Wie Gefühle bei öffentlichen Auftritten wirken

Imagefalle?

Wenn Trigema-Chef Wolfgang Grupp, der mit dem Affen, in den Medien auftritt, dann ist das immer eine hochemotionale Angelegenheit. So wie sein tierischer Sidekick in der Werbung polarisiert, so tut das auch der Chef des letzten verbliebenen Sportbekleidungsherstellers auf der Schwäbischen Alb. Weil der Mann eine Meinung hat. Und weil er sie alles andere als nur sachlich vorträgt. In Grupps Empörung sind die Andersdenkenden auch schon mal „Idioten“. Der Mann zeigt Meinung und klare Kante. Der Erregungszustand des Herrn im Maßanzug ist dabei meist nahe am Limit. Seine Hand zerschneidet während der Diskussion nicht selten die Studioluft. Und seine stählerne Stimme stellt sicher manchen Tontechniker vor schier unlösbare Probleme. Fast möchte man sich Sorgen machen um den Herrn Grupp. Nicht nur um seinen Gesundheitszustand – immerhin ist der empörte Herr schon über 70. Sondern auch um seinen guten Ruf. Darf der das? Mit so viel Emotion in die Öffentlichkeit? So mancher Öffentlichkeitsarbeiter würde seinen Chef zügeln wollen, wenn er so wie Grupp mit vollem emotionalem Karacho ins Kontor mancher Talkshow donnert.

Die klare Antwort: Er darf das! Die Emotionen stehen ihm. Sie stärken sein Image als Macher. Die Menschen mögen Grupp. Und zwar genau so. Weil er seine Persönlichkeit nicht versteckt, sondern sie ungebremst und mit aller Emotion von der Leine lässt. Das ist das Ergebnis einer qualitativen Studie, die wir durchgeführt haben. Die Teilnehmer: acht Personen aller Altersgruppen und beiderlei Geschlechtes. Unterschiedliche soziologische Herkunft. Unterschiedliche Bildung. Die Probanden hatten die Aufgabe, sich verschiedene Filme mit Auftritten von Managern und Politikern anzuschauen. Und dann zu diskutieren, wie diese Auftritte auf sie wirken. Dass der Fokus der Untersuchung auf dem Thema „Emotion“ liegt, wussten die Teilnehmer nicht. Bei Grupp ist schnell klar: Der Mann darf so auftreten, wie er es zu tun pflegt. Empört. Kämpferisch. Polternd. Allesamt Pluspunkte für ihn. Und warum? Das zeigt die ­Diskussion über den nächsten Kandidaten. Die Teilnehmer der Studie schauen sich die „Wutrede“ von Christian Lindner (FDP) an.

Als dieser im Landtag von NRW durch einen Zwischenruf auf seine gescheiterte Tätigkeit als Unternehmer angegangen wird. Diese Rede ist ein Hit im Netz. In knapp drei Minuten lässt Lindner von seinem Gegner nicht mehr viel übrig. Erst zerlegt er ihn mit dem rhetorischen Florett. Als ihm dies immer besser gelingt und zunehmend auch Spaß macht, knöpft er sich das Sakko auf und nimmt auch mal den rhetorischen Hammer. Er redet sich in Rage. Er tut das, was man auch im Hohen Haus eines Bundeslandes eher nicht macht. Er wird hochemotional, persönlich berührt, argumentiert höchst erregt. Von den Teilnehmern der Untersuchung bekommt er dafür Anerkennung. Warum? Weil er aus einer persönlichen Betroffenheit und Überzeugung heraus emotional reagiert. Es geht um sein Scheitern als Unternehmer. Er will zum Exempel statuieren, dass Gründer und Unternehmer in Deutschland mehr als nur eine Chance verdient haben. So wie Wolfgang Grupp als betroffener Unternehmer für den Standort Deutschland kämpft und dabei alle Sympathien auf seiner Seite sind, so darf auch Lindner – als zu dem Thema Gründen und Scheitern persönlich Betroffener – in die Rhetorikkiste mit den großen Emotionen greifen, weil es mit dem Gesamtbild seiner Persönlichkeit ein rundum überzeugender Auftritt ist.

Erstes Fazit: Die Emotion darf bei öffentlichen Auftritten nicht instrumentalisiert werden! Das Publikum hat ein feines Gespür dafür, wann Wut, Empörung und Tränen „echt“ sind, wann sie aus vollem Herzen kommen. Dann können Emotionen dem Image guttun. Wenn sie hingegen gespielt sind, lediglich als rhetorischer Trick und ohne Fundament eingesetzt werden, dann sieht es schon anders aus. Dann kann die – gespielte – Emotion die Wirkung des Auftritts ramponieren.

Als Arbeitsministerin Andrea Nahles bei der Generaldebatte im Bundestag als eine der Letzten zu Wort kam, brachte sie ihren Protest gegen die Regierung singend zum Ausdruck. Pippi Langstrumpf ließ grüßen. (c) picture alliance / dpa

Als Arbeitsministerin Andrea Nahles bei der Generaldebatte im Bundestag als eine der Letzten zu Wort kam, brachte sie ihren Protest gegen die Regierung singend zum Ausdruck. Pippi Langstrumpf ließ grüßen. (c) picture alliance/dpa

Ein Beispiel dafür: Wer erinnert sich nicht an den Auftritt von Andrea Nahles, die der Kanzlerin und dem gesamten Bundestag das „Mach-ich-mir-die Welt-wittewitte-wie-sie-mir-gefällt“-Credo von Pippi Langstrumpf singend zum Vortrag bringt. Auch das: pure Emotion. Zumal mit dem Hintergrundwissen, dass sie selbst eine junge Tochter hat, die dieses Lied wohl zuhause tagein, tagaus hört oder gar singt.
Man könnte meinen: Auch hier verzeiht das Publikum diese „Authentizität“. Honoriert sie gar mit einem Zugewinn fürs Image. Aber: weit gefehlt! Denn das Persönliche (die Erfahrung als Mutter) ist hier nicht Kern, sondern Instrument der Empörung. Und das kommt gar nicht gut an. Merke: Emotion muss ein glaubwürdiger Gegenstand der Empörung sein und nicht nur deren Mittel! Dann tut sie dem Image gut.

