Talent allein reicht nicht aus

Medientraining

Es kommt selten vor, dass ein Pressesprecher in aller Öffentlichkeit aufgefordert wird zu erklären, was er bei einer Medienschulung gelernt hat. In Sachsen war das 2011 der Fall.  Für 4.500 Euro pro Tag nahm der damalige Regierungssprecher ­Johann-Adolf Cohausz an einer solchen Weiterbildungsmaßnahme teil. 36.000 Euro kostete die Schulung ingesamt. Bezahlt wurde sie mit Steuergeld, was den Bund der Steuerzahler zur Aussage bewog, dass hier der übliche Rahmen gesprengt sei.

Das einzige, an diesem bemerkenswerten Vorgang nicht zu Beanstandende war die Begründung der Staatskanzlei für Cohausz’ Medienschulung. Demnach verlangten neue Kommunikationswege und die zunehmende Dynamik von Themen und Aufgaben regelmäßiges Coaching und laufende Fortbildung.

Tatsächlich boomt der Markt für Medientrainer. Viele Menschen, die in medienwirksamen Positionen arbeiten – als Führungskräfte und natürlich als Kommunikatoren –, lassen sich heute von Fachleuten schulen.  

Bedarf an Medientrainern steigt

Kathrin Adamski, Vorsitzende des Bundesverbandes der Medientrainer (BMTD), verweist auf die Zahl von rund 60.000 ­Google-Einträgen beim Stichwort „Medientrainer“. Sie gibt aber zu bedenken, dass  es kein geschützter Begriff sei und er wenig über die Qualifikation aussage. Adamski geht von einigen hundert hauptberuflichen Medientrainern in Deutschland aus. Allerdings wachse der Bedarf an Medientrainings seit zwei, drei Jahren rasant, weil inzwischen auch Führungskräfte und Manager von mittelständischen Unternehmen die Relevanz von Medienberichterstattung  erkennen und sich professionell darauf vorbereiten wollten. Außerdem stünden sie durch die Social-Media-Entwicklung vor neuen Herausforderungen.

Das gelte ganz besonders für ­Presse­­sprecher, ergänzt BMTD-­Vize-­Vorsitzende Katrin Prüfig, denn sie gerieten von beiden Seiten unter Kommunikationsdruck: vom Arbeitgeber und von den Journalisten. „Viele kommen aus der PR, manche aus dem Journalismus. Sie sind oft fachlich gut aufgestellt und wissen, wie Medienarbeit im formalen Sinne funktioniert, haben aber selten vor einer Kamera gestanden oder selbst Beiträge produziert. Dabei ist es wichtig, dass ein Pressesprecher weiß, wie es sich anfühlt, wenn man selbst Rede und Antwort stehen muss.“ Medientraining für Kommunikatoren und Pressesprecher sei im digitalen Zeit­alter deshalb unabdingbar.

Prüfig spitzt es noch zu: „Niemand kann sich mehr auf sein Naturtalent als Redner verlassen. Medienarbeit funktioniert heute nach ganz anderen Regeln und ist viel breiter gefächert als früher. Selbst wenn der Pressesprecher eher eine vermittelnde Rolle einnimmt, weil er meistens nicht selbst vor die Kameras und Mikrofone tritt, muss er doch wissen, wie er seine Leute ins Rennen schickt und darauf vorbereitet.“ Abgesehen davon müsse ein Kommunikationsteam heute alle digitalen Kommunikationskanäle beherrschen. Dies gehöre zu den Trainingsschwerpunkten.

