Strategie: Sechs Wege zum Sprecher-Glück

Die Rolle des Kommunikators

Simply the best. Simply?

„Kriege werden – wie alle anderen Konflikte – durch Strategien geführt und gewonnen“, schreibt Robert Greene in seinem Buch „33 Gesetze der Strategie“. Und: „Der Ausgangspunkt aller Kriege und aller Strategien ist unser Kopf.“ Hängt der Sieg also allein vom Hirn ab? Niemals. Und ist der Sieg immer das Erstrebenswerte? Nein. Denn oft genug kann eine Niederlage der viel größere Gewinn sein. Doch wir lernen schon früh, Strategien anzuwenden um zu bekommen, was wir brauchen oder uns wünschen. Und die erfolgreichen unter ihnen können wir später im übertragenen Sinne auch im Job nutzen.

1. Die Überlebensstrategie

Weinen. Greinen. Brüllen. Lächeln. Glucksen. Schon Babys lernen, wie sie erfolgreich auf sich aufmerksam machen können und werden so lesbar für andere in ihrem Bedürfnis nach Zuwendung, Nahrung, Trost oder einer neuen Windel. Nun kann man abendfüllend diskutieren, ob das wirkliche Strategie im Sinne eines längerfristigen Plans zur Erreichung ihrer Ziele oder einfach ein Reflex oder erlernte Muster sind. Natürlich fehlen Kleinkindern die der Strategie zugeordneten Faktoren und Prozesse wie Lang- und Mittelfristplanung, Vision und Leitbild. Doch je älter das Kind, desto besser können ihre Mütter unterscheiden, wie „echt“ oder imitiert die Tränen des Nachwuchses wirklich sind. Und das aller Strategie zugrunde liegende „Ursache-Wirkung-Prinzip“ lernen die Kleinen schon in der Sesamstraße Dank der „Was-passiert-dann-Maschine“ des Krümelmonsters.

Die auch für Kommunikatoren geeignete Baby-Strategie könnte also lauten „Viel hilft viel“: Budgets und Ressourcen einfach verdoppeln, Senden was das Zeug hält und möglichst alle Kanäle bespielen. Das Schrotflintenprinzip, nach dem Unternehmen ihre frohe Botschaft in die Welt bringen, kann jenseits einer kritischen Masse funktionieren, weil sie mehr oder weniger zufällig so viele potenzielle Kunden erreicht haben, dass die ihr Produkt am Ende auch kaufen.

Doch Obacht: In Zeiten immer differenzierterer Stakeholder-Gruppen mit unterschiedlichen Bedürfnissen verprellt sich der PR-Profi Kunden und Kooperationspartner durch wahlloses Werbegeplapper. Wenn gerade diejenigen Kampagnen besonders erfolgreich sind, die das Produkt dahinter gar nicht mehr zeigen, ist Understatement gefragt, das Smart Baby sozusagen.

Dreht man den Ansatz jedoch um und legt den Fokus auf das Handeln der Eltern, liegt die Parallele zur PR noch näher: Friedrich II. soll versucht haben, heraus zu finden, welche Wörter Kinder nutzen, wenn sie ohne jegliche Ansprache aufwachsen. Würden sie eine Ursprache ausspucken? Oder selbst eine erfinden? Ein Ergebnis gab es nie, denn die Kinder starben ohne Zuwendung und sensorische Stimulation. Gleiches passiert im übertragenden Sinne mit Kunden. Die Lösung liegt also im strategischen Perspektivwechsel innerhalb der Überlebensstrategie – vom Kleinkind zum Elternteil.