 Jürgen Klopp, noch Trainer von Borussia Dortmund, rastet häufiger mal aus. (c) picture alliance/ augenklick/firo Sportphoto

Hinterher tut es ihm (fast) immer Leid: Jürgen Klopp, noch Trainer von Borussia Dortmund, rastet häufiger mal aus. (c) picture alliance/augenklick/firo Sportphoto

Wie sehr das stimmt, belegt der Gegencheck aus dem Sport. Die furchterregenden Wutausbrüche von Jürgen Klopp, dem scheidenden BVB-Coach, sind Legende. Sein Gesicht gegenüber manchem Schiedsrichter: eine Grimasse, die dem Publikum auch in der schrecklichsten aller Geisterbahnen einen Schauer über den Rücken jagen würde. Als Strafe musste Klopp dafür auch schon mal ein Spiel auf der Tribüne zu Ende anschauen.

Wie urteilt der Zuschauer? Was macht diese übelste aller Emotionen mit dem Image von „Kloppo“? Die Diskutanten in der Gruppe sind sich einig: Der darf das! Weil – anders als bei Nahles – die Emotion wieder Kern der Empörung ist. Echt. Authentisch könnte man sagen.

Damit sind wir beim Modewort aller Öffentlichkeitsarbeiter: Authentizität! „Der ist halt so!“ Und darf deswegen auch so sein, wie er nun mal ist. Stimmt das? Wird jede Emotion verziehen, wenn sie nur „hundert Prozent echt“ ist?

 Sigmar Gabriel und Marietta Slomka. (c) Screenshot. youtube.com/watch?v=Ow-36J-nY8

Fetzten sich vor einem Millionenpublikum: Sigmar Gabriel und Marietta Slomka. (c) Screenshot: youtube.com/watch?v=Ow-36J-nY8

Die Probanden unserer Untersuchung sehen ein Interview von Marietta Slomka mit Sigmar Gabriel. Wir erinnern uns: Gabriel, Ende November 2013 gerade von der Bühne gestiegen, voller Endorphine, weil er eben erst seine kritische Basis von den Vorzügen einer großen Koalition überzeugt hat. Diese breite Zustimmung bei den zweifelnden Genossen war nicht abzusehen. Gabriel ist berauscht von seinem Erfolg. Und gibt der hartnäckigen TV-Journalistin ordentlich Paroli. Bis hin zu dem Vorwurf, Sozialdemokraten würden im ZDF immer kritischer befragt als die Vertreter anderer Parteien. Mit dieser Wut ist der Parteivorsitzende so authentisch wie seinerzeit sein Vorgänger im Parteiamt. Als Gerhard Schröder dieser Angela Merkel in der Elefantenrunde ihren Sieg nicht recht gönnen wollte.

Und wie kommt die Authentizität von Gabriel nun an? Gemischt. Wer ihn mag, der mag ihn. Auch wütend. Und wer zweifelnd ist, der mag ihn weniger. Weil wütend. Die Wut und Empörung von Sigmar Gabriel verlässt hier den Pfad der „Argumentation“. Er verfolgt kein Ziel mehr mit seinen Emotionen. Sondern ist viel mehr „authentisch“ als „überzeugend echt“, so wie es Christian Lindner ist. Bei Sigmar Gabriel ist die Emotion wieder mehr Mittel als Gegenstand der Empörung. Und – was erschwerend hinzukommt – sein Gegenüber ist eine angesehene Journalistin und eine Frau dazu. Gabriel verlässt hier mit seinen Emotionen die Erwartungen an seine Rolle. Als souveräner Politiker. Und als Gentleman. Das gibt deutlich Minuspunkte.

Das unterstützen auch die Fragebögen unserer Untersuchung. Wobei klar ist, dass es sich um Hinweise handelt, die im Rahmen von explorativen Interviews keinen Anspruch auf statistische Relevanz erheben. Alle Teilnehmer mussten die Protagonisten aus den Filmen vor dem Anschauen der Filme bewerten hinsichtlich Kriterien wie „sympathisch“, „energisch“, „durchsetzungsstark“ und „Machertyp“. Und nach dem Anschauen noch einmal. Die Kandidaten Lindner, Grupp und Klopp konnten sich mit ihren Emotionen in diesen Werten verbessern. Andrea Nahles hat durch ihren Auftritt deutlich verloren. Und die Einordnung von Sigmar Gabriel schwankt je nach grundsätzlicher Sympathie. Wer ihn mag, hat ihm verziehen. Wer ihn ohnehin nicht mag, bei dem konnte er auch mit seinen Ausbrüchen gegenüber Frau Slomka nicht punkten.

Also: Emotionen zeigen bei öffentlichen Aufritten? Auf jeden Fall. Aber: Emotionen müssen Teil einer plausiblen Geschichte sein.Sie müssen Baustein der rhetorischen Argumentation sein. Niemals nur das Mittel zu einer durchschaubaren Show. Und niemals nur echte, authentische und pure Emotion allein, sonst nimmt das Image Schaden. Und vor allem: Bei aller Emotion niemals aus der Rolle fallen. Denn: Hundert Prozent Authentizität wird nur im Sport verziehen!

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Strategie – wie man erfolgreich plant. Das Heft können Sie hier bestellen.

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