büro. Alle von ihnen führten die Interviews jedoch von zu Hause aus. Sie allesamt sind Blender, Work-Life-Blender, um genau zu sein. Work-­Life-Blending ist ein Trend, der alle, die noch von der Work-Life-Balance reden, alt aussehen lässt. Arbeit und Freizeit lassen sich heute oft nicht mehr sauber voneinander trennen, sondern gehen ineinander über. Private Angelegenheiten werden während der Arbeitszeit erledigt, die Arbeit verschiebt sich dafür auf den Feierabend. Und das Büro wird immer häufiger ins Café oder an den heimischen Schreibtisch verlagert.

Work-Life-Blending erschöpfe immer mehr Arbeitnehmer, so lauteten bereits erste Warnungen, als sich der Begriff vor drei Jahren etablierte. Für die Kritiker ist Entgrenzung kein Versprechen, sondern eine Drohung. Das Meinungsforschungsinstitut Yougov ermittelte, dass die Hälfte der befragten Arbeitnehmer in der Regel mindestens einmal nach Dienstschluss geschäftliche Mails checken. Jeder fünfte wurde mindestens einmal pro Woche nach Feierabend vom Arbeitgeber angerufen.

Gleichzeitig veröffentlichte die Initiative Gesundheit und Arbeit (Iga) eine Studie. Demnach litten ein Fünftel der Befragten wegen entgrenzter Arbeitszeiten unter Schlafstörungen. Ein Drittel fühlte sich im Familienleben und bei Freizeitaktivitäten gestört. Die Iga schloss daraus, dass Angestellte mit entgrenzten Arbeitszeiten wesentlich häufiger von Stress, Unruhe und Erschöpfung geplagt werden als andere Berufs­tätige. Gleichzeitig scheint der Trend zum Homeoffice, also die manifestierte Entgrenzung von Ort und Zeit, an Bedeutung zuzunehmen. 30 Prozent aller Unternehmen bieten inzwischen Homeoffice-Modelle an, berichtete im Februar der Digitalverband Bitkom. Mit einer weiteren Zunahme sei zu rechnen.

Steffi Burkhart könnte jetzt noch dutzende weitere Studien zum Thema nennen. Burkhart, Jahrgang 1985, kann der berühmten Generation Y zugeordnet werden. Die Autorin, Wissenschaftlerin und – wie sie sich selbst beschrieben sehen will – das „Sprachrohr“ ihrer Generation beschäftigt sich seit drei Jahren immer wieder mit dem Work-Life-Blending. Burkhart ist überzeugte Freiberuflerin. „Arbeit und Freizeit zu kombinieren, passt zu mir“, sagt sie. „Ich kann mich auch sehr gut selbst organisieren.“ Und daraus ergebe sich das Problem der neuen Arbeitsauffassung: Nicht jeder wisse damit richtig umzugehen. „Wenn man dazu gedrängt wird und es nicht schafft, sich selbst zu organisieren, landet man schnell im Hamsterrad.“

Digital Natives zeigen sich überfordert

Work-Life-Blending, sagt Burkhart, ist eine zwangsläufige Begleiterscheinung von Digitalisierung und Globalisierung. Feste Arbeitszeiten seien wegen international vernetzter Arbeitsplätze und trivialer Gegebenheiten wie der Zeitverschiebung oft nicht mehr einzuhalten. Die Vernetzung erleichtere es, Büroarbeit von zu Hause zu erledigen. „Diese Flexibilität wird inzwischen von vielen Unternehmen vorausgesetzt“, sagt Burkhart, und sie beschreibt ein Paradox. Denn gerade der Generation der „Digital Natives“ unterstelle man, sie könne mit den neuen Anforderungen am besten umgehen. Doch das Gegenteil sei der Fall: Gerade weil sie mit digitalen Medien aufgewachsen sei, habe sie es nie gelernt, diese auch mal nicht zu nutzen. „Darauf müssen Unternehmen eingehen. Und nicht etwa Work-Life-Blending als Effizienz­zitrone begreifen, die es auszuquetschen gilt“, sagt Burkhart.

