Vom Getränkehersteller zum Medienhaus

Zwei Jahre Coca-Cola Journey

Herr Kammerer, wie entstand die Idee zur Journey?

Patrick Kammerer: Vor gut drei Jahren haben wir über ein Missverhältnis nachgedacht: Wir hatten 70 Millionen Fans bei Facebook. Immer mehr Menschen wollten sich weltweit auf sozialen Kanälen über Coca-Cola unterhalten. Wir spürten die wachsende Lust auf Austausch. Diese Entwicklung hat uns gefallen. Nicht zufrieden waren wir damit, wie wir auf unserer klassischen Unternehmenswebsite kommuniziert haben. Die Seite war wie eine Bühne, auf der wir von oben herab in einen dunklen Saal hinein gesprochen haben. Wir haben die Zuhörer nicht gesehen, keine Reaktionen vernommen. Also haben wir unsere Corporate Website abgeschaltet und sie durch ein digitales Magazin ersetzt. Begonnen haben wir damit in den USA. Deutschland war vor zwei Jahren dann das zweite Land, in dem wir Journey gewagt haben.

Und haben Sie gewonnen?

Wir sind gut unterwegs, haben die Reichweite unserer Inhalte signifikant ausgebaut und bekommen Kommentare und Anregungen zu unseren Beiträgen. Der Tonfall hat sich geändert. Journey ist keine Ansprache mehr, sondern eine Einladung zum Dialog: Es kommen mehr Menschen zu Besuch, sie bleiben länger und sie kommen öfter zurück.

Ging mit der Journey auch ein Kulturwandel in den Köpfen der Mitarbeiter einher, mussten vielleicht welche gehen?

Ja und nein: Die Entscheidung für Journey kam nicht von außen. Kein Berater hat sie uns nahegelegt. Wir selbst haben das Konzept von innen heraus entwickelt. Für uns war Journey die logische Konsequenz daraus, wie wir Unternehmenskommunikation verstehen und umsetzen wollen. Als Marke aus der Welt der fast moving consumer goods agieren wir seit jeher in einem dynamischen Umfeld. Veränderung und Innovation bei den Produkten, im Vertrieb wie auch in der Markenkommunikation sind Teil unserer DNA. Das Unterwegssein ist unser Programm. Das heißt, dass wir uns selbst weiterentwickeln müssen. So wurde die Kollegin aus der Pressestelle schließlich Chefredakteurin des Online-Magazins. Und ich gebe den digitalen Verleger. Das Team ist mit Journey gewachsen – zahlenmäßig und inhaltlich.

Wie groß ist das Team und welche Aufgaben haben die Mitarbeiter?

Wir sind insgesamt zwölf feste Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der gesamten Unternehmenskommunikation. Drei davon konzentrieren sich vor allem auf Journey. Zu diesen Unfreien kommen einige Freie (lacht). Darunter sind Autoren und Blogger ebenso wie SEO-Experten. Wichtig ist unser Layouter, der schon für große Lifestyle-Magazine gearbeitet hat. Wir haben unsere Kapazitäten ausgebaut, selbst dazugelernt und uns fachlich verstärkt. Von Felix Picker etwa lerne ich jeden Monat neue Apps kennen. Wir waren meines Erachtens die ersten, die in Deutschland in der Unternehmenskommunikation Vine genutzt haben. Unser Team ist interdisziplinär. Es sorgt dafür, dass die Inhalte, die wir entwickeln, auf allen Kanälen und sozialen Plattformen zur Geltung kommen. Wenn zum Beispiel bei Twitter ein Dialog über die Inhaltsstoffe der neuen Coca-Cola Life entsteht, reagieren die Mitarbeiter unseres Consumer Interaction Centers und verweisen auf die Infos zu Stevia auf Journey. Unsere Bounce Rate ist im zweiten Jahr von Journey stetig gesunken: Inzwischen können wir sieben von zehn Besuchern, die erstmalig zu uns kommen, auf unserer Seite halten. Sie bleiben inzwischen im Schnitt drei Minuten. Wenn Sie sich umschauen: beides sehr gute Werte.

Wie erreichen Sie das?

