Wie funktioniert Leadership eigentlich in …

Internationale Führung

In Deutschland wird eher aufgaben- als personalorientiert geführt. Chefs scheuen sich nicht davor, Kritik klar auszusprechen. Auch wenn der Trend hierzulande in die Richtung geht, menschenorientierter und ein bisschen mehr mit Herz, statt nur mit Kopf zu managen, stehen Direktheit und eine gewisse Leistungs­fixierung nach wie vor hoch im Kurs.

Das geht auch aus der Forschung von Felix C. Brodbeck hervor, der den Lehrstuhl Organisations- und Wirtschaftspsychologie an der LMU München innehat. Inwiefern sich effektive Führung in verschiedenen Ländern unterscheidet, beleuchtet die Globe-Studie (Global  Leadership and Organizational Effectiveness),  für die Brodbeck zusammen mit 170 Wissenschaftlern und Praktikern in 61 Ländern entscheidende kulturelle Faktoren unter die Lupe genommen hat.

Wie sehr sich die internationalen Führungsstile im Hinblick auf Autoritäts- und Veränderungs- beziehungsweise Teamorientierung unterscheiden, wird im Schaubild (siehe unten) deutlich.

In der Grafik von Felix C. Brodbeck werden die verschiedenen Führungsstile weltweit dargestellt.

Fest steht: Die Art, wie Leadership gelebt wird, ist maßgeblich durch kulturelle Umstände beeinflusst. Wie sich deutsche Führungskräfte aus dem Feld der Kommunikation ganz praktisch auf Teamleiter-Positionen im Ausland eingestellt haben und an welche Verhaltensweisen sie sich erst einmal gewöhnen mussten, verraten sie im Folgenden.

USA

Alexander Bilgeri (c) Rainer Häckl

USA: Alexander Bilgeri war bis September 2016 Vice President Corporate Communications of the Americas bei BMW. Seither leitet er, zurück in Deutschland, die Produktkommunikation der Gruppe. (c) Rainer Häckl

Alexander Bilgeri: “Ich konnte die Erfahrung machen, dass ein Team in Deutschland im Entscheidungsprozess diskussionsfreudiger und kritischer ist. Die nordamerikanischen Kollegen suchen nur in Ausnahmefälle die Auseinandersetzung oder stellen eine Entscheidung grundlegend in Frage. Daneben werden Hierarchien in den USA – gerade von älteren Kollegen – stärker gelebt, trotz einer vordergründigen Lockerheit. Ein Beispiel: Ich konnte feststellen, dass Konflikte zwischen Team-Mitgliedern oftmals nicht offen geklärt werden und versucht wird, die Hierarchie außen vor zu lassen. Man hat als Führungskraft das Gefühl, etwas läuft nicht, aber es dauert, bis man der Ursache auf den Grund kommt. Daneben besteht die Tendenz, Entscheidungen in der Hierarchie nach oben zu delegieren oder Entscheidungen zu sozialisieren. Jedoch ändert sich dies derzeit mit der zunehmenden Verjüngung des Teams: Die Kommunikation der jüngeren Kollegen ist weniger hierarchisch oder scheu.”

EMEA

Katrin Sulzmann (c) Kubinska & Hofmann

EMEA: Katrin Sulzmann ist Head of Corporate ­Communications Europe, India, Middle East & Africa bei Henkel. (c) privat

