Wer hat Angst vorm bösen Bot?

Künstliche Intelligenz

Kennen Sie den Turing-Test? Sicher kennen Sie ihn – nur vielleicht nicht unter diesem Namen. Der legendäre britische Mathematiker Alan Turing hat ihn vor fast 70 Jahren entwickelt, um im Gespräch herauszufinden, ob man es mit einem Menschen oder einer Maschine zu tun hat – der ultimative KI-Test. Wir alle kennen Situationen, in denen wir mit Menschen zu tun haben, die aber wie Bots agieren: eingebunden in Regelwerke, angeschlossen an begrenzt intelligente Datenbanken. Und wir alle haben Situationen erlebt, in denen wir zu dem Schluss gekommen sind: Egal ob Mensch oder Maschine – sie sind nicht einmal künstlich intelligent.

Revolution im Kundenservice

Das ändert sich inzwischen. Vor allem im Kundenservice erleben wir die Einbruchstelle und das Experimentierfeld für viele automatisierte Corporate Bots. Arag hat kürzlich einen Versicherungsbot eingeführt. Der Buchungsassistent der Lufthansa Mildred gibt via Messenger Auskunft über den Flugplan. Insbesondere die Banken-Branche ist hier seit Jahren Vorreiter: Vom Genossenschaftsbot Sarabi über zahlreiche Individualentwicklungen bis zum New Yorker Start-up Kasisto – die Idee eines automatisierten Finanzberaters nimmt durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) immer realistischere Züge an.

CRM, Internet-Services, Call-Center, Auskunftsdienste, Bürger-Dienstleistungen – überall da, wo klar definierte, enge Handlungskontexte vorliegen und die Inhalte im Wesentlichen aus Datenbanken kommen, werden Bots dominieren. Sie werden nie müde oder unfreundlich, und sie lernen aus Fehlern. CRM-Bots müssen dabei scheinbar wenig leisten: Sie nehmen freundlich ein Gespräch an und generieren aus der Datenbank Antworten. Ihre Formulierungskunst ist bereits heute so, dass sie sprachlich mit uns Menschen mithalten können.

Ein offener Dialog ist für einen Bot allerdings nach wie vor eine gewaltige Herausforderung. Wenn Fragen kommen, die das semantische Inventar übersteigen, bleibt ihm nur eins: geschickt ausweichen. Niemand zweifelt allerdings daran, dass KI und Machine Learning diese Technologie in den nächsten Jahren wesentlich leistungsfähiger machen werden. Sie werden Emotionen anhand von Stimme, Tonalität und Mimik erkennen – und darauf eingehen können.

Die vielen Showcases und Pilotprojekte, die es inzwischen gibt, zeigen: Bots können Spaß machen. Der positive Effekt liegt in der Vertikalisierung, der Kommunikation auf Augenhöhe. Mit Bots steigt man sofort in den Dialog mit einer Marke ein, ohne erst in einer Telefonwarteschleife zu hängen. Man nutzt die eigene, natürliche Sprache, nicht vorgestanzte, von Anwälten geprüfte Kunstausdrücke. Bots werden bald ganz geschmeidig dabei helfen, all die Informationen aufzubereiten, die man bislang in den Untiefen von Webseiten oder Q&As herausfinden musste.

Und die Kanäle verschieben sich. Apps oder E-Mails werden dramatisch an Bedeutung verlieren. Kommunikation findet in Messengern wie Whatsapp oder Facebook statt. Der Dialog wird dadurch zur vorherrschenden Kommunikationsform. Nach der Narrationsrevolution werden wir die Konversationsrevolution erleben.

Einsatzbereiche von Bots

Auch in vielen Kommunikationsabteilungen wird inzwischen über den Einsatz der digitalen Helfer nachgedacht. Schaut man sich die bisherigen Einsatzbereiche von Chatbots an, dann kristallisieren sich verschiedene Anwendungsschwerpunkte heraus.

Denkbar wären Push-Services im Sinne von Presseverteilern 4.0. Dabei können interessierte Journalisten Newsbots abonnieren, die aktuelle Informationen verbreiten. Der Unterschied zu klassischen E-Mail-Verteilern besteht darin, dass über einfache dialogische Vertiefungsmöglichkeiten weitere Informationen abgerufen werden können oder ein direkter Transfer vom Dialog organisiert werden kann, ohne einen Medienbruch zu verursachen. Wie sich das anfühlt, kann man bei der Newsapp „Novi“ sehen, bei der man im Facebook-Messenger aktuelle Nachrichten bekommt, die über Antwortoptionen vertieft werden können.

Im Bereich Dialogmanagement ist die Sache aus verschiedenen Gründen schwieriger. Dass die Masse der Journalisten-Anfragen von Bots statt von Pressesprechern bearbeitet wird, ist eher fraglich. Schaut man sich die Akzeptanz von Chatbots bei der Normalbevölkerung an, dann gilt dies umso mehr für Journalisten, die nicht gerade als Early Adopter von neuen Technologien bekannt sind.

