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Markenbindung

Mehr Magermilchpulver, weniger Kakao: Manchmal können es bereits Nuancen sein, die enorme Entrüstung auslösen. So wie bei Nutella. Als die Marke vor Kurzem eine Änderung des Nuss-Nougat-Creme-Rezepts verkündete, las man zuhauf empörte Reaktionen. Der Kern der Marke sei getroffen, kritisierten Kunden − und das war einer der freundlicheren Kommentare.

Nutella, das bei Facebook mehr Fans hat als der Papst, bemühte sich um Schadensbegrenzung. Hersteller Ferrero betonte, die Rezeptur sei „nicht leichtfertig“ und ohnehin nur „geringfügig“ geändert worden.

Das Beispiel „Nutella-Gate“ zeigt wieder einmal: Die Beziehung von Konsumenten zu ihren Marken ist eine höchst fragile. Vor knapp einem Jahr veröffentlichte das Online-Umfrage-Institut Yougov eine Studie, die aufhorchen ließ. Jeder zweite Befragte unter 35 Jahren gab darin an, im zurückliegenden Jahr eine Lieblingsmarke zugunsten einer anderen verlassen zu haben. Die daraufhin weit verbreitete These lautete, Millennials seien eher bereit, nach Enttäuschungen Marken zu wechseln.

Marken müssen Kunden ­binnen Sekunden überzeugen

Christoph Burmann hingegen fegt die Vermutung, Jüngere seien weniger loyal gegenüber Marken, hinfort. An der Uni Bremen leitet der Professor den Lehrstuhl für Innovatives Markenmanagement. Er sagt: „Es gibt keine wissenschaftlich belastbaren Belege, die die These stützen.“ Eher deute sich an, dass junge Menschen sogar sehr viel Wert auf Marken legten, sie diese vorher aber gut prüften. Das führe zu einem kleinen Paradox: Einer volatilen Phase der Markenfindung in jungen Jahren folge eine oft langfristige Beziehung zu Marken.

Dennoch, die Voraussetzungen für Markenloyalität haben sich grundlegend geändert. Suchte man vor 20 Jahren eine Waschmaschine, gab es zwei Möglichkeiten: den Versandhauskatalog oder den Gang ins Warenhaus. Beide Wege führten mit recht hoher Wahrscheinlichkeit zum Kauf einer Maschine Marke Miele oder Bauknecht.

Das Angebot war damals beschränkt und die Rücksendung der Ware alles andere als eine mühelose Exit-Lösung. Heute gibt es das Internet und damit die Auswahl der besten Angebote weltweit einen Klick und kein Schleppen entfernt. Das sei die Herausforderung, sagt Burmann. Marken müssen binnen Sekunden Kunden überzeugen. Und zwar mit Gefühl, Bildern und Geschichten.

„Junge Konsumenten sind es gewohnt, Werbung wegzuschieben, wenn sie nicht sofort emotional angesprochen werden“, weiß der Markenmanagement-Fachmann. Die gesamte Marken-Influencer-Industrie sei so zu erklären.

Emotionen werden zur wichtigsten Währung

Apple mit seiner regelrechten Ikonografie kommt einem in den Sinn. Oder die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), die die Hauptstadt seit einiger Zeit mit immer lustigeren, selbstironischeren, persönlicheren Kampagnen überziehen. Einziges Ziel: eine emotionale Bindung zum ÖPNV aufbauen. Wenn selbst Busse und U-Bahnen als Marke heute kein Selbstgänger mehr sind, dann gilt das für alle Marken.

Beispiel Bremerhaven. Die Hafen- und Industriestadt hat vor Jahren begonnen, sich aufzupeppen, um als eine touristische Marke an der Nordsee wahrgenommen zu werden. Bremerhaven zeigt, dass Emotionalisierung nicht zwangsläufig Vermenschlichung bedeutet. Mit ihrer eigenen Tourismusagentur versucht die Stadt, Besucher mit Gefühl anzusprechen.

