„Mitarbeiter kennen die Makel ihrer Chefs“

Führung und Vertrauen

Für ihre Forschung war Ulrike Schwegler viel im Ausland, immer auf der Spur nach den Zutaten für eine vertrauensbasierte Führungskultur. Heute ist sie Professorin für Wirtschaftspsychologie an der Stuttgarter FOM Hochschule für Oekonomie und Management und leitet gleichzeitig das Institut für angewandte Vertrauensforschung. Schwegler lehrt weltweit in Workshops, wie man vertrauensvolle Beziehungen zu seinen Mitarbeitern aufbauen kann. Ihre Kunden: CEOs und Geschäftsführer, die verstanden haben, dass Misstrauen und Kontrolle die Produktivität senken und die Krankheitsrate in die Höhe schnellen lassen.

Frau Schwegler, Ihre Forschung hat ergeben, dass der durchschnittliche Manager eine, maximal zwei intensive Vertrauens­beziehungen im Unternehmen unterhält. Sind für eine vertrauensvolle Unternehmenskultur nicht mehr Beziehungen vonnöten?

Ulrike Schwegler: Nein, auf keinen Fall. Manager sind in meinen Workshops richtig erleichtert, wenn ich ihnen das sage. Es ist viel vernünftiger, ein funktionales Vertrauen aufzubauen. Das bedeutet: Wir sollten einander bereichsspezifisch vertrauen. Das ist auch die einzige Form von Vertrauen, die aktiv aufgebaut werden kann.

In Ihrem Modell unterscheiden Sie nach der Qualität des Vertrauens.

Ganz genau. Ich dachte lange Zeit, Vertrauen sei gleich Vertrauen. Aber mittlerweile unterscheide ich zwischen dem genannten funktionalen Vertrauen, dem exklusiven Vertrauen und dem negativen Vertrauen. Exklusives Vertrauen – also eine Arbeitsbeziehung, in der man sich quasi blind vertraut und einander nicht kontrolliert – kann man gar nicht willentlich herstellen. Es basiert auf Gefühlen und passiert einem genauso wie Verliebtheit.

Was bedeutet negatives Vertrauen?

Viele Manager, mit denen ich Interviews geführt habe, sagten mir, dass sie sich zu 100 Prozent darauf verlassen können, dass diese oder jene Veränderung bei Mitarbeiter xy nicht funktionieren wird. Das ist negatives Vertrauen. Vertrauen ist in diesem Fall: Ich verlasse mich darauf, dass etwas nicht klappt. Das kann in massivem Misstrauen enden, das die Qualität und Geschwindigkeit der Zusammenarbeit erheblich beeinträchtigt. Deshalb ist ein vertrauensbasierter Umgang in Teams so wichtig. Die Teams sind dadurch schneller, effektiver und haben weniger gesundheitliche ­Probleme.

Wie baut man Vertrauen überhaupt auf?

Chefs kommen zu mir und wünschen sich, dass die Mitarbeiter ihnen vertrauen. Aber die meisten sind nicht bereit, auch etwas zu investieren. Vertrauen in den Chef entsteht nicht einfach so. Dafür muss man sich in gewisser Weise verletzbar machen. Der Mitarbeiter muss sozusagen die Möglichkeit haben, das Vertrauen zu enttäuschen. Das ist die große Schwierigkeit, denn niemand geht gern ein Risiko ein. Wenn ich als Chef sehr viel kontrolliere und vorgebe und den Mitarbeitern nicht die Gelegenheit gebe, eigene Wege zu gehen, bekomme ich kein Vertrauen.

Kann man lernen, ein Risiko einzugehen?

Es gibt Übungen dafür, sich als Mensch zu zeigen, sich zu öffnen. Ich gehe dann mit dem Chef und seinem Team in die Natur, um uns kennenzulernen – es geht nicht darum, sich zu entblößen, sondern darum, sich jenseits der Büroräume als Menschen zu ­begegnen. Davor haben manche Führungskräfte Angst und würden sich am liebsten vor der Aufgabe drücken.

Was lässt mich als Chef vertrauenswürdig ­wirken?

Laut Studien sind es drei Dinge: Kompetenz, Inte­grität und Wohlwollen. Die Führungskraft hat also fachlich Ahnung und kennt sich mit Führungsinstrumenten aus, steht zu ihrem Wort, handelt vorhersagbar und berücksichtigt beim Verfolgen eigener Ziele die Bedürfnisse der Mitarbeiter.

Und tun das die Chefs, die Sie ­kennengelernt haben?

Wenn ich Manager frage, was sie tun, um vertrauenswürdig zu wirken, antworten sie: Ich bin total zuverlässig, halte mein Wort, weiß, wovon ich rede … Aber worauf sie selten eingehen, ist das Wohl­wollen. Daran mangelt es. Dadurch vertrauen Mitarbeiter nur bedingt, es entsteht kein funktionales – also auf bestimmte Bereiche bezogenes – Vertrauen, da die ­Mitarbeiter sich nicht wahrgenommen fühlen.

Was für Möglichkeiten hat ein Chef, ­jenseits eines Workshops das zu ändern?

