Unter Druck kreativ bleiben

Herr Schmidt, Die „Krim-Krise“ begann mit Protesten auf dem Maidan in Kiew und wurde, wie es Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier formulierte, zur „schwersten Krise seit dem Mauerfall“. Welche Auswirkungen spüren Sie im ukrainischen Leoni-Werk?

Schmidt: Unser Werk ist von den krisengeschüttelten Regionen weit entfernt, ganz im westlichen Teil der Ukraine. Mit Stand von heute, also Ende Mai, können wir dort normal produzieren und unsere Produkte exportieren.

Sind Situationen wie diese ein kommunikativer Alptraum?

Albtraum ist zu viel gesagt, aber schon eine Herausforderung. Auf Presseanfragen zu antworten, ist schwierig, da sich die Situation vor Ort stündlich ändern kann. Für Medien und Öffentlichkeit ist es oft schwer zu verstehen, warum ein Unternehmen in diesen Regionen vertreten ist, dort bleiben will und auch nicht einfach die Produktion verlagern kann.

Warum ist Leoni denn überhaupt in politisch eher instabilen Regionen aktiv?

Das hängt vor allem mit unserem Geschäftsbereich zusammen, der Bordnetz-Systeme produziert. Das sind komplexe Kabelsätze für die Automobilindustrie. Diese Produkte werden großteils in Handarbeit gefertigt und aufgrund des hohen Lohnkostenanteils können wir das nur in Regionen tun, die vergleichsweise günstig sind. Doch insgesamt befindet sich nur ein kleiner Teil unserer Produktionsstandorte tatsächlich in latent gefährdeten Regionen.

Zum Beispiel?

In Nordafrika. In Tunesien sind wir mit 12.000 Mitarbeitern beispielsweise der größte private Arbeitgeber.

Wie bereitet Ihr Unternehmen sich auf potenzielle politische oder gesellschaftliche Konflikte an solchen Produktionsstandorten vor?

Für zahlreiche Notfall-Szenarien haben wir Krisenpläne erarbeitet und entsprechende Maßnahmen aufgesetzt, die vor allem das operative Geschäft betreffen, aber auch für die Kommunikation gelten. Insbesondere ist festgelegt, wer intern wann benachrichtigt werden muss, wie Mitarbeiter angesprochen werden sollen und mit welchen Botschaften wir uns extern äußern.

Trotzdem wurde auch Ihr Unternehmen dort 2011 von den Protesten des „Arabischen Frühlings“ überrascht…

Absolut, die Proteste in Tunesien haben uns kalt erwischt. Weil der öffentliche Nahverkehr zusammenbrach, kamen zunächst mehrere tausend Mitarbeiter nicht zur Arbeit. Andere wollten wegen Plünderungen lieber zu Hause bleiben und ihr Eigentum schützen. Und die Ausgangssperre kollidierte mit den Arbeitszeiten unseres Drei-Schicht-Systems. Wir mussten sehr schnell auf Krisenmanagement umschalten.

Krisenmanagement bedeutet meist Handeln unter starkem Zeitdruck, schnelle Entscheidungen bei mangelnden Informationen. Was sind die ersten Dinge, die Sie in der Kommunikation dann organisieren?

Das hängt immer von der Situation ab. Grundsätzlich gehört aber die Analyse der Situation vor Ort im Unternehmen zu den ersten Tätigkeiten; dazu brauche ich möglichst schnell konkrete Informationen aus erster Hand. Gleichzeitig lohnt der Blick auf die übergreifende Berichterstattung in den Medien. Beides zusammen ermöglicht die Entscheidung, ob man aktiv kommunizieren oder zunächst „nur“ auf Anfragen reagieren will. Wichtig ist, sich sowohl was die Kommunikation als auch das operative Krisenmanagement angeht, auch unter Druck ein gewisses Maß an Kreativität zu erhalten.

Wie zeigt sich diese Kreativität am angesprochenen Beispiel des Arabischen Frühlings? Welche Schritte haben Sie damals unternommen?

