Von Zukunft und Herkunft

Ein Fabrikgelände inmitten grüner Hügel, ein kleiner Stadtkern mit gepflegten Fachwerkhäuschen und eine Unternehmerfamilie, die sich um Menschen und Umgebung kümmert. Was für eine Idylle! Aber als es im Interview um das regionale Engagement der Bergischen Patentachsenfabrik Wiehl (BPW) geht, möchte Kommunikationschefin Anne Bentfeld nicht so richtig damit herausrücken.

In ihrer beruflichen Laufbahn hat Bentfeld schon einiges erlebt. Sie kommunizierte bereits für börsennotierte und gründergeführte Unternehmen und nun zum zweiten Mal für ein Familienunternehmen. Das Spezielle daran: „Die meisten von ihnen sind sehr zurückhaltend in der Kommunikation. Und sie haben ein großes Verantwortungsbewusstsein gegenüber Region und Mitarbeitern. Typisch ist außerdem eine gewisse Bescheidenheit.“ Dabei geht es laut Bentfeld weniger um die Größe des Unternehmens, sondern eher darum, wem gegenüber man worüber kommuniziert. Von besonderer Bedeutung sei auch die Langfristigkeit in der Kommunikation: „Wir würden nicht mit etwas herausgehen, von dem wir nicht sicher annehmen können, dass das auch in zehn Jahren noch Bestand hat.“ Der Zulieferer der Automobil- und Nutzfahrzeugindustrie BPW befindet sich in der Stadt Wiehl im Oberbergischen Kreis in Nord­rhein-Westfalen. Knapp 26.000 Menschen leben hier, ungefähr jeder 17. von ihnen arbeitet bei dem 1898 gegründeten Unternehmen. Mit Uwe und Achim Kotz und Michael Pfeiffer sind heute drei Mitglieder der Gründerfamilie aktive Gesellschafter bei dem „Hidden Champion“.

PR versus Understatement

Anne Bentfeld kam 2012 als Kommunika­tionschefin zur BPW. Im Bewerbungsgespräch hieß es von Seiten der Firma: „Wir wollen besser kommunizieren.“ Seitdem wurde die Webseite neu gestaltet und das Unternehmen verschickte mehr Pressemitteilungen als je zuvor. Doch bei allen Freiheiten gibt es auch für Bentfeld strikte Grenzen: „Als Kommunikatorin in einem Familienunternehmen muss man genau wissen, womit sich alle Beteiligten wohlfühlen. Ich kann nicht einfach machen, was ich möchte.“ So wollen die Gesellschafter beispielsweise nicht, dass über das karitative Engagement berichtet werde. „Sie möchten das nicht an die große Glocke hängen, weil es für sie selbstverständlich ist.“

Für Kommunikatorin Bentfeld ist das nicht immer ganz einfach. „Es gibt schon die ein oder andere Gelegenheit, die mich reizen würde, dazu eine Pressemitteilung zu verfassen“, gibt sie zu. Schließlich findet man den Grundsatz „Tue Gutes und sprich darüber“ in beinahe jedem PR-Handbuch. Dennoch könne sie sich mit der Understatement-Kultur gut anfreunden. „Wer das nicht kann, ist in einem so getakteten Familienunternehmen falsch.“ Denn Unternehmer und Mitarbeiter müssen sich mit der Kommunikation identifizieren können. Wer in der Pressearbeit die Basis verliert, büßt auch den internen Rückhalt ein: „Ich möchte das Unternehmen nach außen darstellen, aber nicht auf Teufel komm’ raus“.  So mache man viel, berichte aber weniger: Zum Beispiel über die Förderung des städtischen Hospizes oder über den Jugendfonds. Zudem engagieren sich die Gesellschafter auch unabhängig vom Unternehmen. In der Kommunikationsabteilung bekäme man selbst nur die „Spitze des Eisbergs“ mit. Ist das nun PR versus Bescheidenheit? Oder doch eher Bescheidenheit, die als PR genutzt werden kann?

Bescheidenheit als Pluspunkt

In der Stadt komme das Understatement in der Kommunikation jedenfalls gut an, glaubt der Zweite Beigeordnete Maik Adomeit. Das Unternehmen habe seit jeher einen guten Ruf in der Umgebung. Dieser sei wahnsinnig wichtig – aber nicht die Motivation des Handelns, sagt Bentfeld.

