Wenn die Chemie nicht stimmt

#esistbesorgniserregend: Martin Strunden und der MDR

Für das Nachrichtenformat „Sachsenspiegel“ recherchierte der Mitarbeiter des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) Tobias Wilke Anfang Juli für einen Fernsehbeitrag zum Thema Volksverhetzung im Internet und Maßnahmen der Polizei. Tobias Wilke erfragte nach eigenen Angaben am 9. Juli zunächst telefonisch bei der Pressestelle einen Interviewtemin mit dem Minister des sächsischen Staatsministeriums des Innern (SMI) Markus Ulbig. Tobias Wilke wurde um eine schriftliche Anfrage gebeten, die er per Mail an den damaligen Pressesprecher Martin ­Strunden schickte.

In dieser Anfrage, die diesem Magazin vorliegt, wird um ein Interview mit Markus Ulbig für den „Sachsenspiegel“ gebeten; für einen Beitrag, der eine Woche später gesendet werden soll. Tobias Wilke bezieht sich auf einen Bericht des Europarats über die drastisch zunehmende Nutzung des Internets für die Verbreitung rassistischer Äußerungen. Wilke wolle in seinem Beitrag untersuchen, schreibt er, inwiefern öffentliche Postings im Zusammenhang mit der Asylbewerberunterkunft in Freital strafrechtlich relevant sein könnten. Er schickt vier Fragen mit, unter anderem, ob die Urheber rassistischer Äußerungen strafrechtlich verfolgt würden und wie man plane, auf die Internetkriminalität zu reagieren.

Martin Strunden ruft daraufhin Tobias Wilke an und erklärt, dass ein Interview mit Markus Ulbig wegen Terminen und seiner Urlaubszeit nur schwer möglich sei. Strunden hat ihn zudem, laut Tobias Wilke, an das Landes­kriminalamt (LKA) verwiesen, welches ihn wiederum an das „Operative Abwehrzentrum“ verwies, das ein Interview mit dem Polizeipräsidenten in Aussicht stellte, jedoch sagte, dass das SMI für diese Fragen zuständig sei. Später erklärt sich Martin Strunden für einen Termin am 15. Juli bereit. Martin Strunden sagte in einem Gespräch, er habe in diesem Telefonat bereits klar gemacht, dass er nur ein Statement geben werde, die Fragen nicht detailliert beantworten könne.

Bei dem Termin stellte Tobias Wilke als erstes die Frage, warum die Sächsische Polizei nicht von sich aus gegen Hass-Postings in sozialen Netzwerken vorgehe. Martin Strundens Antwort lautet: „Es ist besorgniserregend, wie teilweise in den Netzen sich in Blogs und mit Posts völlig enthemmt geäußert wird. Wichtig ist für die Sicherheitsbehörden, wenn die Grenzen zur Strafbarkeit überschritten werden. Wir sind an dieser Stelle angewiesen auf Meldungen der Bürger. (…) Aber natürlich ermittelt die Polizei auch in Zusammenhang mit sonstigen Ermittlungsverfahren (…).“ Da die Antwort nur den Fakt bestätigt, aber nicht die Frage beantwortet, formuliert der Reporter die Frage insgesamt vier Mal um. Martin Strunden antwortet jedes Mal dasselbe.

Am 16. Juli wurde der Fernsehbeitrag „Hasspostings im Internet“ mit einem Statement ausgestrahlt. Tobias Wilke verfasste zusätzlich einen Onlinebeitrag, in dem er sämtliche Interviews, die er für den Beitrag gedreht hatte, vollständig veröffentlichte; also auch die 2.15-minütige Sequenz von Martin Strundens identischen Antworten auf die vier Fragen. Dieser beschwerte sich daraufhin bei Tobias Wilke und beim MDR, bat darum, den Videoclip zu löschen. Die Juristische Direktion lehnte dies laut Tobias Wilke ab, da belegt werden konnte, dass ein Interview angefragt worden war. Es bleibt damit ein Jahr online.

Was kann man tun, um solche Situationen zu vermeiden? Und wie sehen Sprecher und Reporter unabhängig voneinander die Sachlage? Wir haben nachgefragt: Bei Martin Strunden, Tobias Wilke und der Medientrainerin ­Elisabeth Ramelsberger.