Es geht nicht ohne Öffnung; man sollte sich mit seinen Stärken und Schwächen zeigen können. Dazu muss man sich selbst gut kennen und einschätzen. Man könnte sich auf die drei Komponenten hin reflektieren: Wie kompetent, integer und wohlwollend bin ich wirklich? Wo und an welcher Stelle zeige ich in der Zusammenarbeit mit meinem Team welche Eigenschaft? Bin ich als Mensch greifbar? Wo bin ich vielleicht gar nicht wohlwollend, ohne es bislang bemerkt zu haben? Führungskräfte neigen nur leider dazu, ihre Schwächen als Stärken zu verkaufen, auch vor sich selbst. Fakt ist aber nun mal: Mitarbeiter sind nicht blöd, sie kennen die Makel ihrer Chefs.

Auf die Bedürfnisse jedes Einzelnen ­wohlwollend einzugehen, ist eine große Aufgabe. Wie groß sollte ein Team sein, damit eine Führungskraft wahrhaftig wohlwollend sein kann?

Ideal sind zwölf Mitarbeiter. Wohlwollen wird bei größeren Teams natürlich schwieriger. Da könnte man bereichsspezifisch vorgehen und sich fragen, an welcher Stelle welche Mitarbeiter betroffen sind, und sich auf diese kleinen Gruppen konzentrieren.

In Studien ist Vertrauen den Managern am wichtigsten, dennoch etablieren Unternehmen Kontrollinstrumente. Wie passt das zusammen?

Vertrauen braucht gewisse Kontrollmechanismen. Die Frage ist nur: Wie intensiv und an welcher Stelle kontrolliere ich? Man kann kaum in Zahlen fassen, wie das Maß zwischen Vertrauen und Kontrolle aussieht. Das Risiko muss eingegrenzt und vorhersagbar sein, sonst kann man nur noch hoffen, nicht vertrauen. Am besten ist es, wenn man das Controlling so gestaltet, dass es als wertschätzend wahrgenommen wird, dass gute Arbeit auch gesehen wird. In dem Moment, wo Controlling jedoch als Misstrauen des Managements wahrgenommen wird, kippt die Stimmung und die Produktivität sinkt.

Menschen denken oft von sich, sie hätten kein Problem mit Vertrauen …

Wenn ich in meinen Workshops erkläre, dass Menschen sehr unterschiedlich fähig sind, Vertrauen aufzubauen, stoße ich immer auf viel Widerstand. Die Vertrauensdisposition ist wie ein Persönlichkeitsmerkmal. Es gibt Low-Trust- und High-Trust-Personen. Manche Menschen sind per se argwöhnisch, auch noch nach fünf Jahren. Sie wollen das aber nicht ­zugeben.

Was versprechen sich diese Menschen davon?

Sie wollen Enttäuschungen entgehen. Aber Studien ergaben interessanterweise, dass Personen, die schnell vertrauen, nicht mehr enttäuscht werden als Low-Trust-Menschen. Natürlich gibt es immer ­Menschen, die geschenktes Vertrauen ausnutzen. Aber oft hängt das auch mit Erwartungen zusammen, die vorher gar nicht klar formuliert wurden.

Wie kann man zerbrochenes Vertrauen wiederaufbauen?

Man muss sich zuerst fragen: Ist es ein Kompetenz-, Integritäts- oder Wohlwollen-Vertrauensverlust? Und dahingehend konkrete Maßnahmen in dem Bereich planen. Führungskräfte sollten von sich selbst wissen, ob sie ein Low- oder High-Trust-Typ sind – und sich bewusst verändern in kleinen Schritten. Wenn ich meine Mitarbeiter dahingehend einschätzen kann, verstehe ich ihr Verhalten viel eher. Mit Dingen, die mir bewusst sind, kann ich aktiv arbeiten.

Wie misst man Vertrauen?

Man kann die Mitarbeiter schätzen lassen: Auf einer Skala von eins bis zehn, was fühlt ihr? Ich messe auch gern die oben erwähnte Qualität der Vertrauensbeziehungen in Teams. Es sind am Ende aber immer Stimmungen, die ich erhebe, keine objektiven Zahlen. Was sich auch gut messen lässt, ist, dass sich hohes Misstrauen auf die Gesundheit der Mitarbeiter auswirkt. Generell gilt: Jeder wünscht sich Handlungsfreiräume, jedoch in unterschiedlichem Maße.

Sie haben deutsche multinationale ­Unternehmen und deren ausländischen Counterpart in Indonesien untersucht. Was war für Sie der prägendste Unterschied zwischen den beiden Kulturen in Bezug auf Vertrauen?

Vieles war ähnlich bei den Managern: Beide haben nur eine oder zwei exklusive Vertrauensbeziehungen. Interessant war, wie es jeweils zu dieser Beziehung kam. Ein deutscher Manager sagte: „Mein indonesischer Kollege widersprach mir und hatte sogar recht. Da merkte ich, dem kann ich vertrauen.“ Die deutschen Manager beschrieben häufig kommunikative und arbeitsbezogene Situationen. Ein Indonesier hingegen erzählte: „Eines Tages war ich mit meinem deutschen Chef in einem Armenviertel in Jakarta unterwegs und er kaufte in einem Kiosk Lebensmittel, Spielzeug und Süßigkeiten und schenkte sie den Kindern auf der Straße. Da wusste ich: Dieser Mensch hat ein gutes Herz. Ihm kann ich vertrauen.“

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe SPIELEN. Das Heft können Sie hier bestellen.

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