Operativ haben wir unser Schichtsystem den Ausgangssperren angepasst, also von drei auf zwei Schichten umgestellt. Zusätzlich haben wir ein eigenes Bussystem organisiert, dass die Belegschaft zur Arbeit ins Werk und vor allem aber auch nach Schichtende und vor der Ausgangssperre wieder zurück zu ihren Familien brachte. Zusätzlich haben wir Getränke und Lebensmittel bereitgestellt. Dabei war der Aufbau einer eigenen Busflotte weder in unseren Szenarien, noch in irgendwelchen Krisenplänen vorgesehen, es wurde kurzfristig entschieden.

Und in der Kommunikation?

Mir war es wichtig, das lokale Management soweit möglich vom ausländischen Medienrummel abzuschirmen, damit es auf operativer Ebene weiter handlungsfähig bleibt. Die Kommunikation mit den deutschen und internationalen Journalisten lief daher über die Pressestelle hier in Deutschland – auch wenn viele Medien lieber einen O-Ton von den Verantwortlichen vor Ort gehabt hätten. Eine Herausforderung in Tunesien war, dass ein Teil der Belegschaft nicht zur Arbeit erscheinen konnte , als die Revolution begann. Klassische Tools der internen Kommunikation wie Aushänge, Abteilungsbesprechungen oder auch das Intranet halfen nicht. Wir haben es dann über SMS und Ansprachen im Radio geschafft, Kontakt mit der Belegschaft aufzunehmen.

Eine SMS und Ansprachen im Radio?

Genau. Für uns war klar, dass die Produktion weiterlaufen sollte, solange wir für die Sicherheit unserer Belegschaft garantieren konnten. Wir wollten uns nicht wie andere Unternehmen aus der Region zurückziehen oder die Arbeit kurzfristig einstellen. In der Ansprache informierte die Geschäftsführung über diese Entscheidung und bat die Mitarbeiter (mit den von uns organisierten Bussen) zur Arbeit zu kommen.

Welche Lehren haben Sie aus dem Arabischen Frühling für Ihre Kommunikationsarbeit gezogen?

Erstens, dass man sich noch so gut auf mögliche Krisensituationen vorbereiten kann, aber vor Überraschungen nie sicher ist. Zweitens, dass uns unsere aktive Kommunikation viele Pluspunkte bei den tunesischen Journalisten beschert hat. Ein Unternehmen, das von sich aus Informationen preisgibt ist für viele Journalisten dort noch etwas Neues. Und drittens, dass wir unsere Kommunikation vor Ort ausbauen müssen. Vor etwa zwei Jahren haben wir daher in Tunesien eine eigene Kommunikationsabteilung aufgebaut, die in enger Absprache mit uns, entstandene Kontakte zu Journalisten pflegt, neue Kontakte knüpft und auch einen Großteil der regionalen, internen Kommunikation übernommen hat.

Und wie lange beschäftigten Sie die Ereignisse des Arabischen Frühlings in ihrer Kommunikationsarbeit insgesamt?

Auch zwölf bis 18 Monaten nach der Revolution erhielten wir noch immer vereinzelte Medienanfragen. Diese waren dann vor allem Anfragen operativer Natur, also beispielsweise was sich für uns als Unternehmen verändert hat und ob wir nicht doch unsere nordafrikanischen Standorte aufgeben wollten. So ein gewaltiges Medieninteresse an einem Einzelthema war auch für mich neu. Als der Arabische Frühling ein paar Wochen später auf Ägypten übergriff, habe ich michtagelang um nichts anderes gekümmert. Immerhin waren wir darauf vorbereitet, denn das haben wir kommen sehen.

Zum Abschluss noch eine „phrasenlastige“ Frage: War der Arabische Frühling als Krise auch für Sie eine Chance?

Der Spruch „die Krise als Chance“ klingt mittlerweile wirklich abgedroschen, aber für unsere Kommunikation eröffneten die Ereignisse tatsächlich neue Möglichkeiten. Wir haben Kontakte zu Journalisten aufgebaut, die noch heute Bestand haben und auf die wir bei Nachrichten der positiven oder negativen Art zurückgreifen. Und auch unsere Mitarbeiter danken uns das damalige Engagement noch immer mit hoher Loyalität. Also: Ja, die Krise war für uns auch eine Chance.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Aus- und Weiterbildung. Das Heft können Sie hier bestellen.

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