Vertrauen ist gut, Controlling unverzichtbar?

Kontrolliert zu werden, ist meistens wenig spaßig. Sei es der strenge Blick des Fahrkartenkontrolleurs in der S-Bahn, die hochgezogene Augenbraue des Zahnarzts bei der Routineuntersuchung oder das Gefühl diffusen Unbehagens, wenn die Polizei nach Führerschein und Fahrzeugpapieren verlangt. Wir mögen es nicht, von anderen überwacht und auf die Probe gestellt zu werden.

Der Wortursprung liegt im Französischen: „Contre rôle“ bedeutet wörtlich übersetzt einfach „Gegenregister“. Wir haben also ein Originalregister, dessen Inhalte wir mithilfe eines zweiten auf ihre Richtigkeit hin prüfen. Auch das klingt nicht sonderlich glamourös. Aber immerhin weniger nach Machtausübung, Herrschaft und Schikane und mehr nach schlichtem Pragmatismus. Schlägt man das Wort „to control“ im Dictionary nach, findet man die Verben steuern, regeln, beherrschen übrigens weit vor dem deutschen kontrollieren. Controlling ist also beileibe nicht mit Kontrolle gleichzusetzen. Doch auch wenn es um Steuerungsprozesse im Unternehmen geht, herrscht im ersten Moment häufig Skepsis vor.

Ein Missverständnis, glaubt Ulrich Nies, der seit 2010 die Kommunikation für die Regionen Europa, den Nahen Osten und Afrika beim Spezialchemiekonzern Clariant verantwortet. „In den Unternehmen wird Controlling häufig mit dem Messen gleichgesetzt. In der PR-Abteilung herrscht dann die Angst vor, dass jemand kommt und fragt: ‚Wie viel Kilo Pigment haben wir mehr verkauft, weil ihr diese Veranstaltung organisiert habt?‘“ Eine unangenehme Vorstellung.

Weicher Faktor, harte Zahlen?

Es wäre viel gewonnen, glaubt Nies, wenn sich das Verständnis von Kommunikations-Controlling als Management oder Steuerung durchsetzen würde. Doch gerade in kleinen Unternehmen sind die Definitionen oft schwammig, gerade was die Abgrenzung von Controlling und Evaluation anbelangt. Nies fällt diese leicht: „Evaluation ist lediglich das Messgerät. Als würde ich mit einem Thermometer die Temperatur des Badewassers messen. Das Controlling beinhaltet aber die Zielsetzung: Ich möchte eine angenehme Wassertemperatur haben und steuere aktiv darauf hin, indem ich an den Reglern drehe.“ Genau abbilden zu können, welchen Beitrag die Kommunikation zum Unternehmenserfolg leistet, diene auch zur Verständigung mit den anderen Abteilungen.

Dass nur große Konzerne eine solche Steuerung benötigen, hält Nies dabei für einen Irrtum: „Ob sich jemand als ‚Medienotto‘ oder Kommunikationsmanager begreift, ist völlig unabhängig von der Unternehmensgröße, sondern eine Frage der Herangehensweise. Stelle ich mir die Frage, wie genau ich etwas zum Unternehmenserfolg beitragen kann oder sage ich: ‚Ich mache auf der Messe xy einen Stand, weil Budget da ist und wir das schon immer gemacht haben‘?“

Gerade die Vielzahl der neuen Kommunikationskanäle und der immer größere Wettbewerb um Aufmerksamkeit machen eine gezielte Steuerung und Feinjustierung unverzichtbar. Hinzu kommt der finanzielle Aspekt. Dieser Ansicht ist auch Alexander Zell, Leiter Konzernkommunikation beim Frankfurter Energieversorger Mainova. „In Zeiten, in denen es allen gut geht, kann man vielleicht auch ohne Zahlen auf die Kommunikation vertrauen. Aber in Zeiten sinkender Budgets – wenn die Unternehmensleitung entscheiden muss, welchen Euro sie in welches Projekt steckt, müssen auch wir unsere Wirkung empirisch nachweisen können.“

Die Sehnsucht nach dem Meer

Zell wurde 2009 bei Mainova eingestellt – mit dem klaren Auftrag, dort Prozesse der Kommunikationssteuerung zu implementieren. In seinem neuen Kollegium begegnete auch ihm die Furcht vor den Zahlen. „Ich musste anfangs schon Überzeugungsarbeit leisten“, erinnert er sich. Das häufigste Argument gegen das Kommunikations-Controlling war, dass es doch überhaupt nicht möglich sei, einen so weichen Faktor wie Kommunikation zu bemessen. „Aber wir müssen doch wissen, ob und wenn ja, welche Wirkung wir mit unserer Arbeit erzielen!“, insistierte Zell.  Er versuchte, allen klar zu machen, welche Chancen darin liegen, nachweisen zu können, dass die Konzernkommunikation einen aktiven Part für die Wertschöpfung der Mainova beisteuert. Anstatt, bildlich gesprochen, zu erklären, wie man ein Boot baut, habe er seine Abteilung ganz im Sinne des Schriftstellers An­toine de Saint-Exupéry die Sehnsucht nach dem Meer gelehrt.