Trotzdem kann man sich im PR-Alltag eine Reihe von Aufgaben vorstellen, die sich häufig wiederholen und möglicherweise standardisierbar sind. Das Abrufen von Pressemappen, Produktproben, die Koordination von Interviewterminen mögen dazugehören. Diese Aufgaben könnten von Pressesprecher-Bots übernommen werden. Hier muss man allerdings aufpassen, dass sie die eigentliche Kontaktarbeit nicht konterkarieren. Standard-Anfragen können Anlässe sein, Beziehungen aufzubauen und ins Gespräch zu kommen – das wird der Kollege Bot in den nächsten Jahren noch nicht übernehmen können.

Anders sieht das in Sondersituationen mit engem Handlungskontext aus. In kritischen Kommunikationssituationen könnten „Krisen-Bots“ dabei helfen, die Presseabteilungen von Standard-Anfragen zu entlasten und sich auf die wirklich wichtigen Aufgaben zu konzentrieren. In der internen Kommunikation können Chatbots dazu beitragen, Aufgaben besser zu managen. Denkbar sind etwa Informationsagenten, die Rechercheaufgaben ausführen. Legaltech-Anwendungen werden beispielsweise Anfragen zur Rechtslage in konkreten Handlungskontexten beantworten können.

KI-Algorithmen werden aber auch das Wissensmanagement im Unternehmen beflügeln. Auf der Basis von neuronalen Netzwerken wurde zum Beispiel bei Telefónica ein dialogbasiertes Wissensnetz für die interne Kommunikation etabliert. Der Algorithmus nimmt Fragen entgegen und gibt sie an Experten im Unternehmen weiter. Dabei werden den kompetentesten Experten automatisch Fragen zugewiesen. Nach einigen Monaten nutzten schon 2.800 Mitarbeiter das Tool, und es zeigte sich, dass mehr als 50 Prozent der Fragen in weniger als zwei Stunden beantwortet wurden. Künstliche Intelligenz beschleunigt den internen Dialog.

Robo-Redakteure

Ein anderes Anwendungsfeld wird im Bereich der automatisierten Text-Produktion liegen. Natural Language Generation heißt das Zauberwort. Sogenannte NLG-Algorithmen sind in der Lage, auf Knopfdruck Texte zu produzieren – wenn nötig, Tausende verschiedene Varianten. Dabei geht es selbstverständlich nicht um die Produktion von Leitartikeln, Kommentaren oder stilistisch hochwertigen Texten. Edelfedern wird man auch weiterhin brauchen, aber eben nur noch für bestimmte Zwecke.

Die Eins-zu-eins-Revolution wird eine enorme Ausweitung des Textbedarfs nach sich ziehen. Wir sehen jetzt schon, wie Redakteure am Limit ihre Geschichten für immer mehr Zielmedien und Outputkanäle aufbereiten. So setzen inzwischen zahlreiche europäische Nachrichtenagenturen NLG-Software ein – oder experimentieren zumindest damit. In der Sport- und Finanzberichterstattung bietet sich das geradezu an: Ähnlicher Kontext, wenig Textvarianten, Inhalte aus hochstrukturierten Datenbanken – das sind ideale Bedingungen für Kollege Textroboter.

Natürlich ist auch der beste Robo-Redakteur nur so schlau wie der Mensch, der ihn bedient. Dieser gibt vor, was geschrieben werden soll. Die Maschine skaliert und individualisiert die Textmengen dazu. Immer mehr Redaktionshäuser werden von Textproduktionsalgorithmen unterstützt. Sie werden in wenigen Jahren so selbstverständlich sein wie heute der Laptop als Arbeitsmittel.

Die Einsatzmöglichkeiten von Text-Robotern sind enorm. Die Pilotprojekte reichen von der individualisierten Pressemitteilung über Newsletter bis zum Content-Marketing und synchronisiertem Ad-Targeting – alles individuell getextet und mit kundenspezifischen Informationen versehen. So könnte beispielsweise das Einladungsmanagement bei Großevents in Zukunft personalisiert ablaufen. Je nach Datenbasis wird jedes Einladungsschreiben individualisiert und auf die konkreten Bedürfnisse des Eingeladenen zugeschnitten. Dabei können persönliche Vorlieben und berufliche Interessen genauso berücksichtigt werden wie regionale Unterschiede. Das Tor zur individualisierten Eins-zu-eins-Kommunikation ist damit auch für die Unternehmenskommunikation weit aufgestoßen.

Die Qualität der Daten

Werden Bots auf Basis von Algorithmen entwickelt, dann hängt die Qualität dessen, was sie zu sagen haben, vor allem von der Qualität der zugrunde liegenden Daten ab. Nicht nur deswegen spielen Daten daher eine zunehmende Rolle bei der Planung, Steuerung und Evaluation der Kommunikation. Vorreiter sind hier die Kollegen aus dem Digital-Ressort oder dem digitalen Marketing, wo der Umgang mit Web Analytics, SEO Analytics und Social Media Analytics Teil der alltäglichen Arbeit ist.

