„Es ist die spannendste Zeit meiner Karriere“

Susanne Thiele, Sprecherin des HZI

Neben Professor Christian Drosten und Professor Alexander Kekulé erklären insbesondere die Forscher:innen des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig den Menschen in Deutschland die virologischen und epidemiologischen Seiten des Coronavirus. Die Professor:innen Melanie Brinkmann, Michael Meyer-Hermann und Gérard Krause diskutieren in Talkshows, geben Interviews und stehen für Statements zur Verfügung, die auch die Politik in ihren Entscheidungen beeinflusst. Susanne Thiele ist seit 2015 die Pressesprecherin des HZI. Im Interview spricht sie darüber, wie sie die Experten für Medienauftritte vorbereitet, wie das Coronavirus ihre Arbeit verändert und was die Anforderungen an Wissenschaftskommunikation sind.

Frau Thiele, als Sie in der Süddeutschen Zeitung über Melanie Brinkmann gelesen haben „Die versteht doch noch die Sorge des kleinen Mannes um die Endlichkeit der Klopapierrolle“ und sie als „Sex-Symbol“ bezeichnet wurde, was haben Sie da gedacht?

Susanne Thiele: Wir haben das eher auf die lustige Schiene genommen. Frau Brinkmann ist selbst keine Corona-Forscherin. Sie ist Virologin und forscht an Herpesviren. Sie hat sich bereit erklärt, die Anfangskommunikation zu begleiten. Wenn man es schafft, virologische Expertise mit guten Erklärungen für Laien zu kombinieren, hat man viel gewonnen. Das ist Melanie Brinkmann sehr gut gelungen. Da sie drei kleine Kinder hat, wurde sie zu einem Role Model, wie sich eine Karriere als Forscherin mit der Familie verbinden lässt. Einige Kolleg:innen fanden den Artikel allerdings sexistisch.

Das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung ist aktuell in den Medien sehr präsent. Neben Melanie Brinkmann tritt vor allem Michael Meyer-Hermann häufig auf. Wie hat das Ihre Arbeit verändert?

Eine derart hohe Medienpräsenz wie aktuell hat das HZI noch nicht gehabt. Ich bin hier seit 2015 Pressesprecherin und auch für mich ist das neu in dieser Intensität. Wir erhalten seit Januar vermehrt Presseanfragen zum Coronavirus. In Höchstzeiten sind es 60 bis 70 Anfragen pro Tag. Ich bin selbst im Dauereinsatz – auch am Wochenende. Ich habe praktisch eine Standleitung zu unseren Wissenschaftler:innen.

Neben Ihnen sind in Ihrem Team noch zwei Wissenschaftsredakteur:innen und ein Web-Content-Manager beschäftigt. Wie gelingt es Ihnen, die Masse an Anfragen abzuarbeiten?

Bei uns laufen alle Anfragen über die Pressestelle. Also auch diejenigen, die direkt an die Professor:innen gerichtet sind. Wir klassifizieren die Anfragen in „TV“, „Leitmedien im Print-Sektor“, „Hörfunk“ und „regionale Medien“. Inzwischen haben unsere Expert:innen viele Statements zu unterschiedlichen Aspekten der Pandemie formuliert. Wir haben diese gesammelt und unseren Wissenschaftler:innen zur Verfügung gestellt. Die Statements enthalten dann auch Aussagen, die in andere Fachgebiete hineinreichen. So sind die Wissenschaftler:innen auch über ihr unmittelbares Fachgebiet hinaus sprechfähig. Indem wir die Statements sammeln und systematisch aufbereiten, können wir als Pressestelle viele ähnliche Anfragen beantworten. Wesentliche Unterstützung erfahren wir durch die Arbeit des Science Media Center. Bei den virtuellen Pressebriefings können wir uns inhaltlich einbringen und auf diese Weise über 100 Journalist:innen auf einmal erreichen. Sie veröffentlichen auch Empfehlungen, die eine unmittelbare politische Wirkung entfalten.

Zum Beispiel haben Sie zu einem „umsichtigen, schrittweisen Öffnungsprozess“ geraten und empfohlen, mehr zu testen. Überschreitet das HZI damit nicht seine wissenschaftliche Expertise?

Als Helmholtz-Zentrum vertreten wir die Philosophie, dass wir der Gesellschaft Daten und wissenschaftliche Erkenntnisse zur Verfügung stellen. Wir haben Wissenschaftler:innen, die etwas zur Virologie, Epidemiologie und Systembiologie sagen können. Dazu zur Impfstoffentwicklung und Antikörperforschung. Jede:r Forscher:in sagt etwas aus ihrer:seiner Perspektive. Das ist der normale wissenschaftliche Prozess. In der Öffentlichkeit ruft das schon mal die Reaktion hervor, dass die Wissenschaftler:innen sich einigen sollten. Deshalb versuchen wir, auch übergeordnete Perspektiven mit in die Einschätzungen zu integrieren. Wir überlassen die Deutungshoheit der Ergebnisse natürlich der Politik, die viele verschiedene Aspekte wie psychische Belastungen oder die Einflüsse auf Wirtschaft und Bildung aufgrund der Schließung von Schulen berücksichtigen muss.


