Warum Unternehmen politisch sein müssen

Andreas Möller im Interview

Unternehmen sollten sich politisch positionieren, fordert Andreas Möller, Leiter der Unternehmenskommunikation und Politik bei Trumpf. Denn politische Entscheidungen betreffen die Wirtschaft direkt und indirekt. Wer sich raushält, lässt anderen freie Hand, ihre Interessen durchzusetzen. Firmen dürften aber nicht zum Dauerkommentator werden.

Was das heißt und welche Chancen aber auch Risiken ein politisches Profil für Unternehmen mit sich bringt – darüber spach Möller auf dem Kommunikationskongress 2019 und im Interview mit pressesprecher.

Der Kommunikationskongress 2019 steht unter dem Motto "Zeit".Herr Möller, Flüchtlingsintegration, Freihandel, Glyphosat oder Diesel: So steht es in der Beschreibung zu Ihrem Vortrag auf dem Kommunikationskongress. Wie sollten sich Unternehmen zu diesen Themen positionieren?

Andreas Möller: Die Aufzählung meint nicht, dass sich Unternehmen pauschal dazu äußern sollten. Sie zeigt lediglich die Spannbreite dessen auf, was mittlerweile sehr polar diskutiert wird. Für die Landwirtschaft und Chemie ist Glyphosat verständlicherweise eher das, was für die Automobilindustrie das Thema Diesel war und in Teilen noch ist.

Warum sollten Unternehmen überhaupt Stellung beziehen?

Unternehmen profitieren direkt wie indirekt von den Bedingungen, die gesellschaftlich und regulatorisch um sie herum entstehen. Diese müssen sie ein Stück weit mit erstreiten. Oder umgekehrt formuliert: Die Präsenz mancher Themen ist auch ein Spiegelbild des kommunikativen Vakuums, das immer wieder entsteht.

Anne Will hat einmal beklagt, dass sie kaum Unternehmer finde, die sich in ihre Sendung setzten. Dadurch haben etwa NGOs die Möglichkeit, den öffentlichen Diskurs stärker zu prägen. Wenn man von dem Diktum ausgeht, dass Politik eine Antwort auf das ist, was sich im öffentlichen Meinungsbild festsetzt, sind Unternehmen also gut beraten, sich hin und wieder wohl dosiert in die Debatten einzumischen. Bekanntlich entgeht man den gesellschaftlichen Prozessen nicht, indem man sich ihnen kurzfristig entzieht.

Was für eine Rolle spielt das eigene Geschäftsfeld des Unternehmens denn bei der Positionierung zu den Themen?

Es ist wichtig, nicht unspezifisch etwas in die Welt zu setzen. Waidmännisch und mit Selbstironie ob dieser Metapher gesprochen: Ich würde statt des Schrots lieber die Kugel wählen. Unternehmen sollten kommunikativ-gesellschaftlich ein klares Profil aufbauen, eine Absenderkompetenz schaffen. Etwas, womit sie assoziiert werden können. Man könnte auch sagen: einen politischen Markenkern, den Kommunikatoren über die Jahre herausarbeiten und veredeln.

Wie ist das bei Trumpf?

Wir sind ein seit 1923 bestehendes Mittelstandsunternehmen aus Baden-Württemberg im Maschinenbau mit über 14.000 Mitarbeitern, familiengeführt. Bei uns sind es Themen wie Unternehmenskultur oder ein christliches Unternehmerbild, die man bereits seit unserem Seniorchef Berthold Leibinger mit Trumpf assoziiert.

Wir sind aber auch Vorreiter bei innovativen Arbeitszeitmodellen. Wir sprechen über Schulen, berufliche Bildung, Innovations- und Forschungsfreiheit; dazu kann die grüne Gentechnik genauso gehören wie die Chancen der digitalen Transformation. Wir äußern uns überdies zu Themen, die das Unternehmertum in Deutschland betreffen, wie Fragen des Vermögens und seiner vermeintlich gerechteren Besteuerung, die immer wieder aufkommt – der zentrale Artikel 14 des Grundgesetzes. Wenn unsere Chefin Nicola Leibinger-Kammüller zu diesen Themen an die Öffentlichkeit geht, überhebt sie sich nicht, sondern argumentiert innerhalb eines authentischen Rahmens. Das sind die Themen, bei denen Trumpf einen politischen Footprint hat.

