Worauf es bei guten Geschichten ankommt

Märchenerzähler Caspar von Loeper

Märchen zu erzählen gilt in der Welt der professionellen Kommunikation nicht unbedingt als auszubauende Kompetenz, sondern wohl eher als charakterliches Defizit. Zu Unrecht, findet Caspar von Loeper. Der 42-Jährige ­erzählt beruflich Märchen – sei es in Unternehmen, Schulen, heilpädagogischen Einrichtungen, Altersheimen oder auch Gefängnissen. Märchen, sagt er, seien die reine Wahrheit, verpackt in fantasievolle Bilder. Zu Unrecht gälten Märchen heute als Synonym für eine faustdicke Lüge.
Von Loeper, der in Genf aufwuchs, entdeckte vor 15 Jahren seine Liebe zum Märchen: In Großbritannien, wo er lange lebte und arbeitete und wo professionelle Märchenerzähler Pubs und Vortragssäle füllen. „In Großbritannien hat das Märchenerzählen heute noch einen großen Stellenwert“, sagt er. Von Loeper entschloss sich damals, selbst eine Ausbildung zu machen, an einer „Märchen-Schule“ in der Nähe von London. Seine vorherige Karriere gab der Rechtsreferendar mit zusätzlichem Management- und Human-Resources-Studium dafür auf. „Bereut habe ich das nie“, sagt er.
Im Interview erzählt von Loeper, warum es zu einem guten Erzähler gehört, Stille zu ertragen, was das mit den Zuhörern macht – und warum Pressesprecher lieber Märchen erzählen sollten als Theater zu spielen.

Herr von Loeper, wie kommt man darauf, Märchenerzähler zu werden?
Caspar von Loeper: Ich habe lange in England gelebt. Nach meinem Jura- und Managementstudium war ich dort in Kent angestellt, arbeitete an der Schnittstelle von Informatik und Management. In England, eigentlich ganz Großbritannien, hat das Märchenerzählen eine große Tradition. Das habe ich mir als kulturinteressierter Mensch angeschaut und war sofort begeistert. Die Märchenerzähler, die ich da erlebt habe, berührten mich sehr stark. Durch Worte erzeugten sie eine ganz besondere Stimmung, die Figuren, die Landschaften wurden real. Ich wollte das auch können. Und habe deswegen an der „International School of Storytelling“ eine Ausbildung gemacht.
Das liegt jetzt nicht ­unbedingt nahe, wenn ich das so sagen darf. Sie waren ja beruflich ­offenbar ganz gut unterwegs.
Ja, schon. Ich war in der Wirtschaft, in der Sozialtherapie und als Märchenerzähler tätig.
Warum dann also die ­Entscheidung, Märchen­erzähler zu werden?
Das Hören der Märchen, die frei erzählt wurden, hat mich tief berührt. Und die Ausbildung im Storytelling bedeutet natürlich auch eine Persönlichkeitsentwicklung. Ich habe dann später darauf hingearbeitet, das Märchenerzählen in den anderen Bereichen ­anzuwenden.
Wo in der Wirtschaft ist es denn gut, Märchen erzählen zu können?
Im Bereich Human Resources. Das heißt einmal für Rhetorikkurse, wenn es um Trainings geht, aber auch in anderen Bereichen der Personal- und Organisationsentwicklung, zum Beispiel in Teambuilding-Workshops.

Caspar von Loeper entspannt in der Uckermark (c) Julia Nimke

Caspar von Loeper genießt seinen Urlaub
Was macht einen guten ­Märchenerzähler aus?
Man muss die Fantasie der Zuhörer anregen, indem man die Märchenbilder lebendig beschreibt. Dann muss man Stille ertragen. Das können nämlich nur sehr wenige – aushalten, dass einfach niemand etwas sagt. Im Märchen gehören diese Momente der Stille dazu, sie sind Bestandteil der Erzählung. Weil dann erst etwas Neues entstehen kann.
Wie lernt man das, Stille ­aushalten?
In den Seminaren, die ich gebe, habe ich dafür eine Übung. Die Teilnehmer setzen sich hin. Dann geht eine Person auf die Bühne. Sie erzählt den ersten Satz eines Märchens – und dann erst mal nichts. Viele werden dann nervös, wollen unbedingt mehr sagen, weil sie die Stille nicht aushalten. Wenn man das ein paar Mal gemacht hat, hält man das besser aus und kann es beim Erzählen anwenden. Das gilt dann nicht nur für geplante Pausen. Oft ergibt es sich einfach, dass man durch Stille eine Stimmung verstärkt.
Wie genau kann ich mir das vorstellen?
Es ist wie bei einem klassischen Konzert. Wenn der letzte Ton gespielt wurde, gibt es auch diesen Moment der Stille. In dieser Stille klingt die Musik unhörbar weiter. Da passiert etwas, weil nichts mehr passiert. Die Musik bekommt so eine zusätzliche Qualität. Das gleiche geschieht auch vor dem Konzert, wenn die Musiker sich hinsetzen und so eine gewisse Spannung aufbauen, die sich auf das Publikum überträgt. Das Konzert oder die Botschaft bleibt auf diese Weise besser im Gedächtnis haften. Weil man sich mehr darauf konzentriert.