Nach einem halben Jahr hatten sich alle Mitarbeiter mit der neuen Art der Steuerung angefreundet. „Auch für unsere Reputation innerhalb des Unternehmens war die Einführung des Controllings extrem hilfreich“, ist sich der Kommunikationschef sicher. Während es woanders oft über PRler heiße, „die machen doch immer nur ihre tollen Pressebildchen und feiern sich selbst“, gebe es eine solche Abschätzung bei Mainova nicht mehr. Über das Stadium, sich als Abteilung durch das Kommunikations-Controlling legitimieren zu müssen, sei man inzwischen aber weit hinaus, sagt Zell. „Natürlich muss ich mich rechtfertigen für das, was ich tue, beispielsweise wenn ich Geld für Sponsoring ausgebe. Aber im Unternehmen gibt es niemanden mehr, der glaubt, dass wir überflüssig sind.“

Aus dem Kopf statt aus dem Bauch

„Kennzahlen sind nicht dazu da, um einzelne Personen anzuprangern, sondern um sich von Bauchbeurteilungen zu befreien“, sagt Jan Erik Sass, Leiter des DPRG-Arbeitskreises Kommunikationssteuerung und Wertschöpfung. Das Controlling schaffe viele Vorteile und sei zudem alternativlos: „Bewertet wird man sowieso, und dann ist es besser, wenn die Kriterien dieser Beurteilung rational sind und selbst gesetzt werden.“

Die Intention ist Sass zufolge, Klarheit über Ziele zu gewinnen, Transparenz zum Kommunikationsstatus zu schaffen und dann aus den Ergebnissen weiterführende Fragen und Handlungsempfehlungen zu entwickeln – nicht das Bemessen der Leistung an nackten Zahlen. Dadurch entstehen bei allen Beteilig­ten eine größere Sicherheit und neue Verhaltensoptionen. Zudem wirkt ein klares Zielbild motivierend auf die Mitarbeiter.

Erst indem sie zum Business Partner des Managements wird, könne Unternehmenskommunikation eine strategische Bedeutung beanspruchen, sagt Sass. Grundsätzlich gelte: „Je mehr ich als Kommunikationsverantwortlicher weiß und je früher ich die Planungen des Managements kenne, desto besser kann ich die Kommunikation auch steuern und riskante Entwicklungen mit meiner internen Beratung auffangen.“ Andererseits gehöre es ebenfalls zur Rolle eines Kommunikationsverantwortlichen, die Erwartungen und Themen der Stakeholder gegenüber dem Management frühzeitig zu vertreten. Offene Türen und ein kontinuierlicher Dialog sind für die Kommunikationssteuerung also essenziell.

Es ist ein Trugschluss anzunehmen, dass die Unternehmenskommunikation eine Monopolstellung einnimmt, was die Gestaltung von Marke und Reputation betrifft. Sass betont, man müsse sich klar machen, dass diese maßgeblicher von anderen Organisationsfunktionen im Unternehmen bestimmt werden. „Wenn man plausibel machen möchte, dass die Unternehmenskommunikation diese immateriellen Werte unterstützt, geht es darum, in Zwischenschritten zu zeigen, wie sie beeinflusst wurden.“ Mit einer Medienresonanzanalyse allein sei das nicht getan.

Wichtig ist, dass auch Kommunikationskennzahlen nicht isoliert zu betrachten, sondern stets erklärungs- und interpretationsbedürftig sind und immer im Kontext zu spezifischen Ereignissen, wie beispielsweise Ressourcenbeschränkungen oder Branchenentwicklungen, gesehen werden müssen. Das betrifft laut Sass sowohl Kennzahlen der Medienresonanzanalyse als auch andere Bereiche.

Und wie funktioniert das jetzt in der Praxis?

Mit den klassischen KPI des Controllings ist das Instrument der Kommunikation nicht messbar. Es gilt, nicht nur die Quantität, sondern auch die Qualität zu berücksichtigen. Die Wahl einer geeigneten Methode fällt daher in vielen Unternehmen schwer. Bei Mainova hat man sich dafür entschieden, gemeinsam mit Professor Lothar Rolke von der Hochschule Mainz ein eigenes Konzept zu erarbeiten. „Ich habe ein am Ergebnis orientiertes Verständnis von Kommunikation. Daran muss sich unsere Arbeit messen lassen. Eine reine Medienresonanzanalyse reicht uns deshalb nicht. Wir messen die Qualität der Kommunikation nicht in der Anzahl der veröffentlichten Meldungen, sondern schauen, wie sich durch die Kommunikationsarbeit über die verschiedenen Kanäle das Verhalten der Zielgruppen verändert. Anhand von zuvor festgelegten Zielvorgaben können wir dann Maßnahmen ergreifen und die Kommunikationsaktivitäten steuern“, erklärt Alexander Zell.

