So gelingt der Karrieresprung vom Kollegen zum Chef

Tipps für Aufsteiger

Befördert zu werden ist eine schöne Sache, keine Frage. Aber wenn man innerhalb einer Abteilung aufsteigt, bedeutet das auch, dass sich das Verhältnis zu den Kollegen zwangsläufig verändert. Und das kann mitunter zu schwierigen Situationen führen – ist der Party-­Samstag mit Kollege Dieter auch in Zukunft noch möglich oder fällt er ab sofort weg? Wie schaffe ich es, von den ehemaligen Kollegen als neuer Chef akzeptiert und ernst genommen zu werden? ­Dagmar Kohlmann-Scheerer berät seit Jahren in genau diesen Fragen und coacht frisch gebackene Führungskräfte, damit „der nicht ganz so neue Neue“ es von Anfang an ­etwas leichter hat.

Frau Kohlmann-­Scheerer, ­worauf sollte ich zu ­Beginn meiner neuen Tätigkeit ­achten?

Dagmar Kohlmann-Scheerer: ­Gerade am Anfang wird man als neue Führungskraft mit Argusaugen beobachtet, auf der einen Seite von den Kollegen, auf der anderen Seite von der Geschäftsleitung. Allerdings kann es sein, dass sich gefühlt erst einmal wenig ändert: Wenn man beispielsweise in einem Großraumbüro sitzt, ein neues Büro also nicht vorgesehen ist, wird zunächst kaum ein Unterschied zur vorherigen Situation erkennbar. Ich rate dazu, in den ersten Tagen zunächst alles so weiterlaufen zu lassen wie gewohnt. Denn man braucht etwas Zeit, um herauszufinden, was nun von einem erwartet wird. Sobald man etwas Überblick hat, bitte das Team zusammenrufen und erklären, wie man sich die Zusammenarbeit vorstellt. Und hier hat sich Transparenz als Erfolgsfaktor erwiesen. Wenn ich als neuer Chef klar verdeutliche, was genau ich von der Abteilung erwarte und auch, was die Mitarbeiter von mir erwarten können, wie ich mir die Zukunft vorstelle, ist das ein guter Anfang für alle Beteiligten. Dann können gemeinsam Lösungen erarbeitet werden – und außerdem werde ich als neuer Chef schneller respektiert, da man merkt, dass ich mir bereits Gedanken über eine sinnvolle Zusammenarbeit gemacht habe.

Was ist ein absolutes No-Go?

Völlig verkehrt wäre es, gleich am ersten Tag zu sagen: „So, den Tisch stelle ich gleich mal dahin, das wollte ich eh schon immer, in Zukunft werden wir uns so und so am Telefon melden.“ Solche Sofort-Maßnahmen kommen einfach nicht gut an. Das kann man erst machen, wenn alle das Gefühl bekommen, dass bestimmte Sachen besser geändert werden sollten, wenn es offensichtlich ist, dass in manchen Bereichen Veränderungen sinnvoll sind. Und dann besser die anderen mit einbinden. Das bedeutet nicht, dass alle immer „Ja“ und „Amen“ zu meinen Entscheidungen ­sagen müssen, aber ich mache sie nachvollziehbar und ich begründe sie.

Gibt es weitere Dinge, die man als neuer Chef und ehemaliger Kollege vermeiden sollte?

Was gar nicht geht: Schwächen zu sehr zu offenbaren. Besser ist es dann sogar, eigene Selbstzweifel kurzfristig zu überspielen. Zumindest für den Augenblick ist das sinnvoll, so radikal das klingen mag. Gerade wenn jüngere Frauen als Chefinnen ausgewählt werden, beobachte ich leider oft, dass sie sich das häufig selbst nicht zutrauen. Sie gehen oft zu hart mit sich ins Gericht, zweifeln: „Ob ich das wirklich schaffe, ob ich wirklich qualifiziert genug bin für den neuen Posten“ und so weiter. Natürlich ist es auf der einen Seite auch eine Qualität, wenn man sehr selbstreflektiert ist und nicht nur wie ein Berserker mit Halbwissen um sich wirft, nach dem Motto: „Ach, wird schon richtig sein.“ Aber wenn man zu sehr ins andere Extrem rutscht, steht man sich eben selbst im Weg. Im Zweifelsfall also mal lieber nichts dazu sagen, eigene Unsicherheit nicht groß thematisieren und gegebenenfalls später nachrecherchieren. Denn leider wirkt man sonst schnell inkompetent, und den Ruf wird man sehr schwer wieder los.

