Totalschaden bei VW: Die Macht der Veränderungsstrategeme

Egomacher-Kolumne

Der Ex-Chef von Volkswagen, Martin Winterkorn, hatte eine klare Marken-Ausrichtung für den Wolfsburger Autoriesen vorgenommen. In seiner Amtszeit entstand der neue und umfassende VW-Markenkern „DAS AUTO“. Mit diesem Markenkern verband er die strategische Ausrichtung des Konzerns. Das Ziel lautete: „VW will bis 2018 der erfolgreichste, der faszinierendste und der nachhaltigste Automobilhersteller der Welt sein.“

Die Macht der Veränderungsstrategeme: Träume nicht, fokussiere Deine Sehnsucht.

Bereits „Das Buch der fünf Ringe“ von Miyamoto Musashi (1584 – 1645), welches bis heute als Handbuch für Managementstrategien gilt, führt auf, dass jede Botschaft knapp und dicht formuliert sowie einprägsam im Vergleich sein muss. Das Strategem des preußischen Generals Carl Philipp Gottfried von Clausewitz (1780 – 1831) lautet hierzu: „Mit einem Wort, so konzentriert wie möglich zu handeln. Zweitens, so schnell wie möglich zu handeln.“ Das tat der ehemalige Konzernlenker. Winterkorn fokussierte alles auf „DAS AUTO“ und die Zielerreichung im Jahre 2018. Damit hatte er ein sehr ehrgeiziges Ziel an die gesamte Belegschaft ausgegeben und eine klare Fokussierung vorgenommen.

Bei genauerer Betrachtung der Strategie wird man feststellen, dass es sich um eine Kampfansage gegen Toyota handelte. In den Werkshallen von VW wurde dieser Satz demzufolge schlichter übersetzt: „Wir wollen Toyota verdrängen und Weltmarktführer werden.“ Mit seinem Ziel, die Nummer eins zu werden, schloss Winterkorn die eigenen Reihen. So erreichte er die Belegschaft.

Nutze große Ziele, kleine scheitern.

Martin Luther King sprach von der einschläfernden Droge der graduellen Veränderungen. Es sind die großen Ideen, die uns begeistern. Clausewitz formulierte: „Die beste Strategie ist, immer recht stark zu sein, erstens überhaupt und zweitens auf dem entscheidenden Punkt. Daher gibt es kein höheres und einfacheres Gesetz für die Strategie, als seine Kräfte zusammenzuhalten.“

In der Auseinandersetzung mit Ferdinand Piëch konnte sich Martin Winterkorn auf die Belegschaft, ihre Interessensvertreter und das Land Niedersachsen stützen. Der strategische Ansatz von Winterkorn hatte Wirkung entfaltet.

Mit Emotionen führen, mit Ratio lenken.

„Den stärksten Anlass zum Handeln bekommt der Mensch immer durch Gefühle.“ Und diese Gefühlswelten von denen Clausewitz berichtete, lieferte der VW-Konzern unter Martin Winterkorn am Fließband: Neben der Fabrik entstand eine einzigartige Autostadt mit Parklandschaft. Der eigene Fußball-Club feierte Erfolge mit Meisterschale und DFB-Pokal. Audi wurde zur Übermarke. Porsche wurde erfolgreich integriert. Im Hot Spot von Berlin wurde die Hauptstadtrepräsentanz neu aufpoliert. Stars wie Helene Fischer oder Robbie Williams wurden für VW engagiert. Und bereits 2015 meldeten die Wirtschaftsmedien den erfolgreichen Etappensieg von Volkswagen gegenüber Toyota. Die Wolfsburger wurden als die größten Autobauer der Welt gefeiert. Und Winterkorn wurde zur Lichtgestalt im Management.

Den Erfolg nutzen, um die Gefahr in ihm zu erkennen.