2. Die Lernstrategie

Wer ein Kind im Grundschulalter hat, weiß, wie sie alles aufsaugen. Lesen, Papierflieger falten, reiten, tanzen oder Loop-Bänder knüpfen – brennen sie für etwas, tun sie nichts anderes. Für ein paar Wochen. Genügen die Kids in Sachen Perfektion dann ihren eigenen Ansprüchen, folgt das nächste heiße Ding. Was Eltern zur Verzweiflung bringt, die eben noch viel Geld in ein gebrauchtes Saxophon investierten und nun lieber die komplette Star Wars-Kollektion besorgen sollen, ist simple Entwicklungspsychologie. Neues kommt für Kinder als Aufgabe in ihr Leben. Haben sie sie gelöst, wollen sie mehr. Neues.

Schulversagern fehlen nach Untersuchungen von Diplompsychologe Fritz Jansen und Psychotherapeutin Uta Streit vor allem zwei Dinge: Das Ziel, das dem Lernen erst den Sinn verleiht. Oder das Vertrauen, ihre Ziele auch erreichen zu können. Kindern beides zu geben, ist die Essenz des Elternseins.

Solche „Eltern“ sollten Kommunikatoren auch sein und ihre Geschichte nicht nach dem Motto „Nimm mich, wie ich bin“ erzählen, sondern quasi rückwärts entwickelt vom Bedürfnis des Kunden aus. So wie Kinder unbedingt eigene Erfahrungen machen wollen, geht es erwachsenen Kunden ebenso. Eine der wichtigsten Prämissen für Drehbuchautoren lautet daher: „Show, don´t tell“. Gemeint ist damit: Schreib nicht, „die Heldin ist traurig“. Sondern zeig uns, wie ihre Träne langsam aus ihrem Auge über die Nase und am Kinn entlang rollt, um wahlweise auf dem Finger ihres love interests, dem Schuh ihres Feindes oder dem Boden des einsamen Waldes landet. Der gute Kommunikator verbreitet also keine Botschaft („Kauf mich!“), sondern erzählt uns, warum das am Ende gut für uns sein wird – und hilft uns dabei, das auch leibhaftig zu erfahren. Er schickt strategisch schlau keine Stellvertreterfigur auf die Heldenreise – sondern macht den Zuschauer selbst zum Helden.

3. Die Abgrenzungs-Strategie

Laut der Bildtherapeutin Jeanne Meijs durchlaufen Teenager drei Phasen: Zwischen 13 und 15 Jahren sind sie in der Gedankenpubertät: Sie grübeln und hadern viel und in ihrem Kopf ist alles viel größer, wichtiger und mächtiger als im wahren Leben. Zwischen 15 und 17 Jahren pendeln sie in der Gefühlspubertät zwischen Himmel und Hölle, sind hochgradig emotional und zwingen ihre Eltern zum Mantra „Sie/er meint nicht mich“. Ab etwa 18 Jahren folgt schließlich die Willenspubertät: Je abwegiger und bewegender eine Grenzerfahrung ist, desto wahrscheinlicher wollen sie sie machen.

Auch wenn es um die Erkenntnis ihres ureigensten Wesens geht, wollen Teenager zunächst so sein wie alle anderen auch. Bloß nicht auffallen, lieber zu einer definierten Gruppe gehören. Auf der Webseite vaterfreuden.de schreibt das Redaktionsteam, „Kinder tun fast alles, um Teil einer Gruppe zu sein – Erwachsenen geht das oft ähnlich. Wir wollen irgendwo dazugehören, wollen anerkannt und geliebt werden. Es liegt in der Natur des Menschen als Gruppenwesen.“ Und wer anderen etwas nachmacht, wird laut einer US-Studie auch noch durch Glückshormone belohnt.

Gute Kommunikatoren machen sich dieses Wissen zunutze, indem sie ihre Zielgruppe strategisch möglichst spitz fokussieren, ihr Produkt möglichst punktgenau entwickeln und es möglichst weit weg vom Wettbewerber platzieren. Vor allem aber, indem sie loslassen. Wie gute Eltern ihren Teenager-Nachwuchs sind sie ihren Kunden Begleiter aber niemals Belaberer.