 

Martin Strunden im Interview (c) Privat

Herr Strunden, wie kam es dazu, dass Sie von einem ­Statement ausgingen, obwohl ein Interview angefragt war?
Martin Strunden: Es entspricht der Übung des MDR für „Sachsenspiegel“ unter der Begrifflichkeit „Interview“ anzufragen, obwohl der „Sachsenspiegel“  eigentlich nur das Format „Statement“ kennt. Das heißt für uns als Sprecher, es gibt ein Statement. Und da gilt die alte Regel: Sage nur, was du auch gesendet haben möchtest. Herrn Wilke habe ich gesagt, dass er ein Statement bekommen wird. Wir hatten auch eine Woche zuvor mit dem MDR eine große Runde über die Frage der Zusammenarbeit mit allen Sprechern der sächsischen Regierungshäuser. Auch dort war Thema, dass Anfragen für die Nachrichten als Interviews deklariert sind, faktisch aber nichts anderes sein können als Statements.

Wie hat der MDR darauf reagiert?
„Zur Kenntnis genommen.“

Warum, glauben Sie, fragt der MDR derart an?
Das weiß ich nicht, das müssen Sie den MDR fragen. Es ist Übung des MDR zu verfahren, wie Herr Wilke das gemacht hat, wiederkehrende Fragen zu stellen und aus den Takes kommt am Ende ein Satz für die Nachrichten heraus. So weit, so gut. Nicht angekündigt war, dass die vollständige Produktion des Statements, vom MDR als Interview tituliert, ins Internet gestellt wird. Das war nicht abgesprochen und von mir in keiner Weise vorhersehbar.

Tobias Wilke ­meinte, das ­sei in der ­informellen Runde ­angekündigt worden.
Aber nicht in Bezug auf dieses konkrete Interview. In der informellen Runde wurde darüber gesprochen, dass der MDR als trimediales Medium seine Inhalte auf verschiedenen Ausspielwegen fährt, das ist klar. Ich denke aber, dass es im Umgang zwischen Journalist und Sprecher ein Gebot der Fairness ist, zu sagen, wofür produziert wird und wo ­nachher ausgespielt wird.

Tobias Wilke wollte ­ursprünglich mit Markus ­Ulbig sprechen, was nicht ­zustande kam, weil er im ­Urlaub ­war …
…und weil auch klar in den telefonischen Vorabsprachen von mir artikuliert worden ist, dass ich seine Fragen nicht in der Detailschärfe authentisch beantworten konnte, dafür braucht er den Verfassungsschutz oder das LKA. Er wusste, es gibt von mir ein Statement.

Hat er eingewilligt, dass ein Statement gedreht wird?
Er hat dem nicht widersprochen. Herr Wilke kam als Ein-Mann-Produzent. Die ganze Situation ergab kein Interview, weil Herr Wilke gar nicht neben mir stand. Das ist auch nicht ungewöhnlich, weil im „Sachsenspiegel“ nie die Frage, sondern immer nur ein Teil der Aussage des Interviewten gesendet wird. Deshalb ist eigentlich für alle Sprecher unserer Häuser klar, dass es sich bei Anfragen um kein Interview handelt, sondern um ein Statement.

Hätten Sie Tobias Wilke ein ­Interview gegeben, wenn er nicht für den „Sachsenspiegel“ angefragt hätte?
Zu den Fragen, die er geschickt hatte, habe ich ihm gesagt, dass wir sie nicht authentisch beantworten können, weil wir dieses operative Geschäft, was ihn in Bezug auf die Internet­überwachung interessiert hatte, nicht machen. Ich sagte: Wundern Sie sich nicht, es kann eintönig werden. Für weitergehende Informationen muss er sich an den Sprecher des LKA wenden. Das hat er ja auch getan.
Aber dann wurde er an Sie ­verwiesen.

Für die allgemeinen Fragen, ja. Für ­andere nicht.  
Als Sie das Statement gegeben haben, war es ja eigentlich im Kasten. Warum haben Sie immer wieder auf dieselbe Frage geantwortet?
Aus meiner Sprechererfahrung sage ich, beenden Sie niemals vor laufender Kamera ein Gespräch. Sie sagen nur das, was Sie gesendet haben möchten. Wenn Sie vor laufender Kamera sagen: „Das beantworte ich nicht“, dann geben Sie Material, das Sie nicht gesendet haben möchten.

Das ist ein Dilemma, weil die…
…das ist kein Dilemma. Es ist relativ einfach: Gegen Böswilligkeit können Sie sich nur schwer schützen. Wenn der Journalist nicht fair darüber informiert, wofür er das Material verwendet, können Sie nichts tun.