Schon der französische Kaiser Napoleon Bonaparte (1769 – 1821), wusste um „die größte Gefahr, die im Moment des Sieges lauert.“ Es war ein Erfolg, der zu schnell für VW kam. Die Wolfsburger schwächelten auf dem US-amerikanischen Markt und die ganz großen Innovationen blieben aus. Zudem griff das Zusammenspiel der verschiedenen Tochterunternehmen Audi, Bentley, Bugatti, Lamborghini, Porsche, Seat und Skoda nicht umfassend und der Tunnelblick auf Toyota war zu eng gewählt.

Die neuen starken Marken der Automobilindustrie wie der Elektroauto-Pionier Tesla oder die selbstfahrenden Google Cars wurden in Wolfsburg zu lange nicht ernst genommen. Schon zu dieser Zeit gab es die Auseinandersetzung mit der US-amerikanischen Umweltbehörde. Sofort-Maßnahmen in Wolfsburg blieben aus.

Unlösbare Probleme, die uns begeistern.

Dabei ist die Grundregel in der Krise sehr eindeutig: „Das Brennholz ist die Kraftquelle, die das Wasser im Kessel zum Sieden bringt. Das Wasser erkaltet, sobald man das Brennholz entfernt.“ Doch VW ließ es brennen. Im wahrsten Sinne des Wortes: Die Diesel-Motoren verdreckten die Luft. Clausewitz hielt zu Krisen fest: „Unvorhergesehene Gelegenheiten sind unverzüglich zu nutzen, und auf unvorhergesehene Schwierigkeiten ist sofort zu reagieren.“

Der VW-Konzern hingegen reagierte über ein Jahr nicht. Stattdessen lief die Werbung auf Hochtouren. Rund um die Welt, mit Ausnahme von Israel, wurde der Claim in deutscher Sprache verkündet. Viele Spanier, Franzosen, Koreaner und sogar Chinesen können nun den Claim „Volkswagen – das Auto“ nachsprechen.

Heute verbinden all diese Menschen und Bewunderer der deutschen Automobile Volkswagen mit seinem größten Betrug. Ein Totalschaden für den Wolfsburger Autokonzern, die deutsche Wirtschaft, die Ingenieurskunst „Made in Germany“ und die deutsche Umweltpolitik.

Bist Du Teil der Lösung oder bist Du Teil des Problems?

Und Martin Winterkorn selbst? Er war der bekannteste und bestbezahlte Manager Deutschlands und hat nun alles verloren. Den Markenkern von VW hatte er klug gewählt. Seine Strategie war ein umfassender Dreiklang aus erfolgreich, faszinierend und nachhaltig. Aus dem Dreiklang war in der Zwischenzeit ein Zweiklang geworden. Erfolgreich und faszinierend war Volkswagen. Nur die Nachhaltigkeit wurde nie sichergestellt. Wenn gegen einen solch wichtigen Markenwert verstoßen wird, dann fährt jedes Unternehmen langfristig gehen die Wand.

Die Beteuerung von Winterkorn, er habe über die Manipulation der Abgaswerte nichts gewusst, beschädigt ihn gleich zweimal: Erstens als Mensch. Wenn er etwas wusste, dann hätte er die Unwahrheit gesprochen. Zweitens als Manager. Wenn er keine Kenntnis hatte, dann kannte er – bei 11 Millionen betroffenen Autos – die Vorgänge in seinem Konzern nicht. Es bleibt ein Totalschaden.

Die Markenwerte bei VW müssen nun neu ausgerichtet werden. Und Volkswagen hat die einmalige Chance, sich vollständig neu zu erfinden. Denn die Anpassung an das Unvorhersehbare kann erst dann gelingen, wenn der Rubikon überschritten wurde.

Sind die Fehler der anderen ein Gewinn für uns?

Nichts sehen wir schärfer und eindeutiger als das Scheitern der anderen. Doch lernen wir etwas daraus? Erkennen wir die falschen Verhaltensmuster in unserer eigenen Organisation? Und verändern wir wirklich etwas?

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