Science Media Center

Das Science Media Center Germany (SMC) versteht sich als unabhängige Wissenschaftsredaktion, die Journalist:innen bei der Berichterstattung über Themen mit Wissenschaftsbezug unterstützt. Das Center erstellt Fact Sheets, veranstaltet Pressebriefings mit Wissenschaftlern und bietet Statements von Experten zu Themen wie Medizin, Klima, Mobilität und Digitalisierung an. Gesellschafter sind die Klaus Tschira Stiftung (90 Prozent) und die Wissenschafts-Pressekonferenz (10 Prozent). Als Förderer engagieren sich unter anderem Fachgesellschaften, Forschungseinrichtungen und Unternehmen wie die Bertelsmann-Stiftung, BASF, Covestro und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Redaktionsleiter ist Volker Stollorz.


An Virolog:innen und Epidemiolog:innen gab es zuletzt viel Kritik. Vor allem an Christian Drosten und dem RKI. Drosten hat Morddrohungen erhalten. Inwieweit trafen derartige Angriffe auch das Helmholtz-Zentrum und Ihre Professor:innen?

Insbesondere nach Fernsehauftritten erhalten wir auch mal negative Stimmen. Aber so extrem, wie Professor Drosten das schildert, sind die Beleidigungen und Angriffe gegen unsere Wissenschaftler:innen bislang glücklicherweise nicht. Nach den Modellierungen von Professor Meyer-Hermann, die besagten, dass der Lockdown etwas länger fortgesetzt werden sollte, gab es aus der Wirtschaft Bedenken. Uns haben Unternehmer:innen angeschrieben, die ihre Position klargemacht haben. Das ist aber auch richtig. Nach einer Talkshow von „Anne Will“ mit Meyer-Hermann ist die Modellierung mit dem IFO-Institut entstanden, dass alles, was das Virus schädigt, auch gut für die Wirtschaft ist. Die Interessen sind weitgehend deckungsgleich.

Wie entscheiden Sie, welche TV-Auftritte Ihre Professoren wahrnehmen?

„Lanz“ ist zum Beispiel ein Format, in dem Melanie Brinkmann häufig zu Gast war. Ich höre mir im redaktionellen Vorgespräch die Themen und die Gästeliste an und entscheide dann, ob ich unsere Experten dort reinsetzen möchte. Wir würden uns zum Beispiel nicht an Bundesliga-Diskussionen beteiligen. Wenn es darum geht, neue Ergebnisse zu kommunizieren, die wir ja am HZI jeden Tag haben, dann beteiligen wir uns gerne. Meine Philosophie lautet, eher seltener aufzutreten und dafür mit konkreten Ergebnissen in eine Debatte reinzugehen. Wir sind natürlich trotzdem sehr präsent. Aber das ist viel weniger, als was wir machen könnten. Ein Problem für die Medien ist, dass in der Corona-Diskussion anfangs nicht viele Experten bereit waren, vor die Kamera zu treten.

Eigentlich müssten doch sehr viele Mediziner über die notwendige Expertise verfügen. Zum Beispiel in der Deutschen Gesellschaft für Virologie.

Wir mussten viele Presseanfragen aus Ressourcengründen absagen. Es hätte also die Chance für andere Experten gegeben. Wir haben Medien auch regelmäßig andere kompetente Virologen oder Impfstoffforscher empfohlen.

Christian Drosten beklagte sich, dass er von Medien falsch wiedergegeben worden sei. Wie nehmen Sie die Fachkompetenz von Journalisten im medizinisch-wissenschaftlichen Bereich wahr?

Man muss leider sagen, dass einige Journalisten nicht gut vorbereitet in die Diskussion gehen. Wir haben Anfragen bekommen, die sich Journalisten schon anhand der FAQs des Robert Koch-Instituts selbst hätten beantworten können. Einige hingen in der Diskussion drei Wochen hinterher. Solche Anfragen beantworten wir dann mit Pool-Statements. Es geht ja vielen nur darum, irgendwie ein zitierfähiges Statement zu bekommen – fast egal von wem. Es gibt aber auch Wissenschafts-, Medizin- und Daten-Journalisten, die sich sehr gut eingelesen haben. Denjenigen Journalisten, die sich nicht so gut auskennen, bieten wir an, dass wir Artikel noch einmal gegenlesen und Fakten checken. Die Tonalität der Artikel verändern wir natürlich nicht.

Machen Medien das? Lassen diese Fakten checken?

Ja. Manchmal Teile von Artikeln oder auch ganze Artikel. Wer sehr unsicher ist, macht das durchaus. Leitmedien tun das in der Regel nur in Ausnahmefällen.

Wie bereiten Sie Ihre Experten auf Pressetermine vor?

