Stürmische Zeiten

Keine Frage, das Social Web ist faszinierend. Insbesondere durch Facebook haben Unternehmen vielfältige Möglichkeiten, (potenzielle) Kunden in ihrer täglichen Kommunikationsumgebung abzuholen und an sich zu binden. Dabei setzen Firmen bewusst auf die Vorteile der umfassenden Vernetzung: Ein Klick auf „Like“ reicht aus, um das gesamte Netzwerk eines Facebook- Nutzers auf das Unternehmen und seine Produkte aufmerksam zu machen. Unternehmen profitieren hier bewusst von der Macht der sozialen Empfehlung, oder auch: electronic Word-of-Mouth (kurz: eWOM). Dies birgt allerdings die Gefahr, dass Facebook-Nutzer kritische Kommentare posten und verbreiten. Besonders offensichtlich wurde dies im Jahr 2012, dem „Jahr des Shitstorms“.

Ein kleiner Wind kann zum großen Sturm werden

An dieser Stelle setzt meine Studie an. Es sollten die Motive von Facebook-Nutzern untersucht werden, negatives Word-of-Mouth auf Unternehmensseiten zu veröffentlichen oder zu unterstützen und somit zu verbreiten. Angefangen mit der ING-DiBa, sahen sich vor allem im Sommer 2012 zahlreiche Unternehmen wie Vodafone, McDonald᾽s und H&M wüsten Beschimpfungen bei Facebook und in anderen sozialen Netzwerken ausgesetzt. Der Eindruck wuchs, dass nahezu jedes Unternehmen Opfer eines kollektiven Empörungssturms werden kann.

Auslöser für einen Shitstorm sind dabei nicht immer grundsätzliche ethische oder moralische Fragen, sondern es können vergleichsweise banale Anlässe wie die Erhöhung des Preises für einen Cheeseburger um 39 Cent ausschlaggebend sein. Gemeinsam war den unterschiedlichen Situationen aber die kollektive Empörung der Facebook-Nutzer, die sich nach einer Ursprungsbeschwerde (= negatives eWOM, kurz: neWOM) auf den Facebook-Seiten von Unternehmen, Produkten oder Marken ungefiltert Bahn brach. Bislang konnte nicht geklärt werden, was die Facebook-Öffentlichkeit dazu bewegt hat, gerade diese Beschwerden kollektiv zu unterstützen – oder mit anderen Worten: zu skandalisieren.

Dabei ist gezieltes neWOM kein neues Phänomen, hat aber durch Social-Web-Kanäle wie Facebook und die damit verbundenen Skandalisierungsmöglichkeiten an Brisanz gewonnen. Durch die rasante Verbreitung, geringe Kontrollmöglichkeiten und die dauerhafte Speicherung der Daten werden Shitstorms für Unternehmen zu einem unkalkulierbaren Risiko für ihre Reputation und ihren monetären Erfolg. Welche qualitative und quantitative Bedeutung Shitstorms tatsächlich haben, ist bislang nicht systematisch analysiert worden. Unabhängig von der faktischen Relevanz von Shitstorms für Gesellschaft, Öffentlichkeit und Unternehmen zeigt sich aber, dass allein die Möglichkeit, Gegenstand von negativem Word-of-Mouth zu werden, Unternehmen und deren Kommunikationsabteilungen beunruhigt und von hoher Relevanz ist. Dabei ist es besonders wichtig, den Fokus von der Organisations-Perspektive auf die Verantwortlichen von Shitstorms zu lenken.

Welche Motivation steckt hinter Negativ-Kommentaren?

Die Motive von Facebook-Nutzern als Initiatoren und Multiplikatoren von negativem Word-of-Mouth können Aufschluss geben über die Erwartungen an Unternehmen im Umgang mit Beschwerden beziehungsweise einem Shitstorm. Die gewonnenen Erkenntnisse tragen zur Entwicklung einer effektiven Krisen-Strategie bei, um der kollektiv aufgebrachten Masse im Ernstfall angemessen gegenüberzutreten, sie gegebenenfalls zu besänftigen und so zu verhindern, dass ein Skandal entsteht oder sich ausweitet.

Die empirische Analyse meiner Studie basiert auf einer standardisierten Online-Befragung im Zeitraum vom 4. Februar bis zum 4. März 2013. Insgesamt haben 347 Personen den Fragebogen vollständig beantwortet. Die Befunde der Studie weisen auf unterschiedliche Motive und Interessenlagen im Kontext von neWOM hin. So wird unter anderem deutlich, dass neWOM auf Facebook sehr häufig in Folge einer gescheiterten Kunden- beziehungsweise Stakeholderkommunikation von Unternehmen entsteht, die nicht (angemessen) auf die Belange ihrer Stakeholder Stakeholder eingegangen sind. Häufig führt somit erst der zweite Schritt zu Facebook, nachdem der Weg über die klassischen Service-Kanäle eines Unternehmens erfolglos blieb.

