Wie entsteht Unternehmensreputation?

Rezension vom PR-Prof

Bereits der Titel „Reputation und Wahrnehmung“ verrät, worauf es Alexander Fleischer in seiner Dissertation ankommt: Im Mittelpunkt seiner theoretischen Überlegungen zur Reputationsentstehung steht der Anthropos – also der aufrecht schreitende Mensch, der fühlt und denkt und auf der Basis seiner Wahrnehmungen urteilt. Da es Menschen sind, die urteilen, ob Personen oder Unternehmenspersönlichkeiten Reputation verdienen oder nicht, ist es nur konsequent, beim Menschen und nicht – wie in herkömmlichen Reputationstheorien üblich – bei Organisationen anzusetzen.

Fleischer grenzt sich bewusst von dem von ihm als handlungsorientiert klassifizierten Forschungsstrang zur Reputation ab. Er kritisiert, dass die Dominanz des betriebswirtschaftlichen Blickwinkels zu einem „Coporate Bias“ geführt habe, der zu unbefriedigenden Ergebnissen führe. So berge die Ausrichtung der Forschung an den Maßstäben der Beurteilungsobjekte (Unternehmen) die Gefahr, allenfalls Symptome und nicht deren Ursachen zu betrachten.

Aus obengenannten Gründen tritt Fleischer die Flucht aus dem „eisernen Käfig“ (Sandhu) an, streift die Betriebswirtschaft nur partiell und bedient sich bei der Entwicklung seiner eigenen Theorie zur Reputationsentstehung mutig und beherzt aus den Steinbrüchen der Philosophie und Sozial-Psychologie. Informativ und lesenswert sind in diesem Zusammenhang vor allem die einführenden etymologischen Betrachtungen. Sie veranschaulichen, dass die Wurzeln der Reputation weit in die Geschichte der Menschheit zurückreichen und Reputation soziologisch oder sozialpsychologisch betrachtet als symbolisches Kapital eine Legitimations-, Integrations- und Komplexitätsreduktions-Funktion hat. Wem Reputation zugeschrieben wird, der hat zwangsläufig mehr Chancen, Möglichkeiten und Spielräume als derjenige, dem Reputation nicht zugestanden beziehungsweise aberkannt wird, was sogar riskant sein kann. Reputation, schlussfolgert Fleischer, ist ein wesentlicher Faktor für die Resilienz eines Unternehmens, womit sich auch das ausgeprägte Interesse der Betriebswirtschaft an diesem Thema erklären lässt.

Die Definition von Reputation

An die Betriebswirtschaft angelehnt, aber dennoch konsequent aus dem Blickwinkel der Wahrnehmenden oder aus einer wahrnehmungsorientierten Perspektive heraus entwickelt Fleischer schließlich Schritt für Schritt eine umfassende Definition von Reputation. Dabei hat er sich die Mühe gemacht, den Begriff „Reputation“ zu definieren und ihn von naheliegenden Begriffen wie „Image“, „Identität“, „Selbst“ oder „Marke“ abzugrenzen. Gerade diese Passagen sind auch für Studierende und Praktiker hilfreich, die oftmals Schwierigkeiten haben, die Bedeutung von Begriffen für die Entwicklung von Strategien zu erkennen. In diesem Kontext beschreibt Fleischer ferner dezidiert, was das Wesen von Reputation ausmacht. So konstatiert er, dass Image ein Abbild des Eindrucks darstellt, Reputation hingegen ein Urteil. Kommunikation sei notwendig, damit sich Wahrnehmungen zu Reputation verdichten kann  – und zwar in Form von interpersonaler Kommunikation zwischen zwei Menschen beziehungsweise danach über weitere unbekannte Dritte.

In Kapitel vier und fünf wird die Frage beantwortet, wie Reputation entsteht. Hierfür verknüpft Fleischer von Thuns Vier-Seiten-Modell mit psychologischen Erkenntnissen der Gestalttheorie und mit Urteilsheuristiken des Nobelpreisträgers Daniel Kahnemann. Kahnemanns Erkenntnisse zur Funktionsweise des Gehirns zeigen, dass es zwei unterschiedliche Denkmodi gibt, ein System, das schnell und intuitiv denkt, und ein System, das langsam und wohlüberlegt denkt. Systeme, die aber nicht unabhängig voneinander betrachtet werden dürfen. Je nachdem, wie bedeutsam ein Mensch ein Ereignis oder eine Person empfindet, wird der Eindruck mal mehr von System 1, mal mehr von System 2 gesteuert. Je bedeutsamer ein Ereignis für eine Person, desto mehr wird das langsame Denken aktiviert. Eine Erkenntnis, die Fleischer zufolge bislang von der Reputationsforschung zu wenig beachtet wurde.