Wie finde ich möglichst schnell zu meiner neuen Rolle als Führungspersönlichkeit?

Meistens kündigt sich das schon vorher an. Wer war denn der Stellvertreter, etwa, wenn der Chef im Urlaub war? Wem wurden die Aufgaben übertragen? Eine Führungspersönlichkeit ist nicht plötzlich einfach da, diese Rolle ist bereits erprobt worden. Das ist ein Entwicklungsprozess, den man schon lange vorab beobachten kann. Der nächsthöhere Chef kann übrigens auch einen entscheidenden Beitrag leisten. Ich halte es sogar für zwingend erforderlich, dass er sich vor die gesamte Mitarbeiterschaft stellt und klar sagt: „Frau Müller ist jetzt eure neue Chefin und folgende Kompetenzen und Aufgaben obliegen ihr ab sofort.“ Und zwar unabhängig davon, ob sich vielleicht sowieso schon herumgesprochen hat, dass man eine neue Position innehaben wird. Wenn das Auge in Auge mitgeteilt wird und nicht nur per Aushang oder Rund-Mail, hat es der Neue von Beginn an wesentlich leichter.
 
Wie schaffe ich es, dass man mich ernst nimmt und mir genügend Respekt entgegenbringt, wenn ich vom Kollegen in die Chefposition wechsle?

Klare Regeln aufzustellen, hilft enorm. Zum Beispiel: Wenn meine Tür zu ist, bedeutet es, dass ich gerade nicht zur Verfügung stehe und wenn die Tür offen ist, kann man gerne vorbei kommen. Wenn ich weiterhin in einem Großraumbüro sitze, muss ich es schaffen, mich irgendwie anders zu distanzieren. Ich habe einmal von jemandem gehört, der diese Problematik so gelöst hat, indem er einfach einen Stift senkrecht gestellt hat, das hieß dann: „Bitte jetzt nicht stören.“ Wenn der Stift dagegen normal da lag, konnte man zu ihm kommen. Das wirkt auf den ersten Blick vielleicht etwas albern, hatte aber eine klare Aussage und hat tatsächlich auch wunderbar funktioniert, nachdem sich die anderen erst einmal daran gewöhnt hatten.

Stichwort „Fußball und Feier­abendbier” – wie „kumpelig” darf man als Chef sein?

Kumpel sein heißt nicht Chef sein und umgekehrt. Wenn ich in die Situation komme, dass ich mit dem einen oder anderen sehr gut befreundet bin, sollte ich ihn oder sie in Ruhe zur Seite nehmen und sagen: „Ich bin nach wie vor als Mensch dein Freund. Aber akzeptiere du bitte auf der Gegenseite, dass ich jetzt auch dein Chef bin.“ Das sind zwei komplett verschiedene Rollen. Und wenn man sich dann doch abends sieht, sei es, weil ich vielleicht sogar Patentante bin, dann deutlich machen: In dem Moment bin ich dann eben nicht mehr Chef. Wenn ich das klar kommuniziere, dann leidet die Freundschaft weniger unter der veränderten Situation. Denn natürlich muss ich als Chef auch immer mal wieder Entscheidungen treffen, die nicht allen schmecken werden. Eine weitere Maßnahme ist, denjenigen auch nicht in bestimmte Informationen einzuweihen – so ein Verhalten ist als Chef einfach unangebracht.

Ist es sinnvoll, mit allen ­ehemaligen Kollegen so ein ­offenes Gespräch zu suchen, um über die neue Situation zu reden oder ist es besser, den neuen Führungsstil einfach vorzuleben?

Am besten im Vieraugen-Gespräch und zusätzlich in der Gruppe. Und zwar nicht nach dem Motto: „Ich bin jetzt euer Chef, aber hey, es wird sich nichts ändern.“ Nein – man darf nicht immer nur auf Harmonie aus sein. Das ist ein Fehler, den viele machen. Man muss den anderen und auch sich selbst klarmachen: Ich bin jetzt eben nicht mehr im Kreis derer, die ein bisschen geklatscht haben, die zusammen rumstehen und so weiter. Die Rollen haben sich verändert und das bedeutet konkret das und das.

Muss ich mir neue Ansprechpartner, neue Ratgeber ­suchen?