Keine spekulativen Schleifen

Zynische Behauptungen, wonach man beim Medientraining auch das Drumherumreden lernen würde, kontert Kathrin Adamski mit Entschiedenheit: „Wer nichts zu sagen hat, ist vor Mikro und Kamera letztlich falsch. Sicher, es geht auch darum, mal charmant zu sagen, dass es keine neuen Informationen gibt, so wie es der Polizeisprecher nach dem Amoklauf im Münchner Einkaufszentrum vorbildlich tat. Die große Kunst ist, sich nicht zu spekulativen Schleifen verleiten zu lassen.“

Dass gerade kompetente Krisenkommunikation einen guten Pressesprecher auszeichnet, findet auch die Berliner Medizinjournalistin Anke Nolte. In positiver Erinnerung geblieben ist ihr der Auftritt des Pressesprechers des Kieler Universitätsklinikums, Oliver Grieve, nachdem dort Patienten an Krankenhauskeimen verstorben waren. „Für die Krankenhäuser ist das ein großes Negativthema, das die Öffentlichkeit stark beunruhigt. Ich kann nur vermuten, dass der Pressesprecher in Krisenkommunikation geschult war. Jedenfalls hat er die Problematik sehr offensiv und verständlich kommuniziert, ohne dem medizinischen Laien Angst zu machen oder den Eindruck zu vermitteln, etwas zu vertuschen.“

Dass sich Pressesprecher derart profes­sionalisieren, hält Nolte für richtig. „Vor allem wenn sie nicht aus dem Journalismus kommen. Medientraining kann helfen, besser zu verstehen, wie wir Journalisten ticken. Gerade in der Krisen-PR geht es um schnelle, ehrliche, nicht beschönigende Reaktion, auch um reißerischen Geschichten vorzubeugen.“

Zu viel Fachchinesisch

Für Daniel Pohl, beim französischen Industrieunternehmen Saint-Gobain Kommunikationsmanager für Mitteleuropa, wurde das Thema Medientraining nie infrage gestellt. Es zählt in seiner Firma zum festen Fortbildungsprogramm für Pressesprecher und ausgewählte Führungskräfte. Gleich zu Beginn seiner Tätigkeit hat er ein Medientraining absolviert und sein Wissen inzwischen mehrmals aufgefrischt. „In meinen Augen ist es eine hervorragende Vorbereitung für den Alltag in einer Sprecherfunktion“, sagt Pohl.  

Gleich beim ersten Training sei ihm bewusst geworden, wie schwierig die „einfache“ Darstellung von Sachverhalten sei. „Oft sind große Unternehmen zu sehr in sich gefangen, sprechen Fachchinesisch und tun sich enorm schwer, einfach, klar und verständlich zu informieren.“ Sehr sinnvoll findet er die Schulung der Krisenkommunikation in kleinen Gruppen, bei der konkrete Szenarien durchgesprochen und geübt würden.

Daniel Pohl arbeitet seit vielen Jahren mit Trainern zusammen, die sein Unternehmen gut kennen und ein praxisnahes, individuelles und kompetentes Training gewährleisten. Seine Erfahrung habe ihn in der Meinung be­stärkt, dass es für alle Kollegen sinnvoll sei, sich mit einem geschulten und zertifizierten Trainer in der Praxis auszutauschen.

Virtual Reality und Medientraining

Ein Trainingsanbieter, der mit modernster Technik arbeitet, ist das Deutsche Institut für Kommunikations- und Medientraining in München (DIKT). Es hat eine VR-App entwickelt, mit der sich in den Medientrainings „Auftritte vor größeren Menschenansammlungen/Pressekonferenzen“ praxisnäher üben lassen. Trainierende sehen dabei in 360 Grad bewegte Auditorien vor sich sieht. Die Probanden werden mithilfe der Brille in diese virtuellen Räume versetzt, die ihnen so realistisch vorkommen, dass sie echtes Lampenfieber verursachen.

„Wir haben sozusagen vier Situationen im Angebot“, sagt Nikolai Behr, einer der beiden DIKT-Leiter. Dazu gehören Präsentationen oder Meetings im Konferenzraum, ein Vortrag in Seminaren, Pressekonferenzen vor 20 Teilnehmern oder in einer mittleren Konferenzhalle vor 500 Leuten. Außerdem kann ein überfallartiges Interview eines TV-Teams in einer Pressekonferenz simuliert werden, inklusive überraschender Fragen. „Damit schließen wir die Lücke zwischen dem klassischen Redetraining vor zwei, drei Leuten und der Abbildung absolut realitätsnaher Situationen.“

