Was Redner von Otto Waalkes lernen können

Kolumne

Ich gebe in manchen Jahren bis zu 30 Seminare, also im Schnitt drei im Monat. Das könnte so einfach sein: Den Ordner vom letzten Seminartermin wieder aus dem Regal nehmen, zum Seminarort fahren, durchziehen, fertig. Doch solcherlei praktizierte Routine kann gefährlich sein. Dann nämlich, wenn sie in nachlassende Qualität und wachsende Langeweile umschlägt. Darum wird jeder gute Redner, jeder Referent sich vor seinem Vortrag nochmals mit seinem Thema befassen und sich immer wieder neu auf sein Publikum einstellen und sich vorbereiten.

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Dieses Vorbereiten gibt einem selbst die Sicherheit, einen guten Job zu machen, einen Auftrag optimal zu erfüllen und den eigenen qualitativen Ansprüchen entsprechen zu können. Wer sich inhaltlich und organisatorisch vorbereitet und sich immer wieder neu auf seine Zuhörer, Seminarteilnehmer oder andere Gruppen einstellt, zeigt damit auch Respekt vor dem Publikum.

Diese zwei Dinge – gute Vorbereitung und Respekt vor dem Publikum – sind die wichtigsten Zutaten für einen erfolgreichen Auftritt. „Selbst das amüsierwilligste Publikum spürt, wenn ein Entertainer mehr Routine als Lust hat, es zu unterhalten, und wenig Vertrauen in sein Material“, heißt es in der lesenswerten Biografie „Kleinhirn an alle“, die der ostfriesische Komiker, Zeichner und Blödelbarde Otto Waalkes zu seinem 70. Geburtstag in diesem Jahr herausgebracht hat. Es geht darin nicht nur um sein Leben auf und hinter der Bühne, es geht immer wieder auch um das Verhältnis zwischen Bühne und Publikum.

Gut vorbereiten – spontan wirken

Der Vorbereitung des eigenen Auftritts gibt Waalkes in seinen Aufzeichnungen zu Recht eine große Bedeutung. Denn erst die Vorbereitung ermöglicht es dem Komödianten auf der Bühne und dem Redner im Parlament, dem Laudator bei der Preisverleihung oder dem Referenten auf einer Tagung, so zu wirken, als entstehe seine oder ihre Rede eben erst im Moment.

Und genau so ist es im Idealfall auch. Selbst Redenschreiber können zwar die Basis für einen optimalen Auftritt liefern, das fertige Produkt – der Point of no Return – entsteht erst in dem Moment, da ein Redner seine Rede hält. Abgelesenes mögen wir ungern hören, wohl aber lebendig und mit (Augen-!)Kontakt zum Publikum scheinbar spontan Vorgetragenes. Je größer die scheinbare Spontaneität, desto bedeutender die Vorbereitung!

Otto Waalkes beschreibt es so: „Ein Talent, was nicht nur der Komiker, sondern jeder Redner mitbringen sollte, besteht eher darin, möglichst vieles spontan aussehen und klingen zu lassen. Obwohl er längst weiß, was er sagen will, tut er so, als fiele ihm das gerade ein, und er scheint von seinem Einfall genauso überrascht zu sein wie das Publikum.“

Der Vortrag darf dabei auch Ecken und Kanten haben, Pausen und Zeit fürs Nachdenken aufweisen. Er soll nur eben nicht abgelesen wirken – und auch nicht so perfekt improvisiert sein, dass „sich die Improvisation schon wieder auswendig gelernt anhört“. Der entscheidende Punkt ist die Wirkung beim Publikum.

Und immer Leser und Publikum im Blick

Denn ohne das Publikum ist ein Vortragender nichts. Jede Kommunikation braucht Sender und Empfänger. Und so, wie jede Pressemitteilung auf die journalistischen Bedürfnisse der Redaktionen hin geschrieben sein soll (was in der Realität leider oftmals nicht der Fall ist), so müssen auch jede Rede und jeder Bühnenvortrag die Zuschauer im Blick haben. Und zwar wortwörtlich: „Für mich ist das Wichtigste: Ich darf mein Publikum keinen Augenblick verlieren“, schreibt Waalkes. „Ich muss auf jede Regung auf den Rängen reagieren, manchmal muss ich die Reaktion dort fast vorausahnen, sonst habe ich auf der Bühne ganz schlechte Karten.“

In dieser Kolumne hatte ich vor einiger Zeit auf die Vorteile aufmerksam gemacht, die die Rede vor Publikum in Echtzeit gegenüber ihren digitalen Podcast-Geschwistern hat. Analog kann ich das Publikum wirklich einbeziehen, kann Reaktionen aufgreifen, direkt an die Reaktionen anknüpfen. Ich kann sogar noch reagieren, wenn die eingeplante und erhoffte Reaktion ausbleibt.

Der Arzt und Kabarettist Eckhart von Hirschhausen sagt in solchen Fällen seinen Zuschauern gerne mal: „Manchmal mache ich Witze auch nur für mich selbst“ – und hat dann die Lacher sofort auf seiner Seite.

Vor einer Bruchlandung schützen

Wer also in direktem Kontakt zu seinem Publikum live vorträgt, kann ebenso direkt reparieren und korrigieren, wenn eine Pointe nicht ankommt, eine Kernbotschaft nicht aufgenommen oder eine Information nicht verstanden wird.

Damit das möglichst ohnehin nicht passiert, bedarf es wiederum der ernsthaften und professionellen Vorbereitung. Besonders viel Wert legen Redenschreiber zum Beispiel darauf, Anfang und Ende einer Rede vorzubereiten. Denn die schönste Pointe und die bedeutendste zeithistorische Botschaft werden vergessen, wenn der Vortrag nach einem inhaltlichen und rhetorischen Höhenflug mit einer Bruchlandung endet.

Wenn sich das Publikum dann enttäuscht abwendet, liegt das oft an mangelnder Vorbereitung, am Redner oder auch an langweilig praktizierter Routine. „Die Zuschauer würde ich niemals für ihren Mangel an Begeisterung verantwortlich machen“, schreibt Otto Waalkes. Denn: „Ein schlechtes Publikum gibt es nicht.“

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