Man kommt automatisch in „höhere ­Etagen“, in Kontakt mit anderen Abteilungs­leitern, mit denen man sich nun in Meetings oder auch bei einer Tasse Kaffee austauschen kann. Die verstehen dann auch die eigenen Fragestellungen besser, da sie in einer ähnlichen, leitenden Position sind. Etwa: Man möchte etwas durchsetzen, was vielleicht unpopulär ist. Und mit denjenigen hat man auch nicht das Problem, dass sie in irgendeiner Weise „unter einem“ stehen und sich daraus dann ein kompliziertes Verhältnis entwickelt. Man kann sich vielmehr auf Augenhöhe austauschen und das ist sehr wichtig.

Haben Sie einen Tipp, wie man mit Neidern umgeht?

Offen ansprechen, am Ende noch in der Gruppe, bringt in diesem Fall nichts, da erfahrungsgemäß nur selten zugegeben wird, dass jemand nicht mit der Beförderung einverstanden ist. Letztendlich steht man mit seiner Verdächtigung nur blöd da und hat sich damit selbst geschadet. Eine gute Möglichkeit ist dagegen, dass man die Stärken desjenigen gezielt nutzt, indem man sie bestimmten Aufgaben neu zuführt. Man kann sogar verhindern, dass andere negativ beeinflusst werden, etwa indem man dem Neider ein separiertes Projekt anvertraut. Wenn man das Gefühl hat, dass er nicht gut alleine arbeiten kann, sollte man ein Team bilden und ihm eine spannende Aufgabe geben. Die Begeisterung der anderen kann den Neider anstecken und von missgünstigen Gedanken ablenken. Wenn das alles nichts nützt, dann muss man ihn eben wegloben oder in eine andere Abteilung versetzen. Und Mitleid ist da auch falsch angebracht, denn ­teilweise gibt es wirklich sehr schwierige Menschen, und die haben es sich dann schlicht und ergreifend selbst zuzuschreiben, wenn sie ­versetzt oder im Extremfall vielleicht sogar entlassen werden.

Welche Rolle spielt in diesem Kontext das Alter?

Es kommt vor, dass manche denken: „Ich bin jetzt schon so lange im Unternehmen, jetzt bin ich auf jeden Fall an der Reihe.“ Wenn dann ein Junger kommt und an dem Alteingesessenen vorbeizieht, sorgt das schon mal für Unmut und stößt häufig auf Unverständnis. Aber: Man wird nicht automatisch Chef, nur weil man schon länger als andere im Unternehmen ist. Ein automatisches Anrecht gibt es nicht. Chef wird man, indem man durch irgendetwas positiv auffällt, wenn man neue Wege geht, Eigeninitiative zeigt. Ein hilfreicher Gedanke in diesem Zusammenhang ist übrigens auch: Man weiß nie, wo man den Menschen im Laufe seiner Karriere wieder begegnet, welche Positionen sie eventuell einnehmen werden. Es kann gut und gern sein, dass die Praktikantin, die ich vielleicht von oben herab behandelt habe, einige Jahre später größere Kompetenzen haben wird als ich. Etwas Weitblick schadet nie, denn die Welt ist gar nicht so wahnsinnig groß in den einzelnen Branchen.

Zu welchem Verhalten raten Sie in Sachen Kritik üben?

Sachlich die Meinung zu äußern, ist immer wichtig – auch wenn sie vielleicht erst einmal für Unmut sorgen könnte. Entscheidend dabei ist, dass ich die Sache deutlich von der Person trenne. Denn dann weiß jeder, woran er ist und Kritik wird nicht persönlich aufgefasst. Auf Dauer sorgt auch das für Respekt. Gerade Frauen lächeln beispielsweise oft. Etwa aus Verlegenheit oder aus dem Wunsch heraus, für gute Stimmung sorgen zu wollen, quasi um des lieben Friedens Willen. Viele haben sich das über die Jahre antrainiert, aber das sollte man sich – gerade als neuer Chef – abgewöhnen. Wir sind nicht mehr in der Grundschule, in der man einen auf Liebkind machen muss, um Freunde zu gewinnen. Im Gegenteil: So etwas wird einem im Arbeitsalltag oft sogar als Schwäche ausgelegt.

Wann sollte ich mich fragen: Vielleicht ist es doch besser, das Unternehmen komplett zu wechseln, denn hier hat es ­keinen Sinn?

Wenn der ehemalige Chef und vielleicht ja auch „Protektor“ das Unternehmen aus guten Gründen verlässt. Dann sollte man sich gegebenenfalls rechtzeitig überlegen, ebenfalls anderen Angeboten den Vorzug zu geben, sonst kämpft man unter Umständen auf verlorenem Posten.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Storytelling – Marken machen ohne Märchen. Das Heft können Sie hier bestellen.

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