Trotz der Zurückhaltung in der Pressearbeit wissen die Wiehler von dem Engagement. In einer relativ kleinen Stadt sind die Wege der Mundpropaganda bekanntermaßen kurz. Adomeit bestätigt ein weiteres Phänomen, das bei vielen Familienunternehmen vorkommt: Der Ruf der Familie und der des Unternehmens sind eng miteinander verflochten. Deshalb kommt es auch auf das Auftreten der Gesellschafter im privaten Bereich an. „Wären das Menschen, die mit Geldscheinen in der Brusttasche abends in der Kneipe ständig Runden schmeißen würden, wären die Leute misstrauisch. Personen, die sich gerne auf jedes Pressefoto drängeln, findet man schnell, Bescheidenheit kommt aber wesentlich besser an.“ Adomeit hat aber noch eine andere Begründung für das gute Image: Die Produkte der Firma sind im Alltag für die Versorgung der Bürger nicht notwendig. Ansonsten könne schnell das Problem entstehen, dass Begehrlichkeiten in der Bevölkerung entstünden. Von einer familiengeführten Brauerei erwarteten die Leute beispielsweise Sponsoring und Freibier. Werden die Wünsche nicht erfüllt, leidet die Reputation.

Kooperation mit der Stadt

Wiehl liegt nah am Ballungszentrum Köln/Bonn, auch bis ins Ruhrgebiet ist es nicht weit. „Davon profitieren wir“, sagt Bentfeld. „Da wir aber schon ein bisschen weiter draußen sind, haben wir kein Platzproblem, das Unternehmen hatte in den vergangenen 116 Jahren viel Raum, um sich zu entwickeln.“ Dafür war aber nicht nur die freie Fläche, sondern auch die Stadt selbst bedeutend. Die BPW ist hier der größte Arbeitgeber, mit über 1.600 Mitarbeitern spielt das Unternehmen nicht nur in der Stadt, sondern im gesamten Kreis eine große Rolle. Bentfeld spricht von „gegenseitiger Wertschätzung“. Man sei froh über die Kooperation mit der Stadt: „Die Zusammenarbeit ist vertrauensvoll. Wir bekommen natürlich keine Extrawürste gebraten, aber wir gehen freundlich miteinander um.“

Einen „Vertrauensvorschuss“ bestätigt auch Adomeit. Die Gründung der Fabrik 1898 hatte nachhaltigen Einfluss auf die Region. „Die Menschen siedeln sich nur dort an, wo es auch Arbeit gibt. Die BPW ist seit über hundert Jahren hier in Wiehl der größte Arbeitgeber und damit sehr wichtig für uns.“ In der Entwicklung haben Stadt und Firma viele Berührungspunkte. „Wir haben uns immer gut arrangiert, das liegt auch daran, dass die Familie ein hohes Maß an gesellschaftlicher Verantwortung wahrnimmt. Ob in Vereinen oder der Politik, sie war immer mit im Boot und hat nicht nur eigene Interessen vertreten, sondern auch die der anderen“, lobt er. In der Kommunikation käme es darauf an, nicht von oben herab, sondern aus der Gesellschaft heraus zu agieren. „Nur wer miteinander kommuniziert, findet Akzeptanz in der Bevölkerung.“

Auf der Webseite der Stadt steht in der Liste der Sehenswürdigkeiten das Museum „Achse, Rad und Wagen“, das 1952 als Werksmuseum eingerichtet wurde. Heute hat sich der Fokus verschoben: Weniger die Unternehmenshistorie, sondern 5.500 Jahre Kultur- und Technikgeschichte des Wagens wird durch internationale Ausstellungsstücke dem Publikum nähergebracht. Um die Familie geht es hier kaum.

Präsenz und Beständigkeit

Auf der Webseite der BPW werden die einzelnen Stationen der Firmenhistorie in einem Zeitstrahl dargestellt. „Tradition spielt schon eine Rolle“, sagt Anne Bentfeld. „Odo Marquard hat einmal gesagt ‚Zukunft braucht Herkunft‘. Das fand ich früher verstaubt, heute weiß ich, dass es stimmt.“ Ein Unternehmen müsse vieles richtig gemacht haben, um so lange Bestand zu haben. Der Wettbewerb ist hart und war es auch schon immer. Trotzdem möchte die Kommunikatorin die Vergangenheit nicht zu hoch bewerten. „Es gibt ein Grundvertrauen, aber die Ausrichtung geht nach vorne, wir befassen uns mit der Zukunft.“

Die Spediteure, die sich für Produkte der BPW interessieren, müssen sich gut überlegen, welcher (kostspieligen) Technologie sie vertrauen. Eine lange Firmenbeständigkeit sei hier ein Vorteil, sagt Bentfeld. Hinzu kommt die globale Vernetzung. Die BPW hat weltweit mehr als 3.200 Servicestellen. Egal wo die Fahrzeuge unterwegs sind, gebe es also Ansprechpartner, die sich damit auskennen. Darauf ist Bentfeld stolz: „Wir haben enorm langjährige Kundenbeziehungen. Die Kunden wissen, dass sie sich auf das Unternehmen verlassen können. Sie nehmen dank ihrer persönlichen Erfahrungen mit der Firma jedem unserer Mitarbeiter ab, dass er seinen Job gern und gut macht – egal wo er sitzt.“

