Überschätzen PR-Profis wirklich digitale Medien?

Studie

„PR-Profis überschätzen digitale Medien – und unterschätzen die klassischen.“ Unter dieser Überschrift verbreitet seit wenigen Tagen die Hamburger Kommunikationsberatungsagentur Faktenkontor die Studie „Wege zum Verbraucher 2020“, die sie selbst gemeinsam mit dem Marktforschungsunternehmen Toluna und dem dpa-Tochterunternehmen news aktuell erstellt hat

Kommunikatoren unterliefe eine „Fehleinschätzung“ bei der Beurteilung des Medienkonsums der Bevölkerung. Insbesondere würde die Bedeutung digitaler Medien „merklich überschätzt“. Einige Medien wie etwa das PR-Journal übernahmen die Pressemitteilung der Agentur eins-zu-eins.

Die repräsentative Befragung von 2.000 deutschen Konsumenten ab 18 Jahren sowie von 265 Agentur- und Pressestellen-Mitarbeitern liefert selbstverständlich einige weitere interessante Datenpunkte für den niemals endenden Versuch, Kommunikation zu vermessen.

Doch das Fazit, das Faktenkontor selbst zieht, auch in seiner dazugehörigen Infografik, scheint nur bei oberflächlicher Betrachtung gerechtfertigt.

Fragezeichen und Kritikpunkte im Einzelnen

 

  • Kategorisierung nicht vergleichbar

    Während Printmedien in der Studie lediglich in zwei Unterkategorien heruntergebrochen werden (Zeitungen sowie Magazine), werden digitale Medien seltsamerweise gleich in sechs Unterkategorien aufgeteilt (Social Media, Onlinemedien, Online-News-Seiten, Blogs/Foren, Onlineauftritt/Internetseiten von Unternehmen sowie den Sonderfall Podcast).

    Es liegt nahe, dass diese sehr viel stärkere Fragmentierung in der Studie zwangsläufig niedrigere Werte für die einzelnen Unterkategorien digitaler Medien ergeben musste. Es bleibt offen, wie die Werte aussähen, wäre “Online” wie “Print” beispielsweise nur in zwei Unterkategorien aufgeteilt worden.

    Vergleichbarkeit und Erkenntnisgewinn sind daher überschaubar.

  • Kommunikationskanäle isoliert voneinander betrachtet

    Die Studie scheint verschiedene Informations- und Kommunikationskanäle als vollkommen isoliert wahrzunehmen, als hätten sie nichts miteinander zu tun. Doch das entspricht natürlich nicht der Realität.

    Ebenso wie es beispielsweise dem TV immer wieder gelingt, Themen und Diskussionen in den sozialen Medien zu prägen, sind es wiederum die sozialen und digitalen Medien, die als Multiplikatoren mit leichter Verzögerung auch der Fernseh- und Printberichterstattung ihren Stempel aufdrücken.

    Kommunikatoren, denen es gelingt, in den „überschätzten“ digitalen Medien Themen zu besetzen, haben daher gute Chancen, diese auch in klassische Medien „verlängern“ zu können – Kreativität, Geschick und etwas Glück vorausgesetzt, mit vergleichsweise überschaubarem Aufwand. Die Rolle digitaler Medien im Agenda-Setting für klassische Medien ist äußerst bedeutsam, und sie wächst weiter.

    Erfolgversprechende Kommunikationsstrategien müssen daher auf der Klaviatur der verschiedenen Kanäle spielen, reine Ranglisten von Reichweitenprozenten sind dagegen wenig aufschlussreich.

  • Keine Altersdifferenzierung vorgenommen

    Der interessanteste Verbraucher ist wahrscheinlich nicht der von heute, sondern der von morgen. Leider kommt die Studie – die ohnehin nur Teilnehmer ab 18 Jahren berücksichtigt – zu ihrem „knackigen“, für die digitalen Medien negativen  Fazit, ohne diverse Alterskohorten-Studien zur Mediennutzung zu berücksichtigen.

    Grunsätzlich klingt der in der Studie genannte Wert von 59 Prozent aller erwachsenen Deutschen, die sich durch Tageszeitungen informierten, noch erstaunlich hoch – vor allem angesichts der Halbierung der Auflage deutscher Zeitungen innerhalb der letzten knapp 30 Jahre.

    Vor allem aber bleibt hierbei die Altersverteilung unberücksichtigt. Unter 30- oder gar unter 20-Jährige greifen beispielsweise im Durchschnitt nur noch sporadisch zu Zeitungen, wenn überhaupt, und sind häufig auch Mediennutzungs-Influencer für Eltern und Großeltern. In jüngeren Altersgruppen dominieren das Fernsehen und digitale Medien jeglicher Couleur eindeutig. Die Gruppe der älteren Menschen dagegen hält so manches traditionelle Medium am Leben – noch.

    Angesichts dieser immensen Unterschiede in der Mediennutzung verschiedener Generationen ergibt es wenig Sinn, anhand von allgemeinen Durchschnittswerten generationenübergreifend „unterschätzte“ oder „überschätzte“ Medien ermitteln zu wollen.

  • Sonderfall Podcasts

    Fast schon ärgerlich ist der Umgang der Faktenkontor-Studie mit dem extra ausgewiesenen digitalen Format “Podcast”. Zwar wurden Kommunikationsexperten gefragt, ob sie diese Kanal nutzen – drei Prozent antworteten mit ja. Die Bevölkerung durfte die Frage nach dem Audioformat aber gar nicht beantworten, was logischerweise zu einer Angabe von null Prozent Podcast-Nutzung führen musste. Es bleibt rätselhaft, warum die Daten dennoch als Vergleichswerte gegenüber gestellt werden und nur in einer kleinen Fußnote auf ihre offensichtliche Nichtvergleichbarkeit hingewiesen wird.

    Zwangsläufig werden durch solche Unsauberkeiten irreführende Berichte über die Studie und tatsächliche Nutzung digitaler Medien provoziert. So analysiert etwa das Marketingmagazin One-to-One, die Podcast-Nutzung – nach der jedoch gar nicht gefragt wurde – läge laut der Studie  “unterhalb der Nachweisgrenze” und biete ein Beispiel dafür, “wie anfällig für Technologie-Hypes die Kommunikations- und Marketingbranche” sei.

    One-to-One interprteiert Daten, die es gar nicht gibt. (c) One-to-One

    Verwirrend dargestellte Studienergebnisse, falsch interpretiert.

Es gibt also eine ganze Reihe von Fragezeichen zur Mediennutzungs-Studie von Faktenkontor, Toluna und news aktuell. Entscheidend bleibt für jedwede professionelle Kommunikation die konkrete Zielsetzung innerhalb konkreter Zielgruppen. Je nach spezifischer Konstellation eignen sich dafür manche Medien besser, manche Medien weniger gut, und Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Medienarten bieten zusätzliche Chancen.

Aussagen wie „PR-Profis überschätzen digitale Medien – und unterschätzen die klassischen“ werden dem nicht gerecht. Die Studie von Faktenkontor gibt dieses pauschale Fazit bei näherem Hinsehen auch keineswegs her.