Mithilfe einer „Bildsprache mit den einschlägigen maritimen Motiven wird die Marke sehr stark emotionalisiert“, sagt Raymond Kiesbye, Geschäftsführer von Erlebnis Bremerhaven. Unter anderem gibt es einen Zoo am Meer, ein „Klimahaus“ und das „Auswandererhaus“. Sie stehen im Mittelpunkt der touristischen Kommunikation der Stadt. Demnächst soll „Hein Mück aus Bremerhaven“, ein Stadtmaskottchen und Titelgeber mehrerer Schlager, offensiv als Markenbotschafter eingesetzt werden.

Für Christoph Burmann ist Bremerhaven ein Paradebeispiel, „wie Emotionen auf eine Marke einzahlen“. Gleichzeitig warnt er davor, es sich zu einfach zu machen. Werde nur Emotion vermittelt und kein entsprechender Inhalt, komme zum Beispiel „Für ein Land, in dem wir gut und gerne leben“ dabei heraus − der CDU-Slogan zur Bundestagswahl im vergangenen September. Burmann erinnert sich mit Schaudern: „Der gesamte Wahlkampf war gefüllt mit emotionalen Botschaften, mit denen aber keiner was anfangen konnte.“

Start-ups machen vor, wie es gehen kann

Ähnlich sieht es Klaus Eck, Markenberater und Gründer der Münchner Content-Marketing-Agentur D.Tales: „Die perfekte Voraussetzung für Markentreue ist ein gutes Produkt. Ohne das geht es nicht.“ Aber das Produkt alleine reiche eben auch nicht mehr aus. „Kunden können sich nur mit einer Marke identifizieren, wenn sie die Menschen dahinter kennenlernen und sympathisch finden.“ Ein klarer Auftrag also an die Kommunikation. Eck sagt, nicht umsonst würden heutzutage mit charismatischen Start-up-Gründern publikumswirksame Fernsehsendungen wie „Die Höhle der Löwen“ bespielt.

Die Zugkraft einer solchen interessanten Gründergeschichte zeigt sich am Beispiel „Fritz Kola“, einem gerade mal 15 Jahre alten Unternehmen. Der Hamburger Getränkehersteller schaffte es vor allem dank seiner beiden studentischen Gründer, die das Firmenlogo zieren, sich als sympathische Alternative zu Coca-Cola zu inszenieren und dem Platzhirsch eine relevante Zahl hipper Kunden zu entziehen. Ein großer Teil des Erfolgs von hoch personalisierten Mikrobrauereien, vor allem in anonymen Großstädten, lässt sich auf ein solches Konzept zurückführen.

Content-Experte Eck betont, dass es zwar einiges an Arbeit koste, Kunden durch Emotionalisierung zu binden. Sei das aber einmal geschafft, würden Marken mit großer Treue belohnt. Auch Frustrationen zerstörten die Beziehung zwischen Kunde und Marke dann nicht nachhaltig.

Als Twitter sein Alleinstellungsmerkmal mit der Verdopplung der möglichen Zeichenanzahl von 140 auf 280 über Bord warf, war die Aufregung groß − auch bei einem Teil von Klaus Ecks 46.000 Followern. In einer von ihm lancierten Twitter-Umfrage gaben letztlich nur vier Prozent der Teilnehmer an, den Kurznachrichtendienst verlassen zu wollen. 60 Prozent bekundeten zu bleiben, auch wenn sie gerne wieder mit weniger Zeichen twittern würden. Das, sagt Eck, sei ein typisches Verhalten: „Wer viele Emotionen in eine Marke investiert, der verlässt sie auch nicht einfach so.“

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Unser Autor beobachtet zunehmende Markentreue auch an sich selbst. Bei Winterschuhen setzt er, auch aus Faulheit, inzwischen auf eine spanische Marke. Sich durch das große Angebot zu wühlen, ist ihm schlicht zu umständlich. Dafür ist er auch bereit, mehr Geld auszugeben.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe TREUE. Das Heft können Sie hier bestellen.

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