4. Die Partnerstrategie

Als junge Erwachsene suchen wir den Mann oder die Frau fürs Leben, oder zumindest für die nächsten Jahre, Monate, Tage oder Stunden. Auch wenn laut einer Statistik des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung die Bedeutung der Ehe in Deutschland zurückgeht, wo nur noch jede dritte Frau und knapp 40 Prozent der Männer niemals heiraten wollen. Auch unsere Ansprüche haben sich gewandelt: Liebe und Leidenschaft wurden längst auf die hinteren Plätze verwiesen. Nach einer Umfrage der Online-Partnervermittlung Elitepartner wünschen sich die Deutschen von ihrem Liebsten vor allem Sicherheit, Treue und gegenseitige Unterstützung.

Ellen Fein und Sherrie Schneider raten in ihrem Bestseller „Die Kunst, den Mann fürs Leben zu finden“: „Sei aufrichtig, aber geheimnisvoll. Sei etwas Besonderes. Sei einfach schwer zu haben.“ Vielleicht schmunzeln Deutsche über die von strengen amerikanischen Dating-Regeln abgeleiteten Tipps wie „nehmen Sie nach Mittwoch keine Einladungen mehr für Samstagabend an“, „Kommen Sie ihm nicht auf halber Strecke entgegen und machen Sie bei der Rechnung nicht halbe-halbe“ oder „Überlassen Sie ihm die Führung“. Dahinter steckt jedoch eine Strategie, die auch für Marken gelten könnte: Nur wenn sich der Kunde bemühen muss, er eine gefühlte Exklusivität erlebt und heraus gefordert wird, hat sein want für ihn einen Wert. Und dabei ist es egal, ob es sich um ein neues Auto, ein leckeres Abendessen oder die Traumfrau handelt, weil der Mechanismus dahinter derselbe ist.

Kommunikatoren denken daher im Idealfall wie ein Heiratsvermittler oder Flirtcoach: Sie erreichen, dass sich Menschen in ihre Marke verlieben und ihr möglichst lange treu bleiben. Den Beziehungswunsch der Deutschen nach Sicherheit, Treue und gegenseitiger Unterstützung können PRler leicht bedienen. Sie müssen „nur“ verlässliche Botschaften entwickeln, Mittel- und Langfristkonzepte entwickeln und Content bieten, der Mehrwert schafft.

5. Die Lebensmittestrategie

Der middle ager (gemeint sind Menschen im Alter zwischen 40 und 60 Jahren) ist geprägt vom beruflichen Fortkommen. Die Kinder sind aus dem Gröbsten raus, sie haben ihre Mitte gefunden, erste Kämpfe geführt, erste Verluste erlitten aber kennen sich gut und wissen – sobald sie die midlife crisis hinter sich haben – wo sie hin wollen. Zeit für eine Zwischenbilanz.

Der Amerikaner Gary Dahl hatte die Idee seines Lebens als middle ager in einer Kneipe. Der Werbetexter mit Geldproblemen hörte zufällig, wie sich seine Tischnachbarn über die nervige Betreuung von Hund und Katze beschwerten. Lakonisch befand er, mit einem Stein als Haustier habe man solche Probleme nicht. Vom Smalltalk-Gag zur Millionenkampagne: Dahl erfand den „Pet Rock“ und verkaufte am Ende mehr als eine Million Kieselsteine – verpackt in Kartons mit Luftlöchern und mit einer kleinen Anleitung zur artgerechten Haltung – zum Stückpreis von 3,95 Dollar. Seinen Lebensabend verbrachte er in einer Villa und schrieb ein Buch über erfolgreiche Werbung.

Für den Autor David Bainbridge sind middle ager „unschlagbare Leistungsträger“, wie der „Spiegel“ schreibt. Männer und Frauen Ü40 strotzten vor Schaffenskraft und seien Vorbilder, besorgten den Kulturtransfer und ernährten die Familie. „Die Mittelalten stehen doch ganz offensichtlich in der Mitte der öffentlichen Arena und sitzen an den Schaltstellen der Macht. Wer 45 ist oder 55, erreicht oft seinen Karrieregipfel“, schreibt Spiegel-Autor Thomas Andre über Bainbridges Forschungen zur Generation 40+.