Wie viele Presseanfragen ­bekommen Sie eigentlich am Tag?
Statements für „Sachsenspiegel“ mehrmals in der Woche; Presseanfragen allgemein mehr als 20 täglich.

Ist es öfter derart ­problematisch?
Noch nie habe ich so etwas erlebt. Ich erlebe die Zusammenarbeit mit den Journalisten als ausgesprochen fair, konstruktiv, offen und transparent.

Wie sind sie beide ­danach ­auseinander gegangen?
Offensichtlich in unterschiedlicher innerer Haltung. Ich dachte, ich habe ein Statement gegeben, das ja in den Nachrichten auch so gesendet wurde. Am nächsten Tag war das gesamte Ding im Internet und der Shitstorm ging los. Ich habe mich bei Herrn Wilke und der Sendeleitung beschwert.

Warum geben Sie Herrn ­Wilke im Statement keine Antwort auf seine Frage?
Herr Wilke bekommt eine Antwort auf seine Frage, aber vielleicht nicht die, die er gerne gehabt hätte. Am Telefon hatte  ich ihm zuvor gesagt, dass wir seine spezifischen technischen Fragen nicht detailliert beantworten können.

Wie haben Sie das Statement dann vorbereitet?
Ich habe mir dem zuständigen Referatsleiter telefoniert und mich über die Sach­lage informiert.

Haben Sie es auswendig gelernt?
Nein. Ich lerne nichts auswendig, ich sage vor der Kamera, was ich im Kopf habe. Es wirkt so roboterhaft, weil mir ein Aspekt wichtig war. In diesem Fall kam es darauf an, dass der Satz,  das Innenministerium betrachtet die Entwicklung des Internets mit Sorge, auch beim Schnitt nicht herausgenommen werden konnte. Deshalb gebe ich nicht fünf verschiedene Formulierungen. Deshalb gebe ich nicht fünf verschiedene Formulierungen und überlasse damit den Journalisten nichtdie Auswahl, dafür ist das Geschäft zu heiß.

Martin Strunden ist seit 2012 Leiter des Leitungsstabs Innenministerium und Pressesprecher. Am 27. August 2015 gab das SMI bekannt, dass die Pressestelle aus dem Leitungsstab im Sächsischen Staatsministerium des Innern herausgelöst werde. Leiter der Zentralstelle bleibe vorerst Martin Strunden. Neuer Pressesprecher wird Andreas Kunze-Gubsch, Sprecher der CDU-Fraktion des Sächsischen Landtags. Strunden verabschiedete sich am 1. September über Twitter.

 

Tobias Wilke im Interview (c) Privat

Herr Wilke, warum haben Sie ein Interview angefragt und kein Statement?
Tobias Wilke: Ich habe in 15 Jahren als Fernsehredakteur noch nie ein Statement angefragt. Das hieße ja, dass ich bereits im Vorfeld mein Einverständnis geben würde, mich mit einer vorbereiteten Verlautbarung nach Gusto des Gesprächspartners zufrieden zu geben und auf jegliche Nachfragen gänzlich zu verzichten. Das hätte nichts mit Journalismus zu tun, das wäre kostenlose PR.

Als Sie das Interview mit Herrn Ulbig angefragt haben, in welcher Länge hätten Sie es für den „Sachsenspiegel“ ­eingeplant?
Der Fernsehbeitrag war wegen des komplexen Themas mit einer Länge von 3:30 Minuten eingeplant, bei dieser Länge kann und muss man davon ausgehen, dass man rund fünf bis sechs O-Töne à rund 20 Sekunden verwendet. Üblich sind Beitragslängen von 1:45 bis 2:30 Minuten mit drei bis vier O-Tönen. In welcher Länge ich jeweils einzelne O-Töne im Beitrag verwende, kann ich erst nach dem Interview beurteilen. Für diesen Beitrag hatte ich drei Interviewpartner. Hätte Herr Strunden meine Frage beantwortet und ich die Chance gehabt, Nachfragen zu stellen, hätte ich zwei oder drei O-Töne von ihm verwendet.

