Sollten Unternehmen die Finger von Tiktok lassen?

Pro und Contra

Warum Firmen Tiktok nutzen sollten

 

Tiktok stand zuletzt immer häufiger in der Kritik. Chinakritische Inhalte wurden gelöscht, der Pekinger Regierung unliebsame Nutzer gesperrt. Auch wenn das Social Media immer wieder beteuert, unabhängig zu sein, so drängt sich der Verdacht einer Kontrolle aus China auf. Für Unternehmen sollte das allerdings kein Grund sein, die Finger von Tiktok zu lassen. Die Potenziale der App sind einfach zu groß als sie nicht zu nutzen.

von Toni Spangenberg

Mehr als eine Milliarde Menschen aus 150 Ländern haben Tiktok laut der Analyseplattform Sensor Tower auf ihrem Smartphone installiert – Tendenz steigend. Mit über 63 Millionen Downloads hat das soziale Netzwerk Facebook, Whatsapp, YouTube und Instagram gemessen an den Downloadzahlen bereits vergangenen August hinter sich gelassen. Insbesondere junge Nutzer tummeln sich auf der Plattform. Unternehmen haben damit die Chance, ganz neue Zielgruppen zu erschließen. Die Tagesschau macht es vor. Seit November ist das trocken und angestaubt anmutende Nachrichtenformat auf Tiktok unterwegs, auf der Suche nach Zuschauern fernab des Rentenalters.

Daneben setzen unter anderem BMW, Punica oder der Versandhändler Otto auf die umstrittene App. Moralische Bedenken? Keine. Und der Erfolg gibt ihnen Recht. Mit der ironischen Challenge #MachDichZumOtto hat Otto mehr als 198 Millionen Aufrufe generiert, über 60.000 User haben sich in Videos mit dem Hashtag auseinandergesetzt. Tiktok-Nutzer sprechen über Otto, beschäftigen sich mit der Marke. Das Unternehmen beweist damit, wie eine gut gemachte Tiktok-Challenge schnell zum Selbstläufer werden und jede Menge Aufmerksamkeit generieren kann.

Auch beim Recruiting punktet, wer auf Tiktok setzt. Die Nutzer sind jung, gehen meist noch zur Schule und müssen sich beruflich erst orientieren. Ausbildungsbetriebe sollten die Chance nutzen und früh in Kontakt mit möglichen späteren Bewerbern treten. 

Weiterer Pluspunkt: Im Vergleich zu anderen sozialen Medien verbringen deutsche Nutzer sehr viel mehr Zeit mit Tiktok – täglich rund 50 Minuten. Von diesem Wert können Facebook und Co. nur träumen. Nur bei den monatlich aktiven Nutzern haben die etablierten Netzwerke die Nase vorn. Laut dem Fachmagazin Digiday kommt Tiktok auf 5,5 Millionen, ein Zuwachs von einer Million in nur einem Jahr. Facebook dagegen erreicht mit 32 Millionen Nutzern pro Monat deutlich mehr Menschen in Deutschland. 

Dennoch sollten Firmen Tiktok deshalb nicht unterschätzen. Die Nutzerbasis wächst schnell. Wer jetzt auf das soziale Medium setzt, hat der Konkurrenz aufgrund des großen Erfahrungsvorsprungs später einiges voraus. 


Warum Firmen die Finger von Tiktok lassen sollten

 

Es gibt keinen Zweifel: Tiktok ist „in“. In den Ranglisten der beliebtesten Smartphone-Apps ist das Netzwerk regelmäßig ganz vorne dabei. Das Publikum ist vor allem jugendlich, doch mit 800 Millionen Nutzern weltweit ist der App die Relevanz nicht abzusprechen. Außerdem tummeln sich hier die Kunden von morgen. Kein Wunder, dass viele Unternehmen mit dem Gedanken spielen, neben den fast schon obligatorischen Facebook-, Twitter- und Instagram-Präsenzen auch auf Tiktok aktiv zu werden.

von Katrina Geske

Einige haben den Sprung bereits gewagt: Sport- und Lifestyle-Marken wie Adidas und Nike, der Autohersteller BMW und sogar die Bundeswehr sind bereits auf der Plattform vertreten. Zwar ist „Haltung zeigen“ für Unternehmen gerade ein wichtiges Thema, das die Kommunikationsbranche wohl auch im neuen Jahr beschäftigen wird. In Bezug auf Tiktok haben viele Unternehmen die moralische Dimension jedoch offenbar ausgeblendet. Dabei gäbe es hier einiges zu beanstanden.

In der letzten Zeit reihte sich eine Negativmeldung an die andere: Das Netzwerk verwende ein undurchsichtiges Moderationssystem, zensiere unliebsame politische Inhalte und beschränke Content von behinderten Menschen. Können es Unternehmen, die in ihrer Kommunikation Wert auf Transparenz und Integrität legen, verantworten, eine Plattform zu unterstützen, die sich regelmäßig mit Zensurvorwürfen konfrontiert sieht?

Tiktoks eigene Kommunikation mutete in der Vergangenheit zudem eher unbeholfen an. Dass man die Reichweite von Videos behinderter Menschen begrenzte, sei „Mobbing-Prävention“ gewesen. Als eine Nutzerin gesperrt wurde, die in einem vermeintlichen Schmink-Tutorial auf die Verfolgung der Uiguren in China hinwies, entschuldigte man sich schlussendlich zwar dafür – dass die Sperrung mit den politischen Inhalten ihrer Videos zusammenhing, wollte man aber nicht zugeben. Mit einer solch erratischen Kommunikationspolitik sollten sich Unternehmen besser nicht gemeinmachen.

Andere soziale Netzwerke sind nicht viel besser, könnte man argumentieren: Facebook steht seit Jahren wegen seiner Datenschutz-Politik in der Kritik, Twitter musste sich im vergangenen Mai vor dem Bundestag verantworten, weil es aus Angst vor Wahlbeeinflussung mehrere Konten gesperrt hatte. Staatlich gebilligte Zensurmaßnahmen und Skandalmeldungen im Wochentakt kann jedoch keine der Plattformen vorweisen.

Im Fall von Tiktok haben Unternehmen außerdem zum jetzigen Zeitpunkt noch eine Wahl – wie sie sie in Bezug auf andere, etablierte Plattformen, ohne die Kommunikation heutzutage kaum noch denkbar ist, möglicherweise nicht mehr haben. Momentan ist die Tiktok-lose Kommunikation noch ohne Einbußen in der Reichweite möglich – anders als im Fall von Facebook oder Twitter. Unternehmen sollten auch in dieser Beziehung eine klare Haltung zeigen und auf die Kommunikation via Tiktok verzichten.