Die Werbung verkauft ihren Zielgruppen diese Zeit als „unsere besten Jahre“ – kein Wunder, ist die Kaufkraft in dieser Lebensphase doch so groß wie nie wieder. In der Untersuchung „Best Ager und die Medien“ der Bauer Media Group heißt es: „2050 werden rund 32 Millionen Menschen in Deutschland über 55 Jahre alt sein – das heißt bei einer angenommenen zukünftigen Bevölkerungszahl von 69 Millionen fast jeder Zweite ein „Best Ager“. Heute werden bereits mehr als die Hälfte aller Ausgaben für Nahrungsmittel, Bekleidung und Tourismus von der Zielgruppe 50 plus getätigt.“

Ihrem Lebensstil entsprechend haben die Menschen in ihrer Lebensmitte hohe Ansprüche an die Dinge, mit denen sie sich umgeben. Gary Dahl hat bewiesen: Wenn die Strategie stimmt, können Kommunikatoren auch aus Steinen Schotter machen.

6. Die Lüftungsstrategie

Konsumenten im weiter fortgeschrittenen Alter – vulgo: „Silver Ager“ – wähnt Andrea Gröppel-Klein, Direktorin des Instituts für Konsum- und Verhaltensforschung an der Uni des Saarlandes „auf der Überholspur.“ Der Begriffswirrwar der Zielgruppen wirkt offenbar ansteckend: „Viele Praktiker wählen die Begriffe „Silver Ager“, „Golden Ager“ oder „Best Ager“, weil die Ausdrücke „Seniorin“ oder „Senior“„ sowie „ältere Konsumentin“ oder „älterer Konsument“ negativ belegt sind und vielfach mit der Assoziation „Seniorenstift“ oder „Altersheim“ einhergehen. Vom „Silver Ager“ spricht man vielleicht weniger wegen der „silbernen“ Haarfarbe (die man immer seltener in der Realität beobachten kann), sondern wohl eher wegen der Hoffnung, sich gezielte Angebote an diese Zielgruppe „versilbern“ zu lassen.“

Hier bietet sich eine Analogie zur Lüftungsstrategie an: Architekten und Energieforscher, Bauherren und Nachhaltigkeitsprofis unterscheiden zum Beispiel zwischen angeleiteter Fensterlüftung (Stoßlüften bei ausgeschalteter Heizung, in Schulen alle zwanzig Minuten empfohlen, gerne auch mit geöffneter Tür), Querlüftungsprinzip (Frischluft durchs Fenster rein, Abluft durch Flure, Toiletten und Atrien raus) und zentralen oder dezentralen Anlagen (Ventilatoren in verschiedenen Räumen mit und ohne Wärmerückgewinnung).

Für Kommunikatoren geht es also vor allem darum, Menschen die schon viel gesehen – und besessen – haben, strategisch frischen Wind zu liefern: Einen Hauch durch die Neugestaltung altbekannter Produkte. Eine Böe durch Dinge, die das Leben mit ersten Beeinträchtigungen erleichtern. Oder einen Orkan durch hippe Produkte, die erst für Zielgruppen ab einem gewissen Alter wirklich Sinn machen.

Autor Robert Greene bleibt dabei: „Die Fähigkeit, andere zu erreichen und ihre Ansichten zu ändern, ist eine ernste Sache – ebenso ernst und strategisch wie ein Krieg.“ Sein Fazit an uns alle: „Sie müssen härter zu sich selbst und zu anderen sein, denn an einem Scheitern der Kommunikation ist nicht das dumme oder schwerfällige Publikum schuld, sondern der unstrategische Kommunikator.“ Manchmal ist die Antwort ganz simpel.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Strategie – wie man erfolgreich plant. Das Heft können Sie hier bestellen.

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