Inwieweit nützt einem Unternehmen kurzfristig eine Positionierung zu bestimmten Themen? Und ist es sinnvoll, dass dahinter Geschäftsinteressen stecken?

So etwas funktioniert nur bedingt, ich glaube nicht an den schnellen Return on Investment. Die Menschen haben einen Instinkt dafür, ob man primär aus dem Geschäftsinteresse heraus agiert oder weil einem das Land am Herzen liegt. Unternehmen wie Trumpf können deshalb ihre Sorge zum Ausdruck bringen, wenn die Kritik an einer der Kernindustrien unseres Landes am Beispiel Automobil kein Ende findet, auch wenn alle Vorwürfe im Zusammenhang mit dem Dieselskandal abgearbeitet werden.

Ich würde es also erneut umdrehen: Sich aus dem politischen Diskurs herauszunehmen, kann für Firmen im Gegenteil handfeste Folgen haben. Denn dann sind es andere, die diese Lücken füllen.

Ist das nicht Aufgabe der Verbände?

Sie sind wichtig. Jeder muss heute aber auch Multiplikator im eigenen Interesse vor Ort sein, in den Kommunen, in den Regionen, auf dem Sportplatz, in der Fahrradgruppe, an den Schulen. Überall dort, wo Kritik entsteht. Das erfahren derzeit vor allem Branchen wie die Landwirtschaft.

Politische Botschaften sind daher nichts, was man primär mit dem kurzfristigen Geschäftserfolg verbinden sollte. Es geht um Unternehmertum und eine Haltung für den Standort gleichermaßen, der den eigenen Geschäftserfolg zeitversetzt mit garantiert. Dazu gehört dann auch, dass man frontale Kritik nicht unkommentiert lässt, sondern dagegenhält. Es braucht hierbei bisweilen das Überraschungsmoment, das man von der Wirtschaft nicht immer erwartet: schnell, persönlich, faktenbasiert wie beim damaligen Brief des Siemens-Chefs an Martin Schulz. Es hat vor allem eine psychologische Komponente, dass sich die Industrie, wenn sie angegriffen wird, selbstbewusst zurückmeldet.

Inwieweit ist es dann auch sinnvoll, sich in Debatten gegen den Mainstream zu stellen? Von welchen Faktoren hängt das ab?

Ich bin beim Wort Mainstream als Verfechter der Mediendemokratie immer vorsichtig. Etwas anderes erscheint mir operativ wichtiger: Man muss unterscheiden, aus welcher Position heraus man spricht. Wenn es sich um ein Dax-Unternehmen handelt, muss dieses andere Befindlichkeiten im Blick haben als ein inhabergeführter Mittelständler. Internationale Stakeholder sind verständlicherweise nicht an innenpolitischen Zerfereien interessiert, sondern daran, dass sich die Rendite entwickelt. Wir als Familienunternehmen haben da größere Freiheiten.

Positionen zu beziehen, darf zudem nicht zum Selbstläufer werden. Es geht nicht ums Rechtbekommen um jeden Preis. Ich würde stattdessen immer versuchen, um einen narrativen Kern herum eine Position zu entwickeln – und dann auch auszuhalten, wenn diese nicht von jedermann geteilt wird. Wenn man eine für andere nachvollziehbare argumentative Basis hat, kann und sollte man sich ruhig mal in den Regen stellen.

Inwieweit kann eine so heute angenommene Haltung morgen für ein Unternehmen zum Bumerang werden?

Ich würde nichts aus der Hüfte heraus machen, sondern zunächst beobachten und abwägen. Man muss sich selbst misstrauen können. Manchmal ist es aber wichtig, dass man schnell reagiert. Wenn wir zu einem Thema schon drei- oder viermal im Blatt waren, ist es ein kalkulierbares Risiko, auch noch ein fünftes Mal hinterherzujagen. Dann gibt es diesen Bumerang-Effekt sehr wahrscheinlich nicht.