Caspar von Loeper entspannt in der Uckermark (c) Julia Nimke

Foto: Julia Nimke

Im Marketing, in der ­Politik, und auch in der PR geht es oft darum, „eine Geschichte zu ­erzählen“. „Märchen ­erzählen“ hat aber wohl doch eher ­einen zweifelhaften Ruf, wenn nicht sogar den Klang einer faust­dicken Lüge. Tut das dem ­Märchen Unrecht?
Märchen erzählen immer eine Wahrheit. Das, was erzählt wird, hat so natürlich nie stattgefunden, aber die Wahrheit dahinter stimmt. Zum Beispiel das Märchen „Hans in Glück“. Hans bekommt einen Klumpen Gold, und tauscht ihn so lange ein, bis er am Ende nichts mehr hat und der glücklichste Mensch der Welt ist. Diese Geschichte ist natürlich so nie passiert, aber die Botschaft ist klar: Wenn es dem Menschen gelingt, sich von ­materiellen Werten zu lösen, wird er zwar im äußeren Leben ärmer, dafür seelisch reicher. Ein ­Märchen beinhaltet eine tiefe Wahrheit, die in einer Bildsprache ausgedrückt wird.
Kann jeder ein guter ­Märchenerzähler ­werden?
Ja, ich habe jedenfalls noch niemanden in meinen Seminaren erlebt, der das nicht kann. Wichtig ist, dass man sich in die Bilder des Märchens vertieft. Sich also keinen abstrakten Text reinbüffelt, sondern aus einem inneren Erlebnis heraus erzählt. Das ist das, was Zuschauer dann als authentisch erleben. Ich stelle mir also vor, ich bin der König, ich bin die Königin, ich bin der Jäger.
Mit dem Schießgewehr?
Naja, nicht ganz. Ganz konkret gibt es eine Schauspielmethode von Michael Tschechow, die man auch beim Märchenerzählen anwenden kann. Dabei geht es darum, mit einer Körperhaltung die Stimme zu beeinflussen. Wenn ich die Brust rausstrecke und die Schultern nach hinten bewege, wird meine Stimme kräftiger, selbstbewusster. Wenn ich mich zusammenkrümme und die Beine kreuze, klinge ich schüchtern. Nun kann ich mich als Märchenerzähler – und das gilt natürlich auch für Unternehmenssprecher – nicht in merkwürdige Posen schmeißen, um eine Stimmung zu erzeugen. Und deswegen verinnerlicht man Körperhaltungen und äußere Gesten, die dann wiederum meine Stimme beeinflussen. Das kann im Marketing, in der Werbung und in der Unternehmenskommunikation ein wertvolles Instrument sein, weil man so die Menschen nicht nur intellektuell anspricht, sondern auch emotional. Und das will man ja im Idealfall.
In der Unternehmens- oder Politikkommunikation geht es sehr häufig auch darum, professionell spontan eine Botschaft vermitteln zu können. Spontanes Erzählen ist auch Inhalt Ihrer Seminare. Was ist dabei wichtig?
Hier geht es darum, dass man den Handlungsverlauf im Blick hat. Ein Erzähler darf sich nicht verzetteln und am Ende die Geschichte nicht mehr im Griff haben. Außerdem sollte er eine Bindung zum Publikum herstellen. Da gibt es bei einer großen Zuhörerschaft einen einfachen Trick: Man sucht sich ein paar einzelne Personen im Publikum aus, die man während der Erzählung immer wieder anschaut. Das ist ein wichtiger Unterschied zum Theater, wo die Schauspieler über die Köpfe des Publikums hinwegschauen. Im Theater betrachtet der Zuschauer das Geschehen, das sich auf der Bühne vollzieht. Im Märchen geschieht alles in der Begegnung des Erzählers mit den Zuschauern. Daher ist der Blickkontakt so wichtig.

 Julia Nimke

Foto: Julia Nimke
Unternehmenskommunikation ist da eher Theater als ­Märchen, oder?
Ja, häufig ist das so. Müsste es aber nicht. Denn Märchen machen das, was Pressesprecher gerne erreichen wollen: Sie verbinden die Menschen mit der Botschaft, weil sie ein gemeinsames Erlebnis teilen, nämlich das ­Märchen.
Letzte Frage. Was ­sagen Sie ­eigentlich, wenn ­Märchen als Kinderkram ­bezeichnet werden?
Dieses Vorurteil begegnet mir oft. Dabei wurden Märchen ursprünglich für Erwachsene erzählt. Um Volksweisheiten weiterzutragen, über eine Bildsprache. Und heute funktioniert diese Bildsprache natürlich immer noch.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Storytelling – Marken machen ohne Märchen. Das Heft können Sie hier bestellen.

Weitere Artikel