Wie sich die Deutsche Bank neue Zielgruppen erschließt

Storytelling-Formate

Die Kumpels, die gemeinsam das perfekte Fahrrad von Hand bauen wollen. Die anderen, die ein Smartphone entwickelt haben, das mit jedem Download zum Beispiel eines E-Books dicker wird, und das sogar mit Schlagseite – je nachdem wie viele Bücherseiten man im wahren Leben in der linken oder rechten Hand ­hätte. Die Kinder-Charity, die sich professionalisieren will. Oder die 3-D-Drucker, die gleich mal für die postindustrielle Revolution stehen. Sie alle erzählen auf Youtube ihre ganz persönlichen „Economy Stories“, hinter denen die Deutsche Bank als Absender zurücktritt, die das Storytelling-Format strategisch nutzt.

„Relevanz ist wesentlich für digitale Kommunikation und die Basis unserer Content-Strategie, seit wir mit dieser Abteilung gestartet sind“, sagt Nico Reinhold, Director und Co-Head Digital Communications. „Das ist mehr als die Produktion von digitalen Formaten wie Tweets, Videos, Infografiken oder Foto-Wort-Strecken für die verschiedenen Kanäle. Relevanz muss erstmal von uns geschaffen werden, damit wir bestimmte Themen besetzen können.“

Die der Bank waren schnell gefunden: Neben Business, Infrastruktur und CSR gehört noch der Research dazu. Doch Reinholds Team stellte erstmal Fragen und hörte zu: Am Anfang stand die Marktforschung. In knapp 700 Interviews befragten die Kollegen Journalisten, Blogger, Analysten, NGOs, Privat- und Geschäftskunden: Welche Themen sind in ihrem privaten und beruflichen Leben relevant? Und um welche davon könnte sich eine Bank kümmern – oder sollte es sogar? Wenig überraschend: Die größte Schnittmenge brachte das Thema Wirtschaft, dicht gefolgt von Finanzen.

Themen bedienen, die Menschen beschäftigen

Aber auch Megatrends fanden sich im Stakeholder-Mapping wie der demografische und der Klimawandel, Globalisierung, Internationalisierung, Digitalisierung. Diese Themen würden für das Format auf menschelnde Geschichten heruntergebrochen und mit einem Economy-Spin versehen. Und weil jede Erzählung einen Zweck hat, gab sich das Team die passenden Ziele: Aufmerksamkeit für die Marke generieren. Die Reputation stärken. Mit den Stakeholdern in den Dialog kommen. Und den Businesses bei ihrer Zielerreichung helfen.

Das Format richtet sich an eine ziemlich breite Öffentlichkeit, es durfte nicht zu kleinteilig werden, ohne hohe Dichte von Fachbegriffen und Fremdwörtern. „Bei den Economy Stories geht es immer um Menschen – denn ohne sie gibt es weder Ideen noch Innovationen“, sagt Nico Reinhold. Darum heißt das Format ja auch nicht „Deutsche Bank ­Storys“.

Fabian Hemmert forscht am Design Research Lab der Berliner UDK, wie man Produkte emotional auflädt und individueller gestalten kann. (c) Julia Nimke/Quadriga Media

Vor der Entwicklung des Contents bedurfte es eines Mindshifts in der Kommunikation: Weg vom reinen Produktverkauf, hin zur Bedürfnisanalyse der Kunden. Reinhold: „Besonders wichtig ist mir: Kommuniziert lieber weniger, aber dafür relevanter und inspirierender. Je mehr du dich als Marke zurücknimmst in der digitalen Kommunikation, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass virale Effekte entstehen, die Zuschauer sich mit deinem Content wirklich beschäftigen und die Inhalte ihre Wirkung entfalten.“

Um die zu bewegen, musste es schon Bewegtbild sein: „Video ist einfach das Leitmedium der digitalen Kommunikation. Beim Thema Wirtschaft sah man bislang zu häufig einen Flatscreen mit einer Fieberkurve und daneben Experten im Anzug, die darüber reden.“ Zu austauschbar für Reinhold. „Wir konkurrieren im Netz mit sehr viel sehr gut gemachtem Content. Wir brauchten also die Inszenierung eines Metathemas mit einem Wirtschafts-Spin, Macher, die begeistern, und dazu eine eigene Bildsprache samt Schnitt, Musik und Farben.“

Und so berichten die Menschen hinter „Herman ze German“, wie sie nach London gingen, um die typisch deutsche Currywurst an die Themse zu bringen, wo sie inzwischen eine Restaurantkette betreiben. Nils Wagner, Gründer von Paprcuts, erzählt von seiner naiven Entscheidung, aus Spezialpapier Handyhüllen und Taschen zu produzieren, und dem Gefühl, plötzlich Unternehmer zu sein. Coworking-Space-Betreiber sprechen über Wissens­transfer und Autor und Wissenschaftler Alan N. Shapiro über Hybrid Thinking.