Dieses Ergebnis deutet zugleich darauf hin, dass Facebook-Nutzer negative Beiträge verfassen und unterstützen, weil sie tatsächlich konkrete Probleme haben und das Unternehmen zu einer Lösung animieren wollen. Dabei spekulieren die Verfasser von neWOM darauf, dass ihre Beschwerden von anderen Facebook-Nutzern unterstützt werden. Auf diese Art lässt sich der Druck auf Unternehmen erhöhen, was eine Lösung des Problems oder zumindest eine Antwort des Unternehmens auf Facebook wahrscheinlicher macht als über andere Service-Kanäle. Gleichzeitig beteiligen sich viele Facebook-Nutzer an Shitstorms, weil sie generell unzufrieden mit Unternehmen sind, die Gelegenheit nutzen wollen, diesen etwas entgegenzusetzen und sie in ihrer Rolle als ermächtigte Verbraucher in die Schranken zu weisen.

Das Gefühl, gemeinsam stark zu sein und im klassischen David-gegen-Goliath-Kampf eine reelle Chance zu haben, wirkt als mächtiger Treiber bei dem Veröffentlichen und Unterstützen von neWOM auf Facebook. An dieser Stelle wird zum einen deutlich, dass die Nutzer sich ihrer kollektiven Macht in hohem Maße bewusst sind. Zum anderen lässt sich erahnen, dass es auch Trittbrettfahrer gibt, die ernstgemeinte Beschwerden dazu missbrauchen, ihr ganz persönliches Pöbelbedürfnis zu befriedigen.

Darüber hinaus wird neWOM auf Facebook auch zur sozialen Orientierung genutzt: Die Beteiligten können anhand von Erfahrungsberichten erkennen, ob sie in einer bestimmten Angelegenheit die einzigen Betroffenen sind oder aber eine Mehrheitsmeinung repräsentieren. In einer immer komplexer werdenden Welt vermittelt ihnen dies ein Gefühl von Sicherheit. Ein gewisses Maß an Sicherheit und Orientierung bietet neWOM auch durch seinen Informationscharakter. Negative Erfahrungsberichte stellen einzigartige – und anders als marketinginitiierte Aussagen überaus glaubwürdige – Informationen bereit und bewahren die Facebook-Öffentlichkeit davor, einen ähnlichen Fehler zu begehen. Die Glaubwürdigkeit einer ne- WOM-Aussage wächst mit ihrem Informationsgehalt und erhöht auch die Bereitschaft, die jeweilige Botschaft zu unterstützen.

Die Studie ergab, dass vor allem diejenigen neWOM-Aussagen als glaubwürdig beurteilt werden, die auf persönlichen Erfahrungen des Verfassers beruhen und ausführlich dargestellt werden.

Was bedeutet neWOM für Unternehmen?

Die Ergebnisse der Arbeit zeigen, dass Unternehmen auch in Zukunft keinen Beschwerden auf ihren Facebook-Seiten vorbeugen können, da eine Fanseite als Plattform zum Austausch und zur Orientierung gesehen wird. Gleichzeitig bedeutet die Hoffnung auf Interaktion mit den Unternehmen aber, dass ihnen an dieser Stelle die Möglichkeit gegeben wird, auf den weiteren Verlauf von Beschwerden Einfluss zu nehmen und einer möglichen Skandalisierung vorzubeugen.

Die ausdrückliche Handlungsempfehlung an alle Unternehmen mit Facebook-Präsenz lautet daher: Reaktion und Interaktion. Um umfassend mit (potenziellen) Kunden auf Facebook agieren zu können, bedarf es einer ausreichenden Zahl an Mitarbeitern, die die Kundenbetreuung in sozialen Netzwerken verantworten. Darüber hinaus sollte berücksichtigt werden, dass das Internet keine Schließzeiten hat und sich Krisenherde auch am Wochenende bilden können. Eine Reaktion am Montag wäre zu spät, was der Telefonanbieter Vodafone im Rahmen eines Shitstorms eindrucksvoll bewiesen hat. Unternehmen sollten präventiv vorgehen und auch vermeintlich kleine Anliegen zügig und transparent beantworten. Nur so beweisen sie, dass sie sich nicht nur oberflächlich auf die Gegebenheiten von Facebook und anderen Social-Web-Kanälen einlassen und dass sie die neue Macht der Verbraucher anerkennen: Der Kunde ist auch online König.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe PR und die "bösen" Stiefgeschwister. Das Heft können Sie hier bestellen.

Weitere Artikel