Wenn Mitarbeiter frei entscheiden können

Management

Zuständige horten immer noch allzu gerne bestimmte Informationen unter dem Deckmantel des Datenschutzes. Wieder andere verfügen über einen exklusiven Zugang zu Wissen und schützen ihn wie ihren Augapfel, um anderen Wettbewerbern keinen Vorteil zu verschaffen. Und bahnt sich dann eine Krise an, wird sie so lange wie möglich zurückgehalten.

Doch irgendwann kommt alles heraus. Warum es also nicht gleich offenbaren? Wie soll sich ein unternehmerischer Geist im Unternehmen entwickeln, wenn Entscheidungen nicht auf Basis aller relevanten Daten getroffen werden können?

Damit Menschen sich ohne feste Zuständigkeiten, Führungstiere und Hierarchiegerangel organisieren können, benötigen sie eine Reihe von Freiheiten. Dazu gehört die Informationsfreiheit genauso wie die Meinungsfreiheit. Natürlich ist ein Team, in dem jeder sagen kann, was er denkt, schneller, innovativer, kreativer und leistungsfähiger. Wenn alles ausgesprochen werden kann, werden bessere Entscheidungen getroffen. Denn eine Entscheidung, die freiheitlich getroffen worden ist, kann sich auf das eigentliche Problem beziehen. Sie muss den Führungskräften nicht gefallen. Was dabei oft vergessen wird: Sie können natürlich nur dann gute Entscheidungen treffen, wenn sie auf alle dafür relevanten Daten zugreifen können.

Das verführt die Mächtigen im Unternehmen regelmäßig dazu, andere glauben zu lassen, sie wüssten alles – dabei werden Informationen geheim gehalten und es wird verschwiegen, dass Informationen nicht weitergegeben werden. Das ist dann eine versteckte Zensur.

Insofern ist Transparenz eher ein subjektives Gefühl; der Glaube, informiert zu sein. Der Begriff Transparenz, der für den Informationsfluss in Organisationen so häufig gebraucht wird, vermittelt vermeintliche Objektivität. Entscheidend dafür, ob eine Mannschaft erfolgreiche Entscheidungen trifft, ist jedoch nicht der Glaube, gut informiert zu sein, sondern der schnelle Zugriff auf alle vorhandenen Daten.

Das geht nur, wenn die Daten herrschaftsfrei verwaltet werden, sie also nicht allein einem Abteilungsleiter, einer Führungskraft oder einem Vorstand exklusiv vorbehalten sind. Andernfalls hätten sie die Macht, die Daten gönnerhaft zu verteilen und zugänglich zu machen, wenn sie jemand anfordert. Denn die Machtinstanz kann unmöglich wissen, wer wann welche Information benötigt. Nein, die Informationen müssen bereits überall verfügbar sein, noch bevor sie für eine Entscheidung benötigt werden.

Dem Zustand absoluter Informationsfreiheit kommen wir wohl nirgendwo so nahe wie im Internet und in den sozialen Netzwerken. Im Internet zeigt sich deutlich, wie sich Menschengruppen auch ohne Vorgaben organisieren können.

Beispiel BVB

Vergangenes Jahr im April fuhren Spieler, Trainer und Betreuer des BVB Borussia Dortmund mit ihrem Mannschaftsbus zum Stadion. Plötzlich explodierten drei Sprengsätze direkt neben dem Bus. Die Nachricht von dem Anschlag verbreitete sich in Windeseile im Netz. Und irgendwann wurde klar, dass nicht nur das Spiel abgesagt war, sondern auch die Fans der gegnerischen Mannschaft aus Monaco an diesem Abend nicht mehr aus Dortmund wegkommen würden.

Als die ersten Dortmund-Fans auf die Idee kamen, den gestrandeten Monaco-Fans privat eine Bleibe anzubieten, war das mediale Echo groß und die Idee fand begeisterte Nachahmer. Nach und nach bildete sich ein Konsens über den verwendeten Hashtag heraus: #bedforawayfans. Tausende Fans fanden Unterschlupf in Privathaushalten.

Diese Spontanaktion ist ein bemerkenswertes Beispiel für die enorme Leistungsfähigkeit von Menschen, denen keiner sagt, was sie tun sollen: Es gab eine klar definierte Gruppe, es gab ein klar definiertes Problem, es gab freien und allgemeinen Zugang zu einem Informations- und Kommunikationsmedium in Echtzeit.

Was es nicht gab: eine Instanz, die die Aktion anordnete, organisierte, orchestrierte, leitete oder zentralisierte. Die Lösung des Problems entstand durch eine nicht vorhersehbare Eigenlogik.

Angenommen, jemand hätte eine ähnliche Aktion zentral organisieren wollen mit den Instrumenten des klassischen Projektmanagements: Allein aufgrund der zentralen Erfassung aller Informationen (Wer ist betroffen? Wo befinden sich die Betroffenen? Wie viele Betten werden gebraucht? Wer hat freie Betten und wie viele?) wäre die ganze Sache schon wieder vorbei gewesen.

Erstaunlich ist zudem, wie detailliert die Akteure informiert waren. Das mussten sie auch sein, schließlich mussten sie laufend Entscheidungen treffen. Ein BVB-Fan, der sich der Aktion anschließen wollte, wusste ganz genau, wo sich zu welchem Zeitpunkt wie viele Monaco-Fans befanden und wie viele bereits ein Obdach angeboten haben. Durch den hohen Grad an Informiertheit wurden schnell viele Entscheidungen getroffen, die in Summe das Problem lösten.

Eine Machtfrage

Das System, das spontan entstand, war dem Problem ebenbürtig: hochkomplex, verflixt schnell, dynamisch und leistungsfähig. Es gab keinerlei zentrale Transparenz, wer wo wie was organisierte. Aber es gab perfekte lokale Transparenz darüber. Alle relevanten Informationen waren überall verfügbar, und wer wollte, hatte Zugang. Es gab keine Zensur, sondern Offenheit. Die Erkenntnisse aus dieser Krisensituation lassen sich verallgemeinern und übertragen. Möchten Sie nicht auch in einem Team arbeiten, das ähnlich leistungsfähig, erfindungsreich und zupackend agiert wie die Dortmunder Fans in der Nacht des Anschlags auf den BVB-Bus?

Dann sollten Sie sich nicht darüber unterhalten, wie Sie Informationstransparenz schaffen. Denn das wäre nur der technische Aspekt. Der treffendere Ansatz wäre: Wie schaffen Sie Zugriff für alle auf sämtliche vorhandenen Daten? Wie können Sie die existierenden Zugangsbeschränkungen abschaffen? Und diese Zugangsbeschränkungen sind eine Machtfrage.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe DATEN. Das Heft können Sie hier bestellen.

Weitere Artikel