Sonst könnte man nämlich bei Norbert Hüge landen. Hüge ist Gründer und Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands für Burnout-Prophylaxe und Prävention. Mit seinem Münchner Institut für lösungs­orientiertes Denken berät er Arbeitnehmer, aber auch Unternehmen, unter anderem zu Folgen des Work-Life-Blending. Wie Steffi Burkhart lehnt auch Norbert Hüge Work-Life-Blending nicht generell ab. „Ob das funktioniert, hängt vom Einzelnen ab. Starre Regeln bringen da nichts.“ Er habe durchaus Sympathie für Unternehmen wie VW, Daimler oder auch das Verteidigungs­ministerium, die allesamt irgendwann veranlassten, nach Feierabend von Mitarbeitern keine Mails mehr bearbeiten zu lassen. „Andererseits heißt das aber für den Familienvater, der sich damit eingerichtet hat, abends noch etwas zu arbeiten, dass er das dann nicht mehr tun kann.“

Freie Entscheidung muss möglich sein

Aber es kann eben auch dieser Familienvater sein, der zwar glaubt, für sich ein funktionierendes Modell gefunden zu haben, später jedoch im Burnout endet. „Dann arbeitet man abends noch etwas länger, liest vor dem Schlafengehen kurz seine Mails, und irgendwann schaut man nur noch aufs Handy, ob neue Aufgaben reinkommen“, schildert Hüge eine typische Abwärtsspirale. „Es gehört Disziplin dazu, nicht erreichbar zu sein. Nicht jeder bringt die auf.“ Keineswegs aber sei die Stressspirale eine zwangsläufige Folge von Work-­Life-Blending, darauf legt Hüge Wert. „Wenn Unternehmen Optionen bieten und Mitarbeiter sich auch wirklich frei entscheiden können, dann kann das sehr gut klappen. Vorgesetzte sind aber in der Verantwortung, ein gesundes Arbeitsumfeld zu ermöglichen, wo auch immer dies sein mag.“

Markus Köhler würde das wohl ohne Weiteres unterschreiben. Für den Personalchef von Microsoft Deutschland ist Entgrenzung von Arbeitszeiten und -orten mittlerweile selbstverständlich. Seit fast 20 Jahren gibt es bei Microsoft Vertrauensarbeits­zeiten: Mitarbeiter kommen und gehen nach Belieben. Als im Laufe der Zeit immer mehr Microsoft-Kollegen dazu übergingen, einen Teil ihrer Arbeit zu Hause zu erledigen, wurde darum 2014 auch offiziell der „Vertrauensarbeitsort“ eingeführt. Die überwiegende Mehrheit der Microsoft-Mitarbeiter nutze inzwischen das Modell der freien Arbeitsplatzwahl, neun von zehn, sagt Köhler, und zwar generationsübergreifend. Allerdings erwarte man von ihnen nicht, immer und überall erreichbar zu sein. „Die Kollegen bestimmen autark, wie sie arbeiten. Entscheidend ist für uns, dass am Ende die Ergebnisse stimmen.“

Das Unternehmen weiß aber um die Blending-Falle. Nicht ohne Grund gibt es Software-Lösungen, die es unterbinden, dass ab einer bestimmten Uhrzeit Mails versendet werden. Daneben werden Seminare zur Stressprävention angeboten. Außerdem bemühe man sich darum Führungskräfte zu sensibilisieren, sagt Markus Köhler. Würde ein Mitarbeiter auffallend häufig nachts E-Mails schicken, dann müsse man nachfragen, warum das so ist. Und gegebenenfalls auch gegensteuern.

Vertrauen ist unerlässlich

Auch beim Beratungsunternehmen von Rund­stedt dürfen alle Mitarbeiter im Homeoffice arbeiten. Yasmin Kurzhals ist Head of Talent Management bei dem Unternehmen und arbeitet selbst regelmäßig im Homeoffice, so wie die meisten ihrer Kollegen. Viele von ihnen hätten Kinder. „Wenn beide Elternteile arbeiten, ist das in der Regel nur zu schaffen, wenn zumindest einer von beiden flexibel ist“, sagt Kurzhals. Das schlechte Image, das Work-Life-Blending  vielerorts habe, kann sie nicht nachvollziehen. Als Karrierecoach berät sie bei von Rundstedt auch Angestellte, die eine andere Stelle suchen. „Einer der Hauptgründe, den Job wechseln zu wollen, ist mangelnde wahrgenommene Flexibilität“, sagt Kurzhals.

Sie plädiert dafür, Work-Life-Blending  zwar kritisch zu hinterfragen, aber vor allem die Chancen im Blick zu behalten. Schließlich seien Homeoffice-Modelle nicht nur für manche Angestellten eine Herausforderung, sondern auch für die Arbeitgeber, die ihre Mitarbeiter nicht mehr unmittelbar kontrollieren könnten. „Das geht nur mit Vertrauen“, sagt Kurzhals. Vertrauen auch in die Fähigkeit der Angestellten, autark zu arbeiten. „Denn auch das kann frustrieren im Homeoffice: Wenn einem niemand zutraut, das hinzukriegen.“

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe TREUE. Das Heft können Sie hier bestellen.

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