Wussten Sie von Anfang an, dass Sie eine ausführliche ­Version für den Onlinebeitrag verwenden werden?
Nein. Ich wusste nicht einmal von Anfang an, dass ich einen Online-Artikel schreiben würde. Das übernehmen sonst unsere Online-Redakteure, die dafür auf Material der Hörfunk- oder Fernsehkollegen zurückgreifen. Angesichts des komplexen Themas und meiner ausgiebigen Recherche, bat mich die Redaktion, den Artikel selbst zu schreiben. Es lag nah, das ausführliche Interview mit dem Rechtswissenschaftler der TU Dresden und jenes mit dem Fraktionsvorsitzenden der Sächsischen Linken einzubetten. Warum hätte ich ausgerechnet Herrn Strunden auf einen kleinen Ausschnitt reduzieren und damit quasi vertuschen sollen, dass er die Antwort auf meine wichtigste Frage an ihn konsequent verweigert hat? Eine weitere Nutzung – auch verschiedener O-Töne aus demselben Interview – durch andere MDR-Redaktionen ist seit vielen Jahren Praxis und wird von beiden Seiten ausdrücklich begrüßt: der MDR kann personelle Ressourcen verantwortungsvoll einsetzen, und den Pressesprechern der Sächsischen Ministerien und Landtagsfraktionen wird erspart, mehreren MDR-Reportern verschiedener Redaktionen zum selben Thema Interviews zu geben. In einem Informationsgespräch mit den Pressesprechern, bei dem auch Herr Strunden anwesend war, hatte der Leiter der Online-Redaktion zudem erst eine Woche zuvor darauf hingewiesen, dass künftig noch häufiger von der Möglichkeit Gebrauch gemacht werden solle, ausführliche Fassungen eines Fernsehinterviews in Online-Artikel einzubetten.

Warum haben Sie Herrn ­Strunden nicht darauf ­angesprochen, dass er die ­Frage nicht beantwortet?
Ich war nicht verwundert über sein vorbereitetes Statement. Erst einen Monat zuvor hatte ich – ebenfalls zum Thema Asyl – ein Interview mit ihm geführt und wurde auf die gleiche Art und Weise abgefertigt. Bei jenem Interview hatte ich ihn noch mehrfach darauf hingewiesen, dass er meine Fragen ignoriert. Zahlreiche Kollegen haben mir danach von ähnlichen Erfahrungen mit ihm berichtet. Ich war beim Interview zum Thema „Virtuelle Streifenfahrten“ also durchaus darauf vorbereitet.

Warum haben Sie nicht ­mehrere Fragen gestellt, wie es für ein Interview üblich ist?
Ich hatte eine wichtige Frage: Warum nämlich die Sächsische Polizei – im Gegensatz zu fast allen anderen Landeskriminalämtern und trotz der äußerst aggressiven Stimmung gerade in Sachsen – keine „Virtuellen Streifenfahrten“ durchführt. Hätte er diese Frage inhaltlich beantwortet, also einen Grund genannt, statt den bloßen Umstand zu bestätigen, hätte ich sehr gern – auf dieser Antwort aufbauend – weitere Fragen formuliert.

Was sind Ihre ­unangenehmsten Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Pressesprechern?
Mit mehr als 15 Jahren Erfahrung als Fernsehjournalist in verschiedenen Redaktionen, für die ich als Autor und Kameramann im In- und Ausland insgesamt fast 50 Filme und rund 750 Fernsehbeiträge produziert habe, kann ich ganz klar sagen: Das hier besprochene Interview war meine bislang unangenehmste Erfahrung mit einem Pressesprecher – angefangen vom Hin- und Herschieben der Zuständigkeiten bei einem offenbar unangenehmen Thema bis zur nachweislichen Verweigerung der Antwort auf eine klare Frage.

Was wünschen Sie sich als ­Journalist von ­Pressesprechern?
Hier muss ich unterscheiden zwischen Unternehmenssprechern und Pressesprechern von Behörden, die einer presserechtlich garantierten Auskunftspflicht unterliegen. Von ersteren wünsche ich mir natürlich die wahrheitsgemäße Beantwortung meiner Fragen, von letzteren aber kann und muss ich diese auch erwarten können. Bei Erfolgsmeldungen ist das selten ein Problem, auch die Terminfindung gestaltet sich dann deutlich einfacher – der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk ist allerdings keine PR-Veranstaltung und hat das verbriefte Recht, auch auf unbequeme Fragen Antworten zu bekommen.

Tobias Wilke ist seit 2000 freier Autor und Kameramann für mehrere Redaktionen des MDR und hat unter anderem aus Neuseeland, Japan, Russland und aus Israel berichtet. Er studierte Wirtschaftsinformatik an der TU Dresden und Philosophie an der Fernuniversität Hagen. Seit Beginn der asylfeindlichen Pegida-Demonstrationen liegen seine Schwerpunkte auf den Themen Migration, Integration und Asylpolitik.

