Wer hat Angst vorm Streisand-Effekt?

Media Relations

Mitansehen zu müssen, wie Informationen, die man gerne aus der Öffentlichkeit herausgehalten hätte, aufgrund genau dieser Geheimniskrämerei ein noch größeres Publikum erreichen – diese Situation kommt sicherlich einigen Kommunikatoren bekannt vor. Dass dieser Effekt sogar einen Namen hat, ist möglicherweise weniger bekannt.

Ein Beispiel: Um gegen die Veröffentlichung eines von ihm in den 80er-Jahren verfassten Manuskripts durch Spiegel Online zu kämpfen, zog der Grünen-Politiker Volker Beck sogar bis vor den Europäischen Gerichtshof. Das Ergebnis: Urheberrechtlich geschützte Werke dürfen unter bestimmten Voraussetzungen bei der Berichterstattung über aktuelle Ereignisse verwendet werden. Die endgültige Entscheidung über den Fall Beck drückte der EuGH jedoch wiederum an die nationale Gerichtsbarkeit ab.

Diese Entscheidung zum Urheberrecht ist sicherlich eine Meldung wert. Böser Nebeneffekt: Der „Stein des Anstoßes“, nämlich das Manuskript von Volker Beck, ist nun ebenfalls in aller Munde. Heikel ist dies insofern, als Beck sich in dem Text von 1988 für die teilweise Entkriminalisierung von Sex mit Kindern ausgesprochen hatte.

In der Zwischenzeit hat Beck sich zwar deutlich von dem Schriftstück distanziert – dass Spiegel Online den Text ohne diesen Hinweis veröffentlichte, gab Anlass zu seiner Klage. Durch sein entschiedenes Vorgehen gegen die Veröffentlichung erreichte er jedoch statt Distanz zu den damals geäußerten Gedanken das genaue Gegenteil: War Becks Autorenschaft des Texts in den vergangenen Jahrzehnten mehr oder weniger aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden, haben die zahlreichen Medienberichte zum Thema sie nun wieder in Erinnerung gerufen.

Dieses Medienphänomen hat einen Namen: Streisand-Effekt. Er tritt immer dann auf, wenn Personen oder Institutionen sich darum bemühen, bestimmte Inhalte aus dem Netz zu entfernen, diese danach jedoch erst recht einer großen Öffentlichkeit bekannt werden.

Unfreiwillige Namensgeberin des Effekts ist tatsächlich die US-Sängerin Barbra Streisand. Im Jahr 2003 stellte der Fotograf Kenneth Adelman mehrere Fotos ins Netz, mit denen der die Erosion der kalifornischen Küsten dokumentieren wollte – darunter auch eine Luftaufnahme vom Anwesen Streisands. Daraufhin forderte diese Adelman dazu auf, das Foto wieder zu entfernen, verklagte ihn schließlich sogar auf 50 Millionen Dollar. Erst damit stellte sie jedoch überhaupt die Verbindung zwischen sich und dem abgebildeten Haus her –  nun wurde das Foto natürlich erst recht vielfach geteilt und auf zahlreichen Plattformen veröffentlicht. Der Streisand-Effekt war geboren.

Ein weiteres bekanntes Beispiel aus dem Jahr 2016: Das wenig schmeichelhafte Spottgedicht des ZDF-Moderators Jan Böhmermann über den türkischen Präsidenten Erdoğan. Am nächsten Tag wurde prompt der deutsche Botschafter ins türkische Außenministerium einbestellt. Ein Verbot des Gedichts wurde angestrebt – welches das Landgericht Hamburg sogar teilweise aussprach. Im Anhang des Urteils fand sich jedoch: das „Schmähgedicht“ in voller Länge.

Hätte der Beitrag unter normalen Umständen lediglich die begrenzte Zuschauerschaft eines Satiremagazins aus dem Nachtprogramm des Nischensenders ZDFneo erreicht, beförderten die Reaktion Erdoğans, die Einmischung der deutschen Regierung und das tosende Medienecho den Fall prompt zur Staatsaffäre. Heute lässt sich wohl kaum jemand finden, der nicht immerhin von der „Böhmermann-Affäre“ gehört hat. Eine Strafanzeige und zahllose Medienberichte später lässt sich sagen: Hier war eindeutig der Streisand-Effekt am Werk.

Erdoğan befindet sich in guter Gesellschaft – der Streisand-Effekt hat in der Geschichte der Medien bereits zahlreiche Opfer gefordert. Darunter beispielsweise Ex-DFB-Präsident Theo Zwanziger (ging gerichtlich gegen die Bezeichnung „unglaublicher Demagoge“ vor, als den ihn ein Journalist bezeichnet hatte, wodurch sein Verhalten umso kritischer beäugt wurde), und Scientology (versuchte, ein Video von Tom Cruise aus dem Internet zu verbannen, wodurch dieses natürlich noch viel stärker verbreitet wurde).

Der Effekt hat aber auch Gewinner: So beispielsweise der Personenbeförderer Uber: Im Jahr 2014 demonstrierten Taxifahrer in mehreren europäischen Städten gegen das damals noch relativ unbekannte Unternehmen und rückte es damit erst in den Fokus der Öffentlichkeit. Das Resultat: Uber kennt heute jeder. Und die Taxifahrer? Dürften durch dessen Popularität einige Umsatzeinbußen erlitten haben.

Welche Lehren hält der Effekt nun für Kommunikatoren bereit? Eine totale Kontrolle von Informationen ist im heutigen digitalen Zeitalter kaum noch möglich. Und sollte tatsächlich einmal etwas Heikles ungewollt nach außen dringen, gilt bei der nachfolgenden Kommunikation gelegentlich auch die alte Weisheit: weniger ist mehr.