International verankert

In Oberberg ist die BPW als Achsenhersteller bekannt. Den, wie Bentfeld es formuliert, „gravierenden strategischen Wandel“, den die Firma im vergangenen Jahr vollzogen hat, haben viele Außenstehende vermutlich noch gar nicht mitbekommen. Für das Selbstverständnis sei es aber entscheidend, dass man sich seither als „Mobilitätspartner“ für Spediteure und als „Systempartner“ für Fahrzeughersteller verstehe. Neben den Fahrwerken stehen Komponenten aus Kunststoff, Beleuchtung und Aufbautentechnik. Die Telematik verarbeitet deren Daten und stellt Spediteur und Fahrer die relevanten Informationen zur Verfügung. Auf der Internationalen Automobil Ausstellung für Nutzfahrzeuge will sich die BPW als ganzheitlicher Dienstleister präsentieren.
Inzwischen verfügt das Unternehmen weltweit über mehr als 40 Tochtergesellschaften. Die Organisation ist dezentral: Sie alle arbeiten eigenverantwortlich und haben im jeweiligen Land ihre Wurzeln. Ein Grundsatz, der seine Berechtigung hat, findet Bentfeld. Denn in den Märkten, ob Asien, Afrika oder schon in Nachbarländern wie beispielsweise Holland, seien die kulturellen Unterschiede groß. „Die Tochtergesellschaften kennen sich dort am besten aus und haben die Freiheit oder auch die Verpflichtung, sich optimal zu positionieren. Sie sind dort ebenso verwurzelt wie wir am Stammsitz in Wiehl.“ Die Internationalisierung und das Bekenntnis zur Region stünden dabei in keinem Widerspruch.

Enge Mitarbeiterbindung

In Wiehl kennt jeder Mitarbeiter des Unternehmens auch die Chefs. Daher fühlten diese sich der Belegschaft gegenüber besonders verantwortlich. „Nicht wie bei einem Dax-Konzern, wo nur die Rendite zählt“, vergleicht Adomeit. Als es 2008 durch die Wirtschaftskrise zu Entlassungen kam, sei das den Gesellschaftern auch persönlich sehr nahe gegangen. „Wenn eine enge Bindung da ist, wiegt das natürlich deutlich schwerer. Dort herrscht keine ‚Hire-and-fire‘-Mentalität, wie man sie von manchen großen Unternehmen kennt.“

90 Prozent der Mitarbeiter leben im Oberbergischen Kreis. Daher fördere man die Infrastruktur, Sport und Kultur. Auch in der Innenstadt habe sich die Unternehmerfamilie engagiert und zahlreiche der alten Häuser renoviert, um das ursprüngliche Stadtbild zu erhalten. „Wir unterstützen hauptsächlich lokale und regionale Einrichtungen und Projekte, sponsern beispielsweise das Wiehler Eishockeyteam. Schließlich wohnt ein Großteil unserer Mitarbeiter hier, die sollen einen gutes Umfeld haben“, erklärt Bentfeld. „Wenn wir damit an die Öffentlichkeit gingen, liefe das wohl unter Employer Branding“, sagt sie und lacht. So läuft das meiste über ­Mundpropaganda. Mit Erfolg: Die durchschnittliche Betriebszugehörigkeit liegt bei 18 Jahren, immer wieder gibt es Betriebsjubiläen von 40 Jahren und mehr. „Es gibt in Wiehl wohl niemanden, der das Unternehmen nicht kennt.“ Teilweise arbeiten die Familien seit Generationen bei der BPW. Aber auch von außerhalb möchte man die besten Fachkräfte für sich gewinnen. Dass das Unternehmen den Gedanken, konkurrenzfähig sein zu müssen, in die Politik einbringt, begrüßt auch Adomeit. „Die ausgebildeten Ingenieure kommen hierher und müssen schauen, was die Stadt zu bieten hat. Gibt es ein Gymnasium, ein Schwimmbad? Die Summe der Angebote bedingt letztlich die Entscheidung, ob sie bleiben.“

Kommunikationschefin Anne Bentfeld kehrt den grünen Hügeln und den Fachwerkhäusern am Abend den Rücken und fährt in das 50 Kilometer entfernte Köln zurück. Sie gehört zu den 10 Prozent der Mitarbeiter, die nach Wiehl pendeln. Mit ihrem Arbeitgeber identifizieren kann sie sich dennoch.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Mittelstandskommunikation. Das Heft können Sie hier bestellen.

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