Dazu wurden zunächst die Kommunika­tionsthemen des Energieversorgers in verschiedene Bereiche wie beispielsweise „Gesellschaftliches Engagement“ oder „Wirtschaftsfaktor“ eingeteilt. Diese Felder werden kommunikativ bearbeitet und daraufhin die Medienresonanz in Augenschein genommen. „Wir haben darauf geachtet, alle relevanten Medien zu erfassen, also auch kleine, lokale Anbieter miteinzubeziehen. Außerdem analysieren wir auch die Tonalität der Veröffentlichungen.“ Diese Medienresonanznanalyse wird anschließend eng mit einer quartalsweisen Telefonumfrage verknüpft. Zell kann seither belegen: „Je mehr Themen von uns in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden, desto positiver bewerten die Befragten das Image der Mainova. Und das Image ist – neben dem Preis – einer der entscheidenden Faktoren für den Vertrags­abschluss. Damit haben wir also nachweisbar einen starken Einfluss auf den unternehmerischen Erfolg.“

Aus den Ergebnissen des PR-Controllings lassen sich klare Konsequenzen für die strategische Themenplanung ableiten. So sei der Einfluss von CSR-Themen inzwischen überproportional stark positiv. Ein solches Wissen ist viel wert. Der Kommunikationschef erklärt: „Wir wissen, dass Preiserhöhungen natürlich immer eine negative Wirkung auf das Image haben. Die Tonalität können wir entschärfen, indem wir zum einen die Gründe dafür kommunizieren und zum anderen zur selben Zeit eine positive Begleitmeldung aus dem CSR-Bereich ergänzen.“ Diese Rechnung klingt fast zu einfach, um wahr zu sein.

Gemeinsames Ziel: Wertschöpfung

Doch damit nicht genug. Aktuell plant die Mainova noch einen weiteren Schritt, um das Controlling voranzutreiben: „Wir arbeiten gerade an einer Verzahnung mit den anderen Kommunikationskanälen des Unternehmens wie dem Marketing, um künftig ein integriertes Monitoring zu betreiben.“  Man wolle ganz genau wissen, welches Thema über welchen Kanal bei welcher Zielgruppe wie wirkt. Dazu müssen sich die üblichen Zerstreuungen der verschiedenen Abteilungen konzentrieren. Für Zell ist das der nächste logische Schritt: „Die Frage ist doch: Wie erreiche ich die Zielgruppe am besten? Sollte das über ein Plakat gehen, ist das zwar Sache des Marketings – aber dennoch Teil unserer ressortübergreifenden Zielvereinbarung.“

Auch bei Clariant soll das gemeinsame Ziel nicht aus den Augen verloren werden. Die Kommunikationsstrategie leitet sich direkt aus der Wachstumsstrategie des Unternehmens ab: Was ist die Vision des Konzerns? Wofür steht die Marke? Aus diesen Fragen wurden auch hier Metathemen, wie zum Beispiel „Innovation“ oder „Nachhaltigkeit“ generiert und Zielgruppen bestimmt. „Eine Einheit kümmert sich darum, Inhaltspakete für die verschiedenen Stakeholdergruppen zu schnüren“, erklärt Ulrich Nies. „So stellen wir sicher, dass wir mit einer Stimme sprechen.“

Die entsprechenden Inhalte konzertiert ein Editorial Office, einmal im Monat werden neue Themen besprochen. Clariant analysiert Medieninhalte und beobachtet die Reaktionen in den sozialen Medien in Zusammenarbeit mit einem externen Partner für globales Monitoring. „Wichtig war uns, dass dieser uns nicht einfach Big Data vor die Tür kippt, sondern auch Hilfe bei der Interpretation der Daten bietet.“ Schließlich gehe es darum, Schlüsse zu ziehen, sich nicht nur über eine positive Medienresonanz zu freuen, sondern auch herauszufinden, wie man diese noch verstärken kann.

Der Blick in den Spiegel

Doch bei aller Liebe zu Zahlen und harten Fakten, sollte man es nicht übertreiben.  „Wenn jemand mir einen Reputationswert in Euro umrechnen will, steige ich aus. Das empfinde ich als ein Anbiedern an andere Mess­systeme“, sagt Nies. Schließlich habe man diesen Betrag auf keinem Konto.  Befragt er aber Journalisten nach der Qualität der Meldungen, erfährt er genau, wo er tätig werden muss, um sich den Zielen anzunähern. Generell gilt jedoch für den Kommunikator: „Fast entscheidender als in jedem Einzelfall das Ziel zu erreichen, ist, zu wissen, welche Maßnahmen funktionieren und welche nicht.“

Eine simple Formel, die in jedem Unternehmen die Qualität und Effektivität der Kommunikation bestimmt, wird es also wohl auch in Zukunft nicht geben. Dennoch erleichtert eine gute Steuerung – inklusive Evaluation – letztlich die Arbeit und verschafft die beruhigende Sicherheit, trotz „weicher“ Faktoren einen konkreten Beitrag zum Unternehmen zu leisten. Und wenn das der Fall ist, macht ein Blick auf das Cover unseres aktuellen Magazins doch gleich viel mehr Spaß, oder?

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Kommunikations-Controlling, Evaluation und Eigen-PR. Das Heft können Sie hier bestellen.

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