In der wöchentlichen Redaktionssitzung diskutiert das Team die Themen für die nächsten Tage. Was ist relevant, welche ist die Perspektive, die wir einnehmen wollen? Wer recherchiert, wer schreibt, gibt es Fotos oder Bewegtbild dazu? Dabei geht es auch darum, wie wir die Geschichten so aufbereiten können, dass sie auch für Journalisten und Blogger interessant sind. Diese Sitzungen sind für mich oft Highlights der Woche. Vor einem Jahr sagte dort jemand: „Lasst uns doch mal was mit Kochen machen.“ Das leuchtete mir zuerst nicht ein, bis ich lernte, dass es eine riesige Anzahl von Rezepten mit unseren Produkten gibt. Sie glauben nicht, wie viele Menschen einen Schuss Fanta in den Kuchen geben oder ihren Bratensaft mit Coke ablöschen! Die Rezepte und Kochgeschichten sind sehr erfolgreich. Im Mittelpunkt stehen jedoch die großen Titelgeschichten. Wir bieten eine breite Auswahl. Dazu gehören natürlich auch Berichte zum Thema Nachhaltigkeit, zu Karrieremöglichkeiten, zu unseren Markenprogrammen.

Wie leitet sich die Journey von der Gesamtstrategie ab?

Für uns gilt in der Kommunikation die Überzeugung, dass alles „liquid and linked“ ist. Das alte Silodenken innerhalb der Markenkommunikation gilt nicht mehr. Die Grenzen zwischen Marketing und Unternehmenskommunikation sind aufgehoben. In Kopf und Gefühl der modernen Verbraucher ist alles miteinander verbunden. Deshalb sollten wir es auch so angehen. Alles, was zu einem Thema sonst nur über klassische Marketingkanäle lief, gehört bei uns jetzt ebenfalls ins Online-Magazin. Das spiegelt ja auch die Wahrnehmung des Konsumenten wider: Wenn der auf der Straße Fanta Klassik-Plakate oder auf dem Sofa einen Fernseh-Spot sieht und parallel beim Surfen dann auf unserer Seite im Netz landet, unterscheidet der nicht zwischen Werbung und Unternehmenskommunikation. Die verschiedenen Facetten einer Botschaft müssen zueinander passen.

Hat sich Ihr Team also analog zu Verlagen in einem Newsroom organisiert?

Es ist eher ein News House. Coca-Cola stellt seit fast 130 Jahren Erfrischungsgetränke her und vertreibt sie in mehr als zweihundert Ländern. Das ist und bleibt unser Kerngeschäft. Dank unserer kommunikationsstarken Marken sind wir in den vergangenen Jahren auch ein digitales Medienhaus geworden. Wir haben an dem Tag, an dem Journey startete, die alte Webseite abgeschaltet – ohne jedoch all das, was die zu bieten hatte, aufzugeben. Parallel zum Launch von Journey vor zwei Jahren sind wir umgezogen: In unserer neue Zentrale in Berlin haben wir unsere Überzeugung auch räumlich umgesetzt. Wir haben Trennwände eingerissen, wörtlich und im übertragenen Sinn. Der Kollege, der die Brand PR leitet, gehört zur Unternehmenskommunikation und hat doch seinen Schreibtisch im Marketing. Auf Journey finden Sie auch weiterhin einen Presse-Newsroom sowie Informationen aus unserem Personal-Bereich. Unsere Zielgruppe ist der klassische Konsument ebenso wie der Journalist, der Ministerialbeamte oder der Mitarbeiter einer NGO. Es geht für uns darum, relevante Reichweite zu erzielen, keine Katzenklicks. Dabei kommt es neben dem guten Themen-Mix vor allem auf die journalistische Qualität der Geschichten und Informationen an. Insgesamt haben wir in den zwei Jahren Coca-Cola Journey Deutschland mit unseren mehr als 500 Beiträgen vier Millionen Webseitenbesuche generiert – mit steigender Tendenz. Wenn man will, kann man uns also durchaus als Online-Verleger bezeichnen.

Wie sind die Reaktionen aus der Branche darauf?

Ein Jahr nach dem Start von Journey hat der Chefredakteur eines großen Verlags gesagt, er sei erst skeptisch gewesen und habe gedacht, „Marketing goes Unternehmenskommunikation“. Aber als wir im ersten Jahr dann 1,7 Millionen Besucher verzeichnet hatten, sah er, das ist zu groß, um es einfach abzutun. Wir sind natürlich kein Wettbewerber der klassischen Medienhäuser, wenn es um den Vertrieb journalistischer Produkte geht. Aber wir konkurrieren mit deren Produkten um die Aufmerksamkeit von Lesern und Rezipienten. Das macht uns Spaß.