Katrin Sulzmann: “Seit über zehn Jahren habe ich das große Privileg, Kommunikationsteams in Asien, Europa, dem Mittleren Osten und Afrika zu leiten. Die Grundsätze für erfolgreiche Führung sind zunächst einmal universell: Klarheit, Vertrauen und ein genuines Interesse an der Person. Was mich vor allem in Wachstumsmärkten wie Indien oder dem Mittleren Osten immer wieder aufs Neue fasziniert, ist der positive energiegeladene Spirit und die ausgeprägte „Wir-schaffen-das“-Mentalität. Durch das volatile Umfeld und die rasante Entwicklung dieser Märkte sind auch die Menschen agiler und flexibler. Daher muss man sich in seinem Führungsstil entsprechend anpassen und Prozesse und Vorgaben flexibler gestalten, ohne globale Standards aufzuweichen. Das Team spielt insgesamt eine wichtigere Rolle als hierzulande. Erfolge werden gemeinsam zelebriert und Fehler immer als Teamverantwortung gesehen. Der regelmäßige persönliche Kontakt ist essenziell und Respekt und Anerkennung sind wesentlich. Wer das beherzigt, erhält seinen Einsatz in Form eines extrem engagierten Teams doppelt und dreifach zurück.”

USA

Jens Christmann (c) Kubinska & Hofmann

USA: Jens Christmann, Global External Affairs Director bei Wrigley, wechselte vor vier Mo­naten in die Konzernzentrale nach Chicago. (c) Kubinska & Hofmann

Jens Christmann: “Schon Berufseinsteiger sind in den USA durch Schule und College darin geübt, ihre Stärken auf den Punkt zu bringen und überzeugend zu vermitteln. Bei allem Teamspirit gibt es immer auch ein starkes Wettbewerbselement. Jeder Mitarbeiter beherrscht sein eigenes Self-Branding und Storytelling. In Bewerbungsgesprächen macht es das nicht leicht, die Spreu vom Weizen zu trennen. Für die Arbeit in der Kommunikation sind diese Fähigkeiten natürlich sehr nützlich, im persönlichen Kontakt bewirken sie aber auch, dass man lernen muss, Dinge zu hinterfragen.

Wenn ich einen Mitarbeiter kritisiere, gebe ich ihm immer zuerst die Gelegenheit zur Selbsteinschätzung. In interdisziplinären Teams gilt, dass Konflikte im Einzelgespräch, niemals vor der Gruppe ausgetragen und Showdowns vermieden werden. Man stellt immer wieder die eigene Sicht da und vertagt sich notfalls, bis man einen ‚Deal‘ hat. Das, was nicht gesagt wird, ist oft entscheidend. Ganz wichtig sind in den USA positive Formulierungen: Statt von problems sollte man über opportunities oder personal development sprechen. Alles ist möglich, Amerikaner gehen stets vom Best Case aus. Gerade deshalb wird hier aber auch Scheitern besser hingenommen – so lange man hart gearbeitet hat und aus seinen Fehlern lernt. In den USA gilt: ‘Ask for forgiveness, not for permission’. Hierarchien werden zwar gelebt, aber Prozesse und formale Abstimmung sind den Amerikanern eher weniger wichtig. Es wird sich nicht ständig beim Chef rückversichert, sondern ein Aufschlag gemacht und später notfalls eine Kurskorrektur vorgenommen. Flexibilität und Geschwindigkeit sind wichtiger. So gilt zum Beispiel auch in der Kommunikation ‚Twitter first‘, – also im Zweifel erst mal das Thema definieren und die Überschrift setzen, bevor man überhaupt anfängt, eine klassische Pressemitteilung zu schreiben oder Interviews zu führen.”

Frankreich

Mathias Schuch (c) privat

Frankreich: Mathias Schuch ist seit ­September ­vergangenen Jahres Vice President ­Corporate Communications beim Kern­technikunternehmen Areva in Paris. (c) privat

Mathias Schuch: Viele Positionen erfordern hierzulande eine französische Management-Karriere, es geht aber auch anders. Ich bin zwar neu in Frankreich, aber schon lange im Unternehmen, vielen Kollegen also vertraut – und ich spreche fließend Französisch. Der Zugang zur Sprache ist für mich als Führungskraft enorm wichtig.