In diesen Daten steckt viel Potenzial, um mehr zu erfahren über Stakeholder-Präferenzen und -einstellungen, über die Response auf Themen und Inhalte, verwendete Begrifflichkeiten, die Eignung einzelner Plattformen und Kanäle für bestimmte Aufgaben. Kurzum, sie bilden einen großen Teil der Stakeholder Journey ab. Allerdings sind die einzelnen Metriken häufig noch Stückwerk, das je für sich betrachtet wird, und sie erfassen noch kaum die nichtdigitalen Kanäle.

Möglichkeiten der Datennutzung

  • Bei der Segmentierung auf Basis von Stakeholder-Interessen, -herkunft oder Demografie können Daten aus Social Media Listening, SEO und Web Analytics herangezogen werden. Eine Herausforderung ist, dass man hier auf unterschiedliche Datenbasen zurückgreift. Technologisch ist es jetzt schon möglich, diese zu integrieren und unterschiedliche „Nutzer“ zu matchen – allerdings sind diese Möglichkeiten noch relativ aufwändig und der europäische Datenschutz schränkt die Möglichkeiten (zum Glück?) ein.
  • Die Segmentierungsmöglichkeiten und das Targeting werden immer granularer. Damit einher geht die differenzierte Nutzeransprache durch entsprechende Daten. Standardmäßig lassen sich bereits Facebook-Posts auf mikroskopische Nutzersegmente herunterbrechen und lassen sich die Botschaften anpassen. Im E-Mail-/Newsletter-Bereich ist eine personalisierte Ansprache je nach Nutzerverhalten normal, wenn auch noch ziemlich mechanistisch.

    Nachgedacht wird über personalisierte Webangebote, die sich so anpassen, dass sie Nutzerbedürfnisse antizipieren und eine Vorauswahl von Inhalten bereitstellen. Beispielsweise würden Nutzer, die über Google nach einem Thema suchen, eine andere Startseite angezeigt bekommen als jene, die über einen Link aus einem redaktionellen Portal kommen.

  • Bei der Optimierung von geplanten Maßnahmen spielen multivariate Tests eine wichtige Rolle. Mit ihnen werden alternative Seiten, Überschriften, Bildmotive, Anzeigen und Posts miteinander verglichen und die besseren Alternativen ausgewählt. In naher Zukunft werden Varianten automatisiert durch Algorithmen getestet.
  • Die Identifikation von Influencern ist heute schon Tagesgeschäft bei Medienbeobachtern. Hier geht die Tendenz von Influencern zu Mikro-Influencern (von denen es natürlich viel mehr gibt), weil die zugrunde liegenden Technologien leistungsfähiger werden.
  • Man kann über SEO-Tools oder Social-Media-Listening-Tools relevante Inhalte oder Themen identifizieren und Argumentationsmuster erkennen.
  • Im Bereich der Darstellungsformate gibt es eine Reihe von datenbasierten Ansatzpunkten wie Data Storytelling oder die Nutzung von Virtual oder Augmented Reality. Voraussetzung dafür sind Digitalisierungsmöglichkeiten über Sensoren, die physische und digitale Realität verbinden.
  • Monitoring-Tools können genutzt werden, um potenzielle Fake News über die Organisation frühzeitig zu erkennen. Es ist jedoch noch nicht möglich zu erkennen, was tatsächlich Fake News sind – es gibt also leider noch keine „Wahrheitsmaschine“, auch wenn Google hofft, über KI das Thema in den Griff zu kriegen.

Pressestelle auf Turing

Bis ein Nutzer eine künstliche Intelligenz im Unternehmensalltag nicht mehr als solche erkennt, wird noch einige Zeit vergehen. Alan Turings Vorhersage, dass dies bis zum Jahr 2000 möglich sein werde, hat sich nicht erfüllt – bis heute nicht. Viele sehen das als einen Beleg dafür, dass die Komplexität natürlicher Intelligenz unterschätzt wurde. Aber es kann keinen Zweifel daran geben, dass die Automatisierung der PR voranschreitet. Künstliche Intelligenz, Machine Learning und Data Analytics sind die Treibertechnologien dieser Entwicklung.

PR-Mitarbeiter werden in Zukunft ein vielfältiges Aufgabenspektrum haben. Text- und Kommunikationskompetenz sind längst nicht mehr alles. Neben der klassischen Textverarbeitung werden inzwischen HTML- und Content-Management-Erfahrung verlangt. Und in Zukunft wird es eben auch Data PR Specialists geben.

Dass eine starke künstliche Intelligenz den Turing-Test bestehen wird, ist nur eine Frage der Zeit. Ein Grund zum Angsthaben ist das nicht. Die Aufgabenfelder werden eher explodieren als wegbrechen. Besser wird also sein, wir bringen die Unternehmenskommunikation jetzt schon mal so langsam auf Turing.

 

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