Ein Navigationspunkt heißt „Happiness“. Ist das auch ein Teil der Strategie?

Lebensfreude ist der Markenkern von Coca-Cola. Wir sehen das Glas grundsätzlich halb voll. Misanthropen verdursten bei uns. Dabei stellen viele unserer Geschichten gar keine unserer Produkte in den Mittelpunkt, sondern zum Beispiel Reisen oder Musik. Eines zieht sich als roter Faden durch den gesamten Inhalt: Das ist unsere Perspektive auf die Dinge, unser positiver Blick auf die Welt.

Wie setzen Sie das konkret um?

Ein Beispiel: In einer Redaktionssitzung ist eine neue Rubrik entstanden: die „good news“. Im klassischen Journalismus gehört es zum Selbstverständnis vieler Medien, Missstände, Defizite und Fehlleistungen aufzudecken. Bad news bringen nicht zuletzt Aufmerksamkeit. Wir wollen dagegen die guten Dinge in den Mittelpunkt stellen. Unsere Autoren berichten darüber, was sie Positives entdeckt haben. Eine weitere Rubrik heißt „Mums @ Work @ Coke“. Wir haben einen hohen Anteil an Mitarbeiterinnen mit kleinen Kindern. Statt Musikerinnen oder Schauspielerinnen zu befragen, lassen wir also diese Mitarbeiterinnen ehrlich, selbstkritisch und Mut machend von ihrem Leben nach der Elternzeit berichten, wie die Leiterin unseres Social-Media-Teams.

Welche Rollen spielen bei einer Weltmarke kulturelle Unterschiede?

Wir dachten zu Beginn, dass etwa 70 Prozent der Geschichten von der zentralen Redaktionsgruppe in Amerika entwickelt würden und wir diese übernehmen könnten und nur noch für Deutschland zu adaptieren bräuchten. Weit gefehlt. Acht von zehn Geschichten entwickeln wir selbst. Mehrere unserer Geschichten sind umgekehrt in Amerika und anderen Ländern übernommen worden. Das Risiko war hoch, als zweites Land weltweit Journey zu starten – nicht nur, weil es viele technische Herausforderungen gab. Als Weltmarke kannst Du auch keinen Twitter-Account anlegen und nach sechs Monaten wieder sterben lassen. Das mussten wir bei den Investitionen und dem Aufbau neuer Kapazitäten berücksichtigen. Hätten wir es nicht hinbekommen, würden Sie heute kein Interview mit mir führen. Oder unter einer anderen Telefonnummer. (lacht)

Welche Rolle spielen Blogger-Relations?

Eine Schlüsselrolle. Der Dialog ist für Journey elementar. Uns war deshalb von Beginn an klar, dass wir nur dann erfolgreich sind, wenn wir über den eigenen digitalen Tellerrand hinaus schauen.

Felix Picker: Wir arbeiten jetzt lange mit Bloggern aus vielen Bereichen zusammen. Das ist eine Win-Win-Situation für beide Seiten, weil wir uns gegenseitig inspirieren. Anfangs haben wir nur in eine Richtung gearbeitet, indem wir Bloggern Informationen bereitgestellt und Events veranstaltet haben. Heute arbeiten wir gemeinsam an Inhalten, Blogger sind ins Redaktionsteam eingebunden. Der Startschuss war unser Blogoskop. Wir stellen zum Beispiel monatlich unsere Lieblings-Blogs aus dem gesamten digitalen Kosmos vor. Es gibt die erfolgreiche Kolumne „Der Glückssucher“ von Jochen Mai („Karrierebibel“). Oder Sascha „Gilly“ Israel, eine echte Koryphäe der deutschen Blogosphäre, der wöchentlich Fundstücke und Trends zeigt – etwas nerdy, aber ich liebe es.

Welche anderen Bereiche bespielen Sie noch digital?

Patrick Kammerer: Anders gefragt: Was ist denn heute nicht mehr digital? Die Transformation von Geschäftsprozessen ist doch längst in vollem Gang. Die Abteilung Human Resources ist zum Beispiel im Talent Recruitment digital unterwegs. Bei einer Twitter Job Fair haben wir uns zusammen mit anderen Unternehmen den Fragen von Bewerbern gestellt. Und auf der Apps World hat unsere CEO vor wenigen Wochen unsere eigene Get Happy App vorgestellt. Damit kann man an Verkaufsstellen wie Restaurants Tische vorbestellen, die App als digitale Loyalty Card nutzen, Events anzeigen oder Take Away ordern. Selbst der Austausch mit Politikern erfolgt heute häufiger online als bei realen Treffen.

