Wenn die Stimme versagt

Stress im Beruf

Als Geschäftsführer eines mittelständigen Betriebes für Fensterbau bin ich auf meine Stimme angewiesen. Ob in Kunden- oder Mitarbeitergesprächen, in Verhandlungen mit Lieferanten oder auf der Baustelle – ohne meine Stimme kann ich nicht überzeugend auftreten.

Es war der 25. Dezember 2009, als ich meine Stimme das erste Mal verlor. Ich war abends mit einem Freund in einem Lokal. Wir waren mitten im Gespräch, als nur noch ein Krächzen aus meinem Hals kam. Wir mussten unser Treffen abbrechen. Ich dachte erst, dass ich eine Erkältung verschleppt hatte. Als es nicht besser wurde, ging ich Anfang Januar zu meinem Hausarzt. Dieser behandelte mich zunächst mit Verdacht auf Kehlkopfentzündung, verordnete mir Antibiotika und Sprechverbot. Aber: keine Besserung.

Es begann eine Odyssee mit Arztbesuchen und Verdachtsdiagnosen. Fachärzte wie Phoniater, Lungenärzte, Neurologen und andere Fachärzte untersuchten mich auf Stimmbandlähmung, Lungenkrebs, Gehirntumor sowie auf krankhaftes Sodbrennen, auch Reflux genannt. Ich rannte vom Röntgentermin zur Computertomografie, von Magenspiegelung zu Eigenblut- und Elektrotherapie. Ohne Befund. Innerhalb eines Jahres war ich insgesamt 60-mal beim Logopäden, zehnmal bei der Akupunktur und 20-mal bei der Physio- und Elektrotherapie. Sechs Wochen war ich insgesamt krankgeschrieben.

Ich war ratlos und fühlte mich hilflos. In meinem Kopf schwirrten Fragen umher, wie es mit meinem Betrieb weitergehen sollte. Und was mit meinem Leben passiert, wenn ich nie wieder richtig sprechen kann. Existenzielle Fragen, die regelrecht Panik auslösen.

Gott sei Dank unterstützten mich meine Eltern in dieser Zeit. Da wir einen Familienbetrieb haben, den ich von ihnen übernommen habe, kannten sie die Abläufe. Meine Mutter telefonierte mit Kunden und Lieferanten, mein Vater kümmerte sich um die Verträge. Ich schrieb E-Mails. Mit meinen Mitarbeitern kommunizierte ich, indem ich Zettel oder Whatsapp-Nachrichten schrieb oder eine Frage einfach mit einem Nicken beantwortete. Sie brachten mir sehr viel Verständnis entgegen.

Privat igelte ich mich mehr oder weniger ein. Zwar versuchten mich meine Freunde abzulenken, indem wir uns zum Beispiel zu Spieleabenden trafen. Trotzdem war sozialer Kontakt sehr anstrengend für mich. In Restaurants oder lauten Bars konnte ich nur zuhören und nicken, aber nichts zu einem Gespräch beitragen. Deswegen war ich lieber alleine.

Bis Mai 2010 hatte ich quasi keine Stimme. Ein Heilpraktiker vermutete Stress als Ursache – was Ärzte später bestätigten – und empfahl mir, Saunas, Dampfbäder und Entspannungskurse zu besuchen. Es wirkte. Meine Stimme erholte sich allmählich. Eine vierwöchige Kur im Stimmheilzentrum in Bad Rappenau brachte mir im Januar 2011 schließlich meine Stimme zurück. Ich fühlte mich wie befreit, war erleichtert, endlich wieder normal sprechen zu können. Ich widmete mich wieder voll und ganz meinem Betrieb und hatte die nächsten Jahre über keine Probleme.

Dann kam der Stress zurück

Ein Gerichtsstreit mit einem Kunden war es, der mich im Februar 2018 erneut aus der Bahn warf. Es ging um Baumängel, die er mir anhängen wollte. Ich saß gerade beim Abendessen, als ich eine E-Mail von ihm erhielt. Ich war so aufgebracht, dass mir quasi der Bissen im Halse stecken blieb. Am nächsten Morgen war meine Stimme weg.

Wieder stellten mich Ärzte auf den Kopf, wieder war ich krankgeschrieben, dieses Mal sogar über vier Monate, und nahm unzählige Behandlungen wahr. Meine Eltern sprangen im Betrieb wieder ein und unterstützten mich, wo es nur ging. Sechs Monate später, im August, kam meine Stimme zurück.

Ich habe zweimal meine Stimme verloren und möchte das nicht ein drittes Mal erleben. Ich habe aus meinen Erfahrungen gelernt und weiß jetzt besser damit umzugehen. Zum einen werde ich mich beruflich nicht mehr stressen. Ich werde mein Geschäftshandy nach Feierabend und am Wochenende abschalten und mir ein privates Handy zulegen.

Außerdem will ich regelmäßig schwimmen oder in die Sauna gehen. Damit nicht alles an mir hängen bleibt, werde ich einen zweiten kaufmännischen Angestellten und eine weitere Führungskraft einstellen. Meine Eltern sind alt und können mich nicht ewig auffangen. Auch wenn ich gerne arbeite, habe ich gelernt, dass arbeiten eben doch nicht alles ist. Man lebt schließlich nur einmal.

Protokoll: Heike Thienhaus

 

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe ENDE. Das Heft können Sie hier bestellen.

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