Die Brücke vom Individuum, das durch Spurenbildung in seinem Gehirn zu einer Bewertung gelangt, zum Kollektiv, das in universell gültiger Weise Reputationsinformationen in gleicher Weise strukturiert, erklärt Fleischer mit Rückgriff auf das Wiedererkennungsgedächtnis oder Carl Gustav Jungs Theorie vom „kollektiven Unbewussten“. In einem tiefen Bereich der Psyche, im kollektiven Unbewussten, liegen die so genannten Archetypen. Da die Fähigkeit, die Vertrauenswürdigkeit anderer Menschen einschätzen zu können, seit jeher eine überlebenswichtige Kompetenz ist, nimmt Fleischer mit C.G. Jung an, dass Menschen im kollektiven Unbewussten gemeinsame Beurteilungsmaßstäbe zum Wesen von Urteilsobjekten haben. Oder mit Fleischers Worten: „Die kollektive intuitive Beurteilung lässt sich über Schemata im kollektiven Unbewussten, die Archetypen, erklären“.

Aktive Potenz, Weisheit und Güte

Des Weiteren arbeitet Fleischer Gemeinsamkeiten zwischen der empirischen Reputationsforschung von Eisenegger, Imhof und Schwaiger sowie der Ontologie heraus. Mit Blick auf die Seinsforschung, die sich mit den wesentlichen Beurteilungskriterien der Menschheit beschäftigt, stößt er auf den Archetyp schlechthin, die Dreiheit oder Trinität.

Analog zur Philosophie, in der die Trinität aus aktiver Potenz, Weisheit und Güte eine maßgebliche Zielgröße darstellt, will Fleischer in der wahrnehmungsorientierten Reputationsentstehungs-Theorie Reputation als Zielgröße verstanden wissen, die sich an den gleichen Dimensionen wie die Philosophie orientiert: Der Idealtypus der guten Reputation besteht demnach aus aktiver Potenz, Weisheit und Güte, wobei die drei Dimensionen als gleichgewichtiges Ganzes betrachtet werden.

Auch wenn die Begriffe zunächst arg philosophisch anmuten, beweist Fleischer durch die Gegenüberstellung einiger von Schwaiger und Ingenhoff verwendeten Items in der empirischen Reputationsforschung, dass die Dimensionen aktive Potenz, Weisheit und Güte bereits eine empirische Entsprechung haben und damit zwar abgehoben klingen, dennoch praxistauglich sind. Fleischer geht aber noch weiter und entwickelt auf der Basis seiner philosophisch-psychologisch inspirierten Ausführungen verschiedene Modelle, die Praktiker dabei unterstützen sollen, ihre Ausgangslage zu analysieren bzw. Strategien zur Erreichung des Idealtypus der guten Reputation zu entwickeln.

Auf der Basis seiner Modelle entwickelt Fleischer in Kapitel 7 ein fiktives Fallbeispiel, mit dem er veranschaulicht, wie sein Idealtypus der guten Reputation, sein Modell der Reputationstypologie und sein Modell der Reputationsentstehung in der Praxis angewendet werden können. Auch wenn das fiktive Beispiel zeigt, wie die in den theoretischen Kapiteln entwickelten Erkenntnisse den Prozess der Beeinflussung der eigenen Reputation und der Strategieentwicklung beeinflussen könnten, stellt sich die Frage, warum am Ende dieses  instruktiven Buches doch wieder die Organisationsbrille dominiert. So vermittelt das Fallbeispiel in Kapitel 7 den Eindruck, der Leser würde nicht einem Wissenschaftler folgen, sondern einem Unternehmensberater bei der Arbeit über die Schulter schauen.

Aus Sicht der wahrnehmungsorientierten Reputationsforschung wäre es aber konsequenter gewesen, auf das Fallbeispiel zu verzichten und statt dessen zu fragen, welche methodologischen und methodischen Herausforderungen dieser Strang der Reputationsforschung mit sich bringt. Alles in allem ist das Buch aber überaus lesenswert, weil dem Leser eine neue und spannende Lesart zur Reputationsentstehung angeboten wird.

Alexander Fleischer: Reputation und Wahrnehmung – Wie Unternehmensreputation entsteht und wie sie sich beeinflussen lässt. Springer VS. 29,99 Euro.

Dies ist der zweite Teil unserer neuen Online-Kolumne, in der PR-Profs Neuerscheinungen für die Kommunikationsszene unter die Lupe nehmen. Falls Sie ein Buch kennen, das rezensiert werden soll, können Sie sich gern bei uns melden (jeanne.wellnitz@helios-media.com). Weitere Teile dieser Kolumne siehe unten.

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