Sind Purpose und Haltung PR-Luftnummern?

Purpose ohne Sinn

Vor einigen Wochen reiste Bundeskanzlerin Angela Merkel nach China. Sie begleitete eine hochrangige Wirtschaftsdelegation, der unter anderem die Autobosse, die Chefs von BASF, Deutscher Bank und Siemens angehörten. Bild-Reporter Paul Ronzheimer war ebenfalls dabei. Er twitterte ein Foto von gut gelaunten CEOs: „Hier freuen sich deutsche Konzern-Chefs über neue Geschäfte mit China“, lautete sein Kommentar. Die Konzernlenker zu einem Statement zu Hongkong und zur Menschenrechtssituation in China zu bewegen, gestaltete sich Medienberichten zufolge als schwierig.

Können Unternehmen, Institutionen, Verbände und NGOs gut oder böse sein? Wie viel Moral darf man von ihnen erwarten? Negatives lässt sich über jedes Unternehmen finden: Adidas muss sich wegen der Arbeitsbedingungen bei der Herstellung seiner Produkte immer wieder Kritik gefallen lassen. Bayer steht wegen Glyphosat am Pranger. Bei Daimler wirkt der Diesel-Skandal genauso nach wie bei Volkswagen. RWE fiel der Hambacher Forst auf die Füße. Die Mieterhöhungspraxis von Vonovia halten viele für skandalös. Von A bis Z: die böse Wirtschaft?

Gute oder böse Wirtschaft?

Oder sind Unternehmen auf der guten Seite? Ist Adidas nicht das Unternehmen, das Millionen von Menschen Spaß am Sport ermöglicht? Leistet Bayers widerstandsfähiges Saatgut nicht einen Beitrag zu einer weltweit besseren Ernährungssituation? Liefert RWE nicht Energie zu einem günstigen Preis? Hilft Vonovia mit Wohnungssanierungen nicht, die CO2-Emissionen zu senken?

Haltung und Purpose sind Trendthemen über die Kommunikation hinaus. Die „Meaningful Brands Studie“ der Agentur Havas besagt, dass 75 Prozent der deutschen Konsumenten erwarten, dass Marken sich aktiv an Lösungen für soziale und ökologische Probleme beteiligen und eine klare Haltung einnehmen.

Nach den Ereignissen von Chemnitz im Jahr 2018 äußerte sich eine Reihe von Unternehmen dahingehend, dass sie Toleranz und Vielfalt für wichtig halten und Rassismus ablehnen. Anlässlich des Christopher Street Days initiierten Unternehmen Aktionen, um zu demonstrieren, dass sie verschiedenen sexuellen Orientierungen gegenüber offen sind. Auf diesen Feldern Haltung zu zeigen, ist leicht. Sie kostet wenig bis nichts.

Bei Menschenrechtsfragen schweigen Unternehmen, bei Umweltthemen bleiben sie gern unkonkret. Klimaschutz findet abgesehen von Hardcore-Leugnern jeder wichtig. Sich dazu bekennen ist eine Selbstverständlichkeit. Nur: Reden allein reicht nicht. Teile der Öffentlichkeit wollen seit den Fridays-for-Future-Demonstrationen Fortschritte sehen. Sich als Unternehmen öffentlich als Klimafreund darstellen und am Ende die Luft verpesten ist für Medien ein möglicher Angriffspunkt. Der Vorwurf, ein Unternehmen agiere scheinheilig, ist schnell gemacht.

Kapitalismus mit Herz

Siemens-Chef Joe Kaeser sprach jüngst davon, dass es einen „inklusiven Kapitalismus“ brauche. Einen Kapitalismus mit Herz? Er meinte wohl eine echte soziale Marktwirtschaft.

Bei Kaeser wie bei anderen Konzernchefs schwingt offenbar die Sorge mit, dass das Shareholder-Value-Denken von immer mehr Menschen nicht länger akzeptiert werden könnte. Die Banken- und Finanzkrise, Dieselgate, eine verbesserungswürdige Infrastruktur und Managerexzesse haben Spuren hinterlassen. Empörung gibt es von Grünen und Linken genauso wie in bürgerlichen Kreisen. Insbesondere die Geduld der jungen Generation scheint abzulaufen. Rechte Protestwähler werden mehr.

Vor dem Hintergrund sollte man die Initiative von 181 Topmanagern und Unternehmenschefs aus dem US-Wirtschaftsverband Business Roundtable sehen. Sie unterzeichneten Ende August eine „Erklärung zum Zweck eines Unternehmens“, in der sie betonen, dass sie sich allen Stakeholdern verpflichtet fühlen: Kunden, Mitarbeitern, Zulieferern, lokalen Gemeinden und Aktionären. Etwas Konkretes enthält dieses Bekenntnis nicht. Es ist eine Art „Überpurpose“, aber gleichzeitig viel Lärm um nichts.

Verzögerungstaktik

Purpose bleibt eine PR-Luftnummer, wenn Unternehmen sich darauf beschränken, lediglich Buzz­words wie „nachhaltig“, „klimafreundlich“ und „sozial gerecht“ aneinanderzureihen. Dann wirkt dieses Konzept wie eine Verzögerungstaktik, um mit bestehenden Geschäftsmodellen gut zu verdienen in der Hoffnung, dass Aktivisten und Kritiker wieder ruhiger werden. Schöne Worte für ein gutes Image sind ein Purpose ohne Sinn.

Was soll die moralische Selbstfindung überhaupt? Aufgabe von Unternehmen ist es, dass sie zukunftssichere Arbeitsplätze schaffen, gute Gewinne einfahren, Mitarbeiter angemessen bezahlen, sich an Recht und Gesetz halten, Klima- und Umweltschutz beachten und vor allem Produkte und Dienstleistungen in einer Qualität liefern, die sie in PR und Werbung versprechen.

Es sollte kein verwegener Anspruch sein, dass Züge pünktlich ankommen, Flüge verlässlich starten und Autos die Menge an Abgasen ausstoßen, die angegeben ist. Handys und Internet sollten auch auf dem Land funktionieren. Eine Landwirtschaft, die das Tierwohl nicht nur in Broschüren und Kinderbüchern hochhält, ist gewinnorientiert möglich, genauso wie Wohnungen zu bezahlbaren Mieten anzubieten und trotzdem Profit zu machen.

Ein ehrlicher Purpose wäre also eine Haltung, die darauf ausgerichtet ist, als Unternehmen nicht mehr aus allem den letzten Euro rauszupressen. PR-Profis müssten dann dafür sorgen, diesen Prioritätenwechsel zu vermitteln, was gegenüber der allgemeinen Öffentlichkeit einfacher sein dürfte als gegenüber finanziell engagierten Stakeholdern.

 

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe KONTROVERSE. Das Heft können Sie hier bestellen.

Weitere Artikel