Nach der ersten Testphase bieten die Münchner ihre Innovation nun offensiv an.  Die App ist (noch) nicht für ein Training zu Hause gedacht, sondern nur für die Schulung im DIKT. Trotzdem sieht Co-Geschäftsführer Gunther ­Schnatmann das Training in ­Virtual Reality vorwiegend als Ergänzung. „Es ersetzt nicht das Medientraining one-to-one, zum Beispiel mit einem Trainer für Körpersprache.“

Offen zeigen sie sich auch für Anregungen von Pressesprechern. „Sie müssen immer häufiger auch bei Hearings vor normalen Bürgern und Bürgerinitiativen auftreten, wenn es um sehr umstrittene öffentliche Großprojekte geht. Das sind absolute Drucksituationen, weil es dort oft emotional hoch hergeht.“

Darüber hinaus werde natürlich das „normale“ Krisentraining absolviert, also die Reaktion auf harte Journalistenfragen von Inves­tigativmedien, aber auch – man staune – von Reportern der ZDF-„Heute Show“. Von denen kämen sogar die besten Praxisbeispiele, wenn beispielsweise Martin Sonneborn die Leute aufs Glatteis führe, sagt Schnatmann: „Es gibt heute praktisch keine vertraulichen Situationen mehr. Die Kamera läuft immer mit. Wenn man auf dem falschen Fuß erwischt wird, kann das immensen Schaden für eine Person oder eine Firma bewirken. Und es kann jeden treffen, und vor der Kamera wegzurennen, geht nicht.“

Gunther Schnatmann kann oft erkennen, zum Beispiel an der Körpersprache und an der Stimme, ob jemand, der im Fernsehen auftritt, ein Medientraining absolviert hat – und sich darüber freuen. „Den richtig gut Trainierten merkt man es nicht so leicht an, aber an bestimmten Reaktionen eben doch.“

Bei einigen erkenne man das Medientraining allerdings auch aus wenig schmeichelhaften Gründen. So gebe es auch unter Politikern etliche, die mit aufgesetzter Körpersprache eher schauspielhaft agieren und so jegliche Authentizität vermissen ließen. Angela Merkel rechnet Schnatmann übrigens nicht in diese Kategorie.

Obwohl sich viele Pressesprecher nicht öffentlich dazu bekennen, ihre Professionalität durch Medientraining zu erhöhen, bilden sie doch eine bedeutende Teilnehmerzahl. Beim DIKT sind es gut die Hälfte. „Für uns sind sie so etwas wie Premiumansprechpartner, weil sie auch eine wichtige Schnittstelle als Koordinatoren besetzen“, sagt Schnatmann.

Weil sie das von den Medientrainern vermittelte Wissen anschließend im Alltag auch in ihre Institutionen oder Unternehmen weitertransportieren müssen, bezeichnet Kathrin Adamski vom BMTD die Pressesprecher auch als eine Art Sparringspartner. „Sie bekommen von uns das Rüstzeug, wie sie selbst als Coach vor Ort ihren CEO auf Medientermine vorbereiten und im Auftritt unterstützen können.“

Zertifizierung ist ausschlaggebend

Gleichwohl wachsen auch die Anforderungen an die Medientrainer. Sie bilden sich laufend fort, um mit der Entwicklung der digitalen Medienwelt Schritt zu halten und neue Trends und Lernmethoden zu berücksichtigen. Der BMTD veranstaltet bis zu vier Seminare jährlich zu Themen wie E-Learning oder zu neuen Erkenntnissen aus der Hirnforschung, die für die Trainer und letztlich auch für die Kunden interessant sind.

Bleibt die Frage, worauf man auf der Suche nach einem guten Medientrainer achten sollte. Der Bundesverband empfiehlt, die Zertifizierung von Trainern zu berücksichtigen. Er hat zusammen mit der Steinbeis-Hochschule Berlin einen Zertifikatslehrgang initiiert, in dem sich Trainer qualifizieren und ihre Kompetenzen auf Hochschulniveau nachweisen können.  „Es dauerte nicht mehr lange, dass Medientrainer so normal und akzeptiert sind wie Unternehmensberater“, glaubt Kathrin Adamski.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe TEMPO. Das Heft können Sie hier bestellen.

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