Wie Kommunikatoren Krisen vorbeugen können

Mehr Einfluss für die Kommunikation

In der Krisenkommunikation sollte man zwischen zwei Perspektiven unterscheiden: zwischen der Sicht einer Organisation als Ganzes und der einer Kommunikationsabteilung. Für die Organisation ist eine Krise meist mit einem realen oder zumindest potenziellen Schaden verbunden. Geld geht verloren, der Aktienkurs stürzt ab, Mitarbeiter kündigen, Image und Vertrauen bei Stakeholdern, Kunden und in der breiten Öffentlichkeit sinken.

Für die PR-Abteilung sind Krisen vor allem mit viel Arbeit und Druck verbunden. Krisen sind auch eine spannende Zeit: Die Zahl der Medienanfragen erhöht sich. Die Arbeit der Kommunikatoren wird sichtbarer. Deren Meinung ist intern sehr gefragt. Plötzlich rückt die Kommunikation in den Mittelpunkt des Handels der gesamten Organisation. Krisen sind eine Chance für die PR-Experten eines Unternehmens zu zeigen, was sie können.

Zur Krisenkommunikation und -prävention gehört es, sich auf mögliche Szenarien vorzubereiten. Airlines haben Pläne für Flugzeugabstürze in der Schublade. Banken sind für Hackerangriffe und Datendiebstahl sowie Energiekonzerne für Kraftwerksausfälle kommunikativ gerüstet. Die Höhe des Schadens hängt entscheidend davon ab, wie sich ein Unternehmen oder eine Organisation in der Krise verhält. Gelingt es, Empathie zu zeigen? Agiert die Führung transparent? Werden Stakeholder und Öffentlichkeit umfassend informiert? Oder entsteht der Eindruck, dass etwas vertuscht werden soll?

Kommunikationsgetriebene Unternehmen

In der Krise sind Kommunikatoren Ausputzer und Schadensbegrenzer. Ihre Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass ein Reputationsschaden aufgrund negativer Medienberichterstattung möglichst gering ausfällt. Die Ursache einer Krise kann die PR-Abteilung selten beheben, außer sie hat sie selbst verschuldet.

Die Frage ist, ob sich mehr Krisen vermeiden ließen, wenn Kommunikatoren früher in Unternehmensstrategie und Produktentwicklung einbezogen würden. Hätte man Kommunikatoren gefragt, ob es eine gute Idee ist, als Bank Finanzprodukte zu entwickeln, mit denen sich auf illegalem Weg Steuern vermeiden lassen, hätte wohl kaum einer mit „Ja“ geantwortet. Bei Dieselgate wäre es nicht anders gewesen: Im großen Stil Abgaswerte manipulieren? Das kommunikative Desaster war vorprogrammiert.

Unternehmen müssen zu kommunikationsgetriebenen Gesellschaften werden. Kommunikatoren selbst zu Gestaltern, die das Handeln ihrer Arbeitgeber beeinflussen können. Welche Wirkung hat ein Produkt auf die öffentliche Wahrnehmung? Könnten uns Produkte in Verruf bringen? Oder eine Krise auslösen? Öffentlichkeitsarbeiter scheinen hier machtlose Zuschauer zu sein. 

Zwar haben ein Head of Communications oder Pressesprecher meist einen direkten Draht zum CEO, Minister oder Geschäftsführer. Sie sind enge Vertraute und verbringen viel Zeit mit der Leitung. Im Vorstand sitzen Kommunikatoren aber so gut wie nie. Kommunikation wird hier vom Marketing oder von Human Resources repräsentiert und genießt selten höchste Priorität. PR leidet darunter, dass sie nicht immer messbar ist. Der Wert von guter und schlechter Arbeit ist schwer quantifizierbar. Tracking-Tools für die On- und Offline-Welt entwickeln sich zwar stetig weiter. Den finanziellen Wert eines positiven Images abbilden können sie aber weiterhin kaum.

Reputationsrisiken am Anfang erkennen

Gute Kommunikatoren haben ein sehr genaues Gefühl dafür, wie das Handeln ihrer Arbeitgeber in Öffentlichkeit und Medien ankommt. Sie wissen auch recht präzise, welche Medien wie berichten werden und welche auf eine Krise anspringen könnten. Sie werden nur zu selten gehört. Ein Vorstand ohne Kommunikation verfolgt ein eindeutiges Interesse. Verkaufserfolg und Geschäftszahlen stehen im Mittelpunkt. Außendarstellung und langfristige Wirkung werden vernachlässigt. Das ist die Kernkompetenz von Kommunikatoren.

Haltung ist ein inflationär gebrauchter Begriff. Aber können sich Unternehmen wirklich sicher sein, dass ihre Zielgruppen und vor allem die Jugend ihre Kaufentscheidungen weiterhin hauptsächlich vom Preis abhängig machen? Dass sie sich wenig Gedanken um Nachhaltigkeit und Integrität machen? Sie mit Blick auf das Klima – überspitzt gesagt – zusehen, wie Unternehmen ihre Zukunft verspielen?

Die Fridays for Future zeigen, dass es möglich ist, Menschen in großer Zahl für eine Sache zu mobilisieren. Bisher haben Aktivistengruppen ihr Auge selten konsequent und langfristig auf einzelne Unternehmen gerichtet. Boykottaufrufe gibt es immer wieder mal. Sie verlaufen meist im Sand, weil es an prominenten Unterstützern und professioneller Öffentlichkeitsarbeit mangelt. Zwar kommt eine Umfrage von Civey im Auftrag der Agentur JP/Kom 2018 zu dem Ergebnis, dass mehr als 67 Prozent der Befragten schon einmal ein Unternehmen oder dessen Produkte aus politischen Gründen boykottiert hätten. Aber wie lange? Wie konsequent?

Zusammenschlüsse von Aktivisten, Influencern, politischen Gruppierungen und Celebrities könnten in Zukunft häufiger auftreten. Aufgrund von Social Media könnten sie enorme Wucht entfalten. Das Rezo-Video hat gezeigt, dass ein einzelner Einfluss auf Wahlergebnisse nehmen kann. Unternehmen sind also gut beraten, sich auf Krisenszenarien wie „Mega-Shitstorms“ und Boykotts vorzubereiten.

Die effektivste Krisenprävention wäre, ein Geschäftsgebaren an den Tag zu legen und Produkte anzubieten, die gar nicht erst Anlass für Ablehnung und Hass bieten, sondern die moralisch vertretbar sind. Dafür müssten Unternehmen kommunikative Bedenken frühzeitig berücksichtigen und ihre Produkte gegebenenfalls anpassen – zulasten des Gewinns. Es scheint zweifelhaft, ob Firmen dafür bereit sind.

 

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe KRISE. Das Heft können Sie hier bestellen.

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