Welche Geschichten waren bei Journey bisher besonders erfolgreich?

Bei unserer Erfolgsmessung geht es nicht nur um Reichweite. Erfolgreich sind Geschichten, die von 400.000 Menschen gelesen werden ebenso wie die, die 400 Besucher haben. Entscheidend ist, wer zu uns kommt. Deshalb ist die Anerkennung einer NGO zu einer Infografik über den Wasserverbrauch bei unserer Produktion im Nachhaltigkeitsbericht zum Beispiel ein großer Erfolg. Unsere Geschichte zu „25 Jahre Mauerfall“ hatte mehr als 300.000 Besuche. Dort berichtete ein Mitarbeiter über seine persönlichen Erlebnisse aus dem Jahr 1989. Die Story war angereichert mit Fotos, die diesen historischen Moment berührend dokumentiert haben. Und zur WM 2014 haben wir als Hauptsponsor den Original-Pokal bereits nach Deutschland geholt, als alle erst vom Titel träumten. Das war nicht nur ein Consumer-Event, der Pokal diente auch als Inspiration für das eigene Leben, als wir ihn in einen Jugendknast brachten. Auf Journey erzählte uns danach ein junger Mann im Film, wie er im Gefängnis gelandet war, aber der Fußball ihm half, sein Leben wieder in den Griff zu kriegen. Heute spielt er beim SC Paderborn in der 1. Liga. Es ging ihm in seiner Geschichte darum, nichts zu beschönigen, aber zu vermitteln, dass man an sich glauben, ein Ziel haben muss.

Wie beeinflusst die Leseart Ihren Content?

Wir haben von Anfang an auf Responsive Design gesetzt. Im ersten Jahr von Journey haben unsere Leser zu 17 Prozent Mobiltelefone und Tablets genutzt, wenn sie unser Magazin besucht haben. Dieser Anteil hat sich bis heute verdreifacht. Daraus ergeben sich wichtige Einsichten: Unsere Geschichten funktionieren am besten, wenn sie kurz sind. Obwohl wir auch längere Reportagestücke anbieten, kommen die meisten Geschichten mit weniger als 500 Wörtern aus. Wir haben sie so konzipiert, dass man etwa so lange braucht, die Geschichten zu lesen, wie man benötigt, eine Coke zu trinken. A story to go. Tatsächlich lesen viele Konsumenten unsere Geschichten genauso und genau dann, wie sie andere digitale Plattformen besuchen: in der U-Bahn, während einer Arbeitspause, als Inspiration zwischendurch. Bewegtbild ist wichtig, starkes Layout, witzige Headlines.

Die Journey bietet auch das Format „Auf eine Coke mit…“. Mit wem würde Sie gerne mal eine trinken?

Patrick Kammerer: „Auf ne Coke mit“ habe ich geklaut. Die Inspiration dazu stammt aus dem „Zeit-Magazin“ von dessen früherem Format „Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt“. Wir stellen Schauspielern, Autoren oder Musikern sechs bis acht unterschiedliche Fragen zu ihrem Leben. Darunter ist immer auch eine nach ihrem persönlichen Coke-Moment.

Ich würde meine Coke aktuell gerne mit Balbina trinken, einer Musikerin, die in Berlin lebt und gerade mit Herbert Grönemeyer auf Tour ist. Sie wurde in der Schule immer als Freak bezeichnet, weil sie anders war. Als sie mit der Musik anfing und andere Menschen kennenlernte, entdeckte sie: Ich bin zwar anders, aber damit nicht allein. Sie hat von dieser Stärke mit Leichtigkeit erzählt. Das hat mir gefallen.

Felix Picker: Ich würde meine mit dem Viner Jerome Jarre trinken, dem wohl kreativsten Menschen im digitalen Raum. Der ist jung und bringt vom digital native bis zum silver surfer alle zum Lachen. Jarre macht jeden Ort verrückt, weil er Menschen mit seinen sechssekündigen Filmen irritiert und ansteckt.

 

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