Eine höhere Reichweite dank der Startupper

Die Protagonisten sind nicht danach ausgewählt, ob sie Kunden sind. Es gibt weder Script noch Honorar. Die „Stories“ seien nur die Plattform, auf der sie ihre Geschichte rund ums eigene Geschäft erzählen, als berichteten sie einem Bekannten davon. Viele der Protagonisten kommen aus der Start-up-Szene und sind aus sich heraus schon Storyteller, wie der Entwickler, der findet, Software müsse sein wie ein Gedicht: Das sei schließlich auch mehr als die Summe seiner Wörter. Wie man die findet? Als Leadagentur unterstützt Fischer Appelt Play, einige wurden auf Konferenzen entdeckt, andere im persönlichen Netzwerk. „Und seitdem die ersten Filme auch im Intranet zu finden sind, kommen immer mehr Vorschläge von unseren eigenen Kollegen im Unternehmen“, freut sich Reinhold.

Nächster Nebeneffekt: Die Startupper sind selbst bestens vernetzt und teilen „ihre“ Economy Story fleißig. So werden die Protagonisten zum wichtigen Distributionskanal, die Bank erhält zusätzliche Reichweite ganz ohne Media Budget. Reinholds Kollegen haben gute Erfahrungen damit gemacht, Zitate aus den Filmen zu twittern: „Hinzu kommen noch ein Motiv aus dem Video, der Link zu Youtube sowie unser Hashtag #EconomyStories. Und wir ­twittern unsere Protagonisten an, die den Tweet dann selbst nochmal retweeten.“

(c) Julia Nimke/Quadriga Media

Jane Ní Dhulchaointigh hat ihren Schwerpunkt in der Nachhaltigkeit. Gegen die Bedenken von Familie und Freunden wurde sie von der Designerin zur Unternehmerin mit einer simplen aber wirkungsvollen Erfindung. (c) Julia Nimke/Quadriga Media

Ob sein Unternehmen so schließlich selbst zum Verleger wurde? Reinhold sieht das anders: „So weit würde ich nicht gehen, wir sehen uns eher als Ermöglicher des Formats. Darum steht im Abspann ja auch ausschließlich: ,Stories brought to you by Deutsche Bank’ – mehr Branding darf es auch nicht sein, sonst funktioniert diese Art von Storytelling nicht.“

Reinholds Team hat seit dem Start vor zweieinhalb Jahren viel dazugelernt: „Ein solches Projekt braucht Zeit. Man muss sich auf ein Thema fokussieren: Je konkreter, inspirierender und unterhaltsamer die Geschichte, des­to besser. Man muss den Kreativen Raum für die Gestaltung lassen beim Einsatz von Schnitt, Musik, Szenenbild. Und auch die Protagonisten brauchen Freiheit. Natürlich gibt es ein Briefing, aber wir wissen vorher nicht, wie eine Geschichte letztendlich erzählt wird. Oder anders formuliert: Man muss loslassen, damit sich die Erzähler und damit ihre Geschichten ­entfalten können.“

Für die Economy Stories entwickelten die Kreativen eine eigene Bildsprache samt Licht, Farben und Musik. Die Erstellung eines Clips wie der rund um den individuell einsetzbaren Klebstoff Sugru dauert nur wenige Tage. Oberste Pflicht der Kommunikatoren für dieses digitale Storytelling-Format: Loslassen. (c) Julia Nimke/Quadriga Media

Dass Zeit trotzdem Geld ist, wird deutlich bei einem Blick auf die Produktions­zyk­len: Über Budgets und Kosten spricht Reinhold nicht, doch vom Brainstorming bis zum Hochladen des Films bei Youtube vergehen nur drei Wochen. Das sind netto fünf bis sechs Tage von der Ideenfindung zur Protagonistensuche, maximal zwei Tage Dreharbeiten, Schnitt und Postproduktion. „Feinschliff und Freigabeprozesse dauern dann nur wenige Stunden“, sagt Nico Reinhold. „Genug Agilität, um auch auf Trends zu reagieren.“

Und wer ist König der Herzen? Am meis­ten Reichweite schaffte bisher das Powerpaar von „Herman ze German“. Die emotionalsten Rückmeldungen bekam jedoch eine andere: die Produktdesignerin mit dem unaussprechlichen Namen Jane Ní ­Dhulchaointigh. Sie entwickelte mit „Sugru“ eine Art Knetkleber, mit dem man Dinge einfach reparieren und zugleich an seine eigenen Bedürfnisse anpassen und gestalten kann. Sie sagt von sich selbst, sie habe keine Ahnung von Zahlen und ihre ganze Familie habe gebangt: „Du bist doch Designerin, warum willst du plötzlich Unternehmerin sein?“ Darauf sie: „Weil ich daran ­glaube.“ ­Schöne ­Geschichte.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Macht. Das Heft können Sie hier bestellen.