 

Elisabeth Ramelsberger im Interview (c) Privat

Frau Ramelsberger, was haben Sie gedacht, als Sie das Video das erste Mal gesehen haben?
Elisabeth Ramelsberger: Ich habe Verständnis für beide Seiten. Aus journalistischer Perspektive macht der Reporter nur seinen Job. Obwohl ein Statement vereinbart ist, fragt er weiter. Damit muss man rechnen. Wenn der Gesprächspartner das nicht will, muss er klare Grenzen setzen.
Auf der anderen Seite: Jeder Pressesprecher hat Angst, etwas Falsches zu sagen. Ich erinnere nur an eine unbedachte Äußerung der Deutschen Bank in Zusammenhang mit Leo Kirch und die anschließende Insolvenz der Medien-Gruppe. Ich kann diesen Druck sehr gut nachvollziehen, weil ich selbst bei Siemens Pressesprecherin war. Da fragt man sich schon: „Was macht der Journalist aus unserem Gespräch?“

Martin Strunden ­wählte den Weg, das ­Statement immer ­wieder ­aufzusagen. War das richtig?
Angeblich war ja zunächst nur ein Statement ausgemacht. Aber wenn man sich vor der Kamera auf weitere Fragen einlässt, dann gibt man kein Statement mehr, sondern ein Interview. Der Interviewte  akzeptiert dann, dass die Spielregeln geändert werden. Darüber hinaus sollte jedem klar sein: Ein Reporter muss in kürzester Zeit einen O-Ton bringen, der zu einem vorbereiteten Bericht passt.

Wenn der Journalist weitere Fragen nach einem Statement stellt, wie sollte ein Sprecher ­reagieren?
Üblicherweise besprechen beide Seiten vorher, was geplant ist. Normalerweise sagt man dann sein Statement, wartet kurz vor der laufenden Kamera, damit ordentlich geschnitten werden kann und verabschiedet sich. Wenn es technische Probleme gibt, Hintergrundgeräusche oder Versprecher, dann wird es nochmal aufgenommen. Auch Profis müssen manchmal fünf- oder zehnmal denselben Inhalt erzählen, bis ein Statement perfekt ist.
Wenn Martin Strunden nicht mehr sagen will, dann hätte er zum Beispiel freundlich in die Kamera sprechen können: „Es tut mir leid, aber wir haben ein Statement ausgemacht. Das haben Sie gerade bekommen. Ich bitte um Verständnis, aber mehr kann ich Ihnen dazu jetzt nicht sagen.“ Und dann muss er auch aus dem Bild gehen.

Haben Sie ein Lieblingsbeispiel?
Peer Steinbrück wurde einmal von einem Reporter innerhalb eines Interviews achtmal zum Thema Linksruck der SPD gefragt. Steinbrück wollte dazu nichts sagen und antwortete damals: „Dazu habe ich alles gesagt.“‚ „Ich muss nicht jeden Tag Interviews dazu geben.“‚ „Es ist ein nice try, was Sie hier machen.“‚ „Sie versuchen es jetzt zum fünften Mal. Sehen Sie, in einer solchen Lage muss ich nicht täglich auf dem Sender sein.“‚ „Gelegentlich ist es ganz gut, sich selbst zu disziplinieren. Insofern: Ich beantworte Ihre Fragen nicht.“ Das nennt man die Ebene wechseln. Der Interviewpartner sagt, was gerade mit ihm geschieht oder in ihm vorgeht.

Doch Martin Strunden hat die Frage nicht beantwortet durch das Statement.
Es ist schwer, die Situation von außen zu beurteilen. Aber: Ein in komplizierter Behördensprache abgefasstes Statement taugt nicht für das Fernsehpublikum. Als TV-Journalist wäre ich an diesem Statement auch verzweifelt.

Aber der Journalist hat ja ein Recht auf Auskunft.
Der Journalist hat das Recht, jede Frage zu stellen. Der Sprecher ist in einer schwierigeren Situation. Er kann manchmal einfach nicht alles vollständig beantworten. Das wissen beide Seiten und man sollte offen darüber reden. Wenn die Gründe nachvollziehbar sind, kann ein ­Journalist das eher akzeptieren.