Professor Krause war vorher beim RKI und ist sehr gut trainiert im Umgang mit Medien. Er formuliert sehr ausgewogen. Unsere anderen Wissenschaftler haben eine Art Training on the Job bekommen. Wir haben Pressetermine vor- und nachbereitet. Wir waren anfangs von der Anfragenflut so überrannt, dass es eher eine persönliche Beratung war. Diejenigen HZI-Experten, die jetzt mit ihren Forschungsprojekten als Newcomer an die Öffentlichkeit gehen, bereiten wir systematisch vor. Ohne Training treten diese nicht vor die Kamera.

Worauf kommt es an, wenn Wissenschaftler:innen vor die Kamera treten? Was können sie falsch machen?

Man muss Wissenschaftler:in gut darauf vorbereiten, dass in Talkshows investigative Fragetechniken verwendet werden. Es wird schnell von der eigentlichen Expertise in das persönliche Leben gewechselt, sodass ein:e Wissenschaftler:in geneigt ist, als einfache:r Bürger:in zu antworten. Diese Äußerungen werden dann trotzdem als wissenschaftliche Expertise wahrgenommen. Sich auf den wissenschaftlichen Bereich und seine Kompetenz zu beschränken, muss man trainieren.

Wie sollen sich Wissenschaftler:innen in so einer Situation verhalten?

Eine Möglichkeit ist, im Interview deutlich zu sagen, dass ich nicht mehr als Forscher:in antworte, sondern beispielsweise als Mutter oder als Vater. Es ist ein dynamischer Prozess. In die Falle tappt man normalerweise nur einmal. Beim nächsten Mal sind Wissenschaftler:innen dafür sensibilisiert und es passiert nicht mehr.

Mit welchen Herausforderungen ist die Wissenschaftskommunikation allgemein konfrontiert? Worin liegt die Schwierigkeit, wissenschaftliche Themen Journalist:innen und der Öffentlichkeit verständlich zu machen?

Es ist wichtig, die Fragen von Laien immer ernst zu nehmen. Es gibt keine dummen Fragen. Wir versuchen, wissenschaftliche Ergebnisse mit dem Alltag zu verbinden und die Bedeutung für den Einzelnen klarzumachen, indem wir Beispiele verwenden. Was bedeuten multiresistente Keime, wenn jemand in eine Klinik geht? Was bedeuten solche Keime für eine einfache Zahn-OP? Dann wird vieles schnell verständlich.

Wie gehen Sie damit um, wenn zum Beispiel auf Facebook oder Twitter falsche Tatsachen, Fake News oder Verschwörungstheorien unter Ihren Postings geteilt werden?

Wenn wir faktisch belegen können, dass etwas falsch ist, dann stellen wir das natürlich richtig. Auf ganz heftige Schlachten in den Social Media lassen wir uns allerdings nicht ein. Es gibt andere Wege. Als wir Anfragen zu der Theorie erhalten haben, dass das Coronavirus in einem Labor in Wuhan entstanden sein soll, sind wir darauf in einem Interview eingegangen und haben dort erklärt, dass es dafür keine wissenschaftlichen Hinweise gibt. Die besonders spannenden Zeiten für eine:n Pressesprecher:in sind häufig die, die für die Gesellschaft oder ein Unternehmen schwierig sind.

Wie bewerten Sie diese Krise für sich selbst?

Mein Privatleben abends und am Wochenende ist seit Januar runtergefahren. Es ist eine sehr arbeitsreiche Zeit. Sie schweißt aber auch das Team zusammen. Einen Teil der Zeit mussten wir aus dem Homeoffice arbeiten, was noch einmal eine besondere Herausforderung war. Ich würde schon sagen, dass es die spannendste Zeit meines beruflichen Lebens ist.

Gibt es etwas, das Sie selbst aus dieser Krise mitnehmen und was Sie überrascht hat?

Ich muss lobend erwähnen, dass wir bei Medien auf ein großes Verständnis gestoßen sind, unter welchem Stress wir aktuell stehen. Ich habe wenige aggressive E-Mails von Journalist:innen erhalten und eher ein positives Miteinander mit den Medien erlebt. Das hätte ich mir in so einer Extremsituation anders vorgestellt. Einige haben sich sogar gefreut, dass wir in dieser stressigen Lage überhaupt Statements möglich machen. Wir hatten ebenfalls mit effekthaschenden Überschriften zu tun. Vieles versendet sich aber auch einfach.

Welche Kompetenzen sollte jemand mitbringen, der in der Wissenschaftskommunikation tätig sein möchte?

Es hilft natürlich, ein naturwissenschaftliches Studium zu haben, um zu verstehen, wie Wissenschaft funktioniert. Dazu Fremdsprachenaffinität, weil die Wissenschaftssprache nun einmal Englisch ist. Man muss Interviews auf Englisch führen können. Meine Empfehlung ist, als Trainee in eine wissenschaftliche Pressestelle zu gehen oder als Volontär in einer Wissenschaftsredaktion zu beginnen. Vor allem muss man Spaß daran haben, an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Kommunikation zu arbeiten .

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe CORONA UND DIE ZUKUNFT. Das Heft können Sie hier bestellen.

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