Warum wir auf unsere Sprache achten sollten

Kolumne

Haben Sie sich schon mal überlegt, wie neue Wörter den Weg in den Duden finden? Neutral ausgedrückt, kann man sagen: Begriffe und Wendungen, die im Sprachgebrauch einen gewissen Grad der Verbreitung erreicht haben, sind über kurz oder lang auch in der gelben Rechtschreibbibel verzeichnet.

Das ist grundsätzlich eine feine Sache, denn Sprache entwickelt sich ja stetig weiter. Wer wollte schon heute mit dem Wortschatz von vor 100 Jahren arbeiten? Und es würde doch zum Beispiel wirklich etwas fehlen ohne die vielen Anleihen aus dem Englischen, die wir ganz selbstverständlich benutzen und die keine ähnlich griffige deutsche Entsprechung haben – etwa „liken“, „Fake News“ oder „Work-Life-Balance“. Auch die müssen ja irgendwie geschrieben und in die deutsche Grammatik eingebaut werden.

Zur Sprachentwicklung gehören nicht nur neue Wörter, sondern auch Bedeutungsverschiebungen beziehungsweise -erweiterungen. Zwei Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit:

  • Gefühlt seit Jahrzehnten sprechen und schreiben Menschen von „Expertise“ und meinen damit Fachwissen und/oder Erfahrung auf einem bestimmten Gebiet. Auch hier zeigt sich der geradezu übermächtige Einfluss des Englischen auf unsere Sprache. Im Deutschen war eine Expertise bisher eigentlich nur ein Gutachten und nichts anderes. Mit der 27. Auflage, die im Sommer 2017 erschien, hat die Duden-Redaktion die Bedeutungserweiterung qua Sprachgebrauch nun auch aufgenommen.
  • Das Verb „realisieren“ war vor nicht allzu langer Zeit nur mit der Bedeutung „verwirklichen“ verzeichnet. Weil es aber mehr und mehr auch in der Bedeutung „erkennen, einsehen, begreifen“ genutzt wurde („Ich habe erst jetzt realisiert, dass es vorbei ist“), ist der entsprechende Eintrag vor einiger Zeit erweitert worden.

Sie sehen: Auch mit dem Klugscheißen muss man inzwischen wirklich vorsichtig sein.

Und was kommt als Nächstes?

Ein paar weitere Begriffe sind trotz großer Verbreitung noch nicht im Duden angekommen, stehen aber vermutlich kurz davor. Zwei Beispiele:

  • Gemessen an der Verbreitung ist „aktuell“ in der Nutzung als Adverb einer meiner heißesten Kandidaten für die nächste Auflage. Formulierungen wie „Die Temperatur liegt aktuell bei 15 Grad“ oder „Aktuell gibt es keine neuen Zahlen zu vermelden“ sind inzwischen absolut flächendeckend im Gebrauch. Tatsächlich ist „aktuell“ aber ausschließlich als Adjektiv verzeichnet – so kann man von aktuellen Temperaturen sprechen; dass die Temperatur aktuell bei X Grad liegt, ist aber genau genommen falsch. Faustregel für den Moment: Wenn sich „aktuell“ ohne Bedeutungsverlust durch „derzeit“ oder „zurzeit“ ersetzen lässt, ist es fehl am Platz. Jedenfalls bis zur nächsten Duden-Auflage.
  • Ebenfalls sehr verbreitet ist „adressieren“ in Wendungen wie „ein Thema/Problem adressieren“, mit denen man ausdrücken will, dass man etwas anpacken, ins Bewusstsein rücken oder auf die Tagesordnung setzen will. Adressieren kann man laut Duden aber nur Briefe, Pakete oder Päckchen, maximal noch eine Ansprache an jemanden.

Diese Fälle sind für mich grenzwertig: Ebenso wie bei der Expertise oben bin ich nicht der Meinung, dass Anpassungen hier zwingend sind – allerdings bin auch ich nicht frei von dem Gewöhnungseffekt, der bei exzessivem falschen Gebrauch über kurz oder lang eintritt. Will sagen: Es tut mit der Zeit immer weniger weh.

Alles schön und gut. Aber …

Ich schrieb oben, dass die deskriptive, also den Sprachgebrauch beschreibende Vorgehensweise der Duden-Redaktion grundsätzlich eine feine Sache sei. Sie hat aber auch einige Tücken. Die größte aus meiner Sicht ist, dass offenbar kaum eine Wertung stattfindet. Anders kann ich mir jedenfalls nicht erklären, dass Wörter wie „Internetblog“ und „Mund-zu-Mund-Propaganda“ inzwischen im Duden stehen (wenn auch Letzteres bisher nur in der Online-Version).

Da würde ich mir eine präskriptive, also lenkende Herangehensweise wünschen: Das Wort „Blog“ ist eine Verschmelzung aus „Web“ und „Logbuch“. Das B am Anfang stammt also aus dem Wort „Web“; der Bedeutungsaspekt „Internet“ ist damit bereits enthalten. Die erweiterte Form „Internetblog“ doppelt diesen Aspekt und ist deshalb ausgemachter Unfug – da ist es mir völlig egal, wie viele Leute ihn benutzen. Er hat im Duden genauso wenig zu suchen wie die „Mund-zu-Mund-Propaganda“, die eigentlich Mundpropaganda heißt und mit der Mund-zu-Mund-Beatmung durcheinandergeworfen wurde. Unnötig lang, ohne Bedeutungserweiterung: weg damit!

Und die Moral von der Geschicht’?

Im Wesentlichen bedeutet das: Wenn genug Leute einen Begriff (in einer bestimmten Bedeutung) ausreichend lange und ausreichend oft benutzen, wird dieser Begriff beziehungsweise die zusätzliche Bedeutung irgendwann zum Allgemeingut. Das hat positive Effekte, weil es Sprache bereichert und Entwicklungen dokumentiert. Negative Aspekte entstehen, wenn Sprache – pardon! – verblödet. Ein gesundes Augenmaß auf allen Seiten wäre wünschenswert. Wer öffentlich mit Sprache umgeht, hat hier viel Einfluss und sollte besondere Sorgfalt walten lassen. 

 

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