Von Sargnägeln und Totengräbern

Journalismus vs. PR

Das Vokabular, das auf dem Podium während der einstündigen Diskussion fiel, ließ Düsteres erahnen. Es fielen mehrfach die Worte Krise, Totengräber und Sargnagel, und kontrovers ging es zu, als auf dem Kommunikationskongress zur Frage „Journalismus vs. PR: Hat unabhängige und kritische Berichterstattung noch eine Zukunft?“ debattiert wurde. Am Ende gab es zumindest einen kleinen gemeinsamen Nenner – und der schmeichelte dem Berufsstand des Journalisten gar nicht. Doch der Reihe nach.

Sind Journalisten noch die Gatekeeper, die sie einmal waren (oder zu sein glaubten)? Sind sie noch das Korrektiv, als das sie sich verstehen (oder verstanden haben)? Und wird die PR im Vergleich zum Journalismus stetig stärker? Diese Fragen warf Moderator René Seidenglanz von der Quadriga Hochschule Berlin gleich zu Anfang des Panels auf. Die illustre Runde arbeitete sich in der Folge daran ab.

Als Vertreter der Berichterstatterzunft war Hans-Peter Siebenhaar geladen. Der Buchautor und Korrespondent des Handelsblatt für Südosteuropa machte gleich zu Beginn klar, wie er die Lage sieht: „Ich mag das Wort ‚Medienkrise‘ nicht. Aber innerhalb der Disruption der klassischen Medienindustrie ist es Fakt, dass der Journalismus in einer schwächeren wirtschaftlichen Position ist.“

Auf der einen Seite befänden sich die klassischen Medien mit Beschränkungen, etwa was Etats von Redaktionen betreffe. Auf der anderen Seite operierten beispielsweise DAX-Konzerne oder NGOs mit Budgets in zum Teil erheblicher Höhe. Siebenhaar hat beobachtet: „Auf der Strecke bleibt dabei zunehmend der unabhängige Journalismus. Unabhängig heißt: unbestechlich und ausgerüstet mit einem ökonomischen Fundament, das Recherche ermöglicht. Aber es heißt auch: unvoreingenommen. Das sollte Journalismus sein.“ Sogenannte „Content Provider“ leisten das aus seiner Sicht nicht.

Besteht Content Marketing nur aus „bestellten Wahrheiten“?

Für Siebenhaar ist Content Marketing deshalb ein „Paradigmenwechsel“ und − ökonomisch gesehen – ein „direkter Angriff auf die Medienindustrie, unabhängig davon, ob es gekennzeichnet ist oder nicht“. Siebenhaar weiter: „Content Marketing sind bestellte Wahrheiten, die geliefert werden von Journalisten, die diese aufschreiben. Unabhängige Medien haben nicht den Interessen eines einzigen Auftraggebers zu folgen. Das ist ein eindeutiger Unterschied.“

Christian Maertin, Head of Corporate Communications bei Bayer, hingegen meint: „Für die Schwäche des Journalismus ist nicht Content Marketing verantwortlich, sondern die fortschreitende Digitalisierung sowie Geschäftsmodelle, die nicht mehr funktionieren.“ Sein leicht bitteres Fazit („Ich sehe leider, dass viele Journalisten an dem Ast sägen, auf dem sie selber sitzen“) bestätigte Siebenhaar indirekt, indem er zugab: „Ich glaube, meine Berufsgruppe ist nicht gerade mit einem hohen Maß an Selbstkritik ausgerüstet.“ Das Selbstverständnis der Journalisten müsse sich „komplett verändern“: „Journalisten müssen sich vergegenwärtigen, dass sie Dienstleister der Nutzer und der Leser sind.“ Ihnen komme die Aufgabe zu, Informationen zur Einordnung und Erklärung zu liefern und Zusammenhänge zu schaffen. „Diesen Auftrag leisten sie hoffentlich unvoreingenommen.“

Ein starker Journalismus ist und bleibt wünschenswert

Die Rolle des Content Marketing gleichsam als „Totengräber“ des Journalismus, wie Siebenhaar es sinngemäß anprangert, ist Dirk Benninghoff, Chefredakteur bei der Agentur Fischer-Appelt, zu hoch gegriffen. Letztlich hätten die Verlage in Deutschland heute mit Problemen zu kämpfen, die sie früher hätten angehen müssen: „Content Marketing ist am Ende vielleicht irgendwann der letzte von 100 Sargnägeln auf den Journalismus.“ Den Nutzern gehe es um lesens- oder sehenswerte Geschichten. „Und ob Journalismus wirklich immer distanziert-kritisch ist, sei mal dahingestellt.” Benninghoff beklagt einen medialen „Drang zur Zuspitzung, einen verzweifelten Kampf um Aufmerksamkeit, einen Produktionswahn in Digitalmedien“. 

Dass es einer deutlichen Kennzeichnung von „bestellten Inhalten“ bedarf, liegt auf der Hand. Ein weiterer Tenor, auf den sich die Runde verständigte, lautete: Ein starker, unabhängiger Journalismus ist nicht nur wünschenswert. Zu hinterfragen, zu analysieren, zu kritisieren und investigativ zu recherchieren ist auch notwendig in einer lebendigen Demokratie. „Wir können alle nicht darauf verzichten“, meint Bayer-Mann Maertin.

Anna Friedrich, Head of Marketing & Communications bei Collect AI, ging sogar so weit zu sagen: „Die PR hat aus meiner Sicht die Aufgabe, kritischen Journalismus zu fördern“ – und nicht nur eigene Geschichten zu platzieren. Aus ihrer Sicht sind PR und Journalismus alles andere als Gegenspieler.

Am Ende des Panels konnten dann wohl alle mit Bennighoffs Appell sowohl an PR als auch an Journalismus und Content Marketer leben. Die kernige Aufforderung lautete: „Weniger Bullshit produzieren!“


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