Unternehmen sollen sich nicht zum Dauerkommentator politischer Prozesse aufschwingen, steht in der Beschreibung zu Ihrem Impulsvortrag auf dem KKongress. Scrollt man durch Ihren Twitter-Account, scheinen Sie sich aber insbesondere zur Klimadebatte ziemlich häufig zu äußern. Ist das kein Dauerkommentar?

Wenn man hin und wieder selbst als Autor zu Öffentlichkeit und Wirtschaft publiziert, nutzt man Social Media. Der Takt ist hier nachvollziehbarerweise ein anderer als in der offiziellen Unternehmenskommunikation mit strategisch verzahnten Statements. Mein privater Account hat „hybride“ Anteile auch meines letzten Buchs zur Landwirtschaft, und natürlich ist die Klimadebatte momentan ein vorherrschendes Thema an der Schnittstelle zur Gesellschaft. Es bleiben aber die Reflexionen eines Einzelnen, der sich Gedanken zur Zeit über die Trumpf-Themen hinaus macht. Über unsere Laser zur Chip-Produktion oder die Smart Factory in Chicago können Sie bei mir trotzdem lesen. Diesen Spagat halten wir gut aus.

Welche Risiken bestehen, wenn sich Unternehmen zu oft politisch äußern?​

Nichts ist wohl unangebrachter und bisweilen anstrengender als eine Wirtschaft, die keine Empathie für die systemischen Bedingungen der Politik aufbringt, sondern ihre eigene Logik zum Maßstab erhebt und permanent fordert. Es besteht vielleicht eher das Risiko, sich parteipolitisch festzulegen. Irgendwann lässt man notwendigerweise eine Parteifarbe erkennen. Das will nicht jeder, auch wenn wir dieses Thema in unserem Haus entspannt sehen. Sowohl die Öffentlichkeit als auch Mitarbeiter, Kunden und Partner sind vor allem an Aussagen interessiert, die die Sache betreffen. Eine parteipolitische Präferenz allein holt sie nicht ab. Mit der Zeit entwickelt man in der Kommunikation aber ein Gefühl dafür.

Inwieweit birgt eine zu große Parteinähe denn Risiken?

Diese Frage muss jedes Unternehmen für sich beantworten. Wir machen keinen Hehl daraus, dass uns gewisse Sicht- und Sprechweisen näher liegen als andere. Ein gewisses Weltbild, das mit dem Unternehmertum zusammengeht. Man sollte hierbei aber unabhängig bleiben und vor allem die eigene Haltung zum Maßstab machen, nicht umgekehrt. Trumpf hat auch die Union schon dafür kritisiert, dass sie sich vom Thema Wirtschaft als Kernthema nach unserer Beobachtung etwas entfernt hat. Einen politischen Markenkern über Jahre aufzubauen, das Profil durch Kontinuität zu schärfen, verkraftet das aber nicht nur: Es gehört sogar dazu.

Gibt es politische Themen, bei denen jedem sofort klar ist, dass sie keiner einnehmen sollte?

Es gibt politische Themen, zu denen wir uns nicht äußern. Prinzipiell sollte es aber keine Tabus geben. Der Ton und der spezifische Kontext machen eher die Musik. Wir leben in einer Zeit, in der klassische Institutionen von den Parteien angefangen über die Kirchen als einstmals große Integratoren der Gesellschaft ihren Status ein Stück weit verloren haben. Dies begann in den 1990er Jahren nach dem Ende der großen dualen Weltentwürfe des Kalten Krieges, mit denen man sich eingerichtet hatte.

Global agierende Unternehmen haben darum heute streng genommen gar nicht mehr die Wahl, politisch zu denken oder nicht – sie sind überall auf der Welt per se wichtige gesellschaftliche Integratoren, bisweilen sogar Labore gesellschaftlicher Themen. Das kann man auch an der Nachhaltigkeitsberichterstattung erkennen, die wichtig ist, aber eben etwas anderes als eine gelebte Haltung zu gesellschaftlichen Themen in ihrer ganzen Vielfalt. Dies gilt trotz aller Globalität gerade für die Regionen, die Peripherie, wo es viele deutsche Mittelständler gibt.

Wir sollten einfach anerkennen: Unternehmen repräsentieren heute nicht mehr die Wirtschaft allein, sondern sie sind stärker als in früheren Jahrzehnten Orte von Öffentlichkeit und Gesellschaft.

 

 

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