Man ist hier ständig und über alle Hierarchieebenen hinweg im Gespräch miteinander, die zwischenmenschliche Kommunikation ist Dreh- und Angelpunkt. Auch wenn ein Projekt läuft und nicht zwingend weiterer Abstimmungsbedarf besteht, ist das kontinuierliche Einbeziehen der eigenen Führungskraft und natürlich auch der Mitarbeiter Normalität. Anders als in Deutschland können solche Gespräche oft auch informell ablaufen, zum Beispiel, wenn man einen der Vorstände auf dem Gang trifft und spontan Themen bespricht. Ein Klischee, das sich für mich bestätigt hat: In Frankreich fallen Entscheidungen oft nicht am Besprechungstisch, sie werden durch kleine informelle Vorgespräche, ein Vorfühlen, maßgeblich mitbestimmt.

Im direkten Umgang ist man etwas impulsiver, Beziehungen werden aber durch konstruktive Kritik nicht dauerhaft belastet, so mein erster Eindruck. Von mir als Chef wird zu Recht erwartet, auch die persönliche Situation meiner Mitarbeiter im Blick zu behalten und auf bestimmte Rahmenbedingungen, wie familiäre Verpflichtungen und insbesondere lange Anfahrtswege im Großraum Paris, Rücksicht zu nehmen. In Frankreich gibt es in der Kommunikation mehr Frauen in Führungsverantwortung, in nehme dadurch ein höheres Maß an Empathie wahr. Darüber hinaus besteht ein gewisser Hang zur Improvisation, sicher auch unserem Aufgabespektrum geschuldet, ich bemühe mich beispielsweise gerade – vielleicht typisch deutsch – darum, den operativen Alltag stärker zu standardisieren.

Asien

Tino Fritsch (c) privat

Asien: Tino Fritsch ist Head of ­Communications Asia Pacific bei Thyssenkrupp und von ­Singapur aus tätig. (c) privat

Tino Fritsch: “First we become friends, then we make business‘ – diesen Satz sollte sich jeder merken, der in Asien Geschäfte wittert oder eine Führungsposition übernimmt. Der asiatisch-pazifische Großraum war und ist charakterisiert durch eine aus europäischer Sicht oft unterschätzte Vielfalt an Kulturen und Sprachen. Was ihn prägt, sind komplexe Beziehungsgesellschaften, die grundverschiedenen Entscheidungsmustern folgen und damit eine andere Art von Führung erfordern.

Nie zuvor in der langen Geschichte vieler Länder wie China, Vietnam, Indonesien oder jetzt in den Philippinen, konnte eine Generation den gesellschaftlichen Aufstieg aus eigener Kraft schaffen. Der amerikanische Traum ist heute ein asiatischer. Und diese historische Chance will keiner verpassen. Man spürt diesen Wettbewerb im Berufsleben wie im Alltag. Routine passt nicht in die Dynamik dieser Volkswirtschaften. Es gibt keinen Mangel an top-ausgebildeten Talenten. Und das Selbstbewusstsein ist bereits auf westlichem Niveau. Gerade im Kommunikationsbereich sehe ich eine Avantgarde heranwachsen, die sich dem globalen Wettbewerb begeistert stellt.
Globale Konzerne und Marken sind als Arbeitgeber gefragt, vor allem jene, denen es gelingt, regionale und kulturelle Aspekte zu berücksichtigen. Die Beziehungsebene bestimmt das Handeln. Wenn meine Mitarbeiter spüren, dass ich mich für sie interessiere und einsetze, auch außerhalb des Beruflichen, dann schafft dies Vertrauen und äußert sich in Loyalität. Vertrauen ist auch hier der Anfang von allem. Unternehmen, die im hochkompetitiven chinesisch geprägten Asien ihre Mitarbeiter ans Unternehmen binden wollen, müssen Pers­pektiven aufzeigen. Dabei kann ein Titel durchaus wichtiger sein als eine Gehaltserhöhung.”

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe FÜHRUNG. Das Heft können Sie hier bestellen.

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