Martin Strunden twitterte, ein zehnsekündiges Statement sei ausgemacht gewesen.
Ich möchte Herrn Strunden nicht zu nahe treten, aber sein Statement ist eine Kette von Sätzen, die viel zu lang ist. Normalerweise hat ein O-Ton 15 bis 30 Sekunden. Man muss ein Statement sofort erfassen können. Wie beispielsweise vom CDU-Politiker Friedrich Merz, der vor die Berliner Presse trat und sagte: „Wir machen Pfusch nicht mit.“ Er lächelte einmal für den Schnitt und ging.

Martin Strundens Statement ist 27 Sekunden lang.
Die Sätze sind viel zu komplex, phrasenhaft und nicht einprägsam. Er arbeitet nicht mit Bildern. Es scheint so, als hätte er alles aufgeschrieben und auswendig gelernt. Er memoriert – deswegen sieht er so versteinert aus und betont auch falsch, beispielsweise bei Hinweise, wo seine Stimme hoch geht. Er benutzt umständliche Formulierungen wie „im Rahmen von“, „in Bezug auf“ – das ist viel zu behördlich. Versteht das ein normaler Mensch auf Anhieb?

Was sagen Sie zur ­Körpersprache?
Seine Körpersprache ist nicht im Einklang mit dem, was er sagt. Seine Aussage „Es ist besorgniserregend“ klingt bei ihm nicht nach echter Sorge, sie klingt wie eine heruntergeleierte Pflichtübung. Wahrscheinlich ist er aufgeregt, atmet flach durch den Mund, nicht durch die Nase, und bekommt dadurch zu wenig Luft. Spätestens dann wird jeder nervös. Er schaut außerdem nach rechts oben. Normalerweise richtet man es so ein, dass man sich auf Augen­höhe anblicken kann.

Was kann ein Sprecher da tun?
Er kann fragen: Bin ich ordentlich ausgeleuchtet, spiegelt sich meine Brille? Der Hintergrund wirkt, als wäre Herr Strunden wahllos irgendwo hingestellt worden. Auch hier gilt: Sprechen Sie alles offen an. Übrigens: Unsere Kameramänner waren irritiert, dass der Ton von Herrn Strunden über ein akustisch besseres Mikrofon läuft und der des Reporters vom internen Kameramikrofon kommt. Wenn man ein Interview plant, hat man für beide Seiten ein gutes Mikro. Eine Erklärung könnte sein, dass die Technik nicht funktionierte oder auch, dass ursprünglich kein Interview vorgesehen war.

Was macht man, wenn die ­Chemie einfach nicht stimmt?
Man sollte sich zusammensetzen und alles ansprechen, es klären. Der Reporter hat erklärt, dass er mit einer Interviewanfrage lange vertröstet und hin- und hergeschoben wurde. Das frustriert natürlich. Wenn ein Interview nicht gegeben werden kann, sollte man den Grund ­dafür offen ansprechen.

Was gehört zu einem richtig ­guten Statement?
Man spricht ab, wie lang es werden soll. Die Aussage muss in den Zusammenhang passen. Dann erarbeite ich den Inhalt und das möglichst plakativ. Jeder muss es verstehen und es sich merken können. Beispiel: Bei einer Übernahmeschlacht sagten zwei Betriebsräte den gleichen Inhalt folgendermaßen: Auf die Frage, „Ist es wichtig, dass Angela Merkel kommt?“, meinte der erste: „Ja, das wäre gut, wenn die Frau Merkel käme, aber der Herr Gabriel war ja da.“ Das Statement wurde nicht gesendet. Der zweite schlug auf den Tisch und sagte: „Angela Merkel sind fünfzig Banker in Nadelstreifen wichtiger als 50.000 Arbeiter in Blaumann.“ Ein Bild muss hängenbleiben. Auch die Stimmung muss zum Inhalt passen. Wenn das Statement im Kasten ist, dann muss ich auch nichts mehr sagen.

Elisabeth Ramelsberger ist Geschäftsführerin von Ramelsberger Medientrainerin.com. Sie studierte Journalismus an der Deutschen Journalistenschule in München, arbeitete beim Bayerischen Rundfunk und moderierte Nachrichtensendungen. Anschließend berichtete sie als Korrespondentin für Reuters und leitete im Anschluss die Siemens-Pressestelle. Seit mehr als zehn Jahren trainiert sie mit einem Experten-Team CEOs, CFOs und Führungskräfte.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Storytelling – Marken machen ohne Märchen. Das Heft können Sie hier bestellen.

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