Mit Antje Neubauer, Leiterin Marketing und PR bei der Deutschen Bahn, hat Anfang des Jahres eine der bekanntesten Kommunikatorinnen des Landes angekündigt, eine berufliche Auszeit nehmen zu wollen. Dieser Schritt fand enorme Aufmerksamkeit. Aufgrund von Interviews, in denen sich Neubauer teilweise sehr persönlich äußerte und Einblicke in ihr Seelenleben gewährte, auch außerhalb der Kommunikationsbranche. Die Reaktion aus der Branche: Zustimmung bis Bewunderung.
Respekt, Geld, Spaß, Macht, Selbstverwirklichung, die Möglichkeit zu gestalten – eine erfolgreiche berufliche Karriere kann einem vieles bieten. Wer über mehrere Jahrzehnte einen Fulltime-Job mit maximal 30 Tagen Urlaub ausgeübt hat, musste allerdings an anderer Stelle zurückstecken; Kompromisse eingehen: bei der gemeinsamen Zeit mit den Kindern, dem Partner oder Freunden, bei Urlaubsreisen und Freizeitaktivitäten. Einfach in den Tag hineinleben? Keine Lust aufzustehen? Geht nicht. Dass viele aus monetären Gründen arbeiten müssen, versteht sich von selbst.
Die Mentalität, sich durchbeißen zu müssen, auch mal halbkrank im Büro aufzuschlagen und finanzielle Sicherheit anzustreben, prägte die Generationen der Babyboomer, X und Y. Sie sind um die 35 Jahre alt oder älter. Der Verlust des Arbeitsplatzes war ein reales Risiko. Die Angst berechtigt. Berufliche Pausen gehörten nicht zur Lebensplanung. Die eigenen Eltern brauchten ja auch keine. Beim Arbeitsplatzwechsel musste der Resturlaub reichen.
In der Gesellschaft haben sich die Prioritäten verschoben. Karriere ist wichtig. Parallel hat die Work-Life-Balance an Bedeutung gewonnen – nicht nur mit Blick auf den Arbeitstag, sondern auf ganze Lebensabschnitte. Mehr „Life“ ist angesagt. Digitale Arbeitswelten und New Work bieten neue Möglichkeiten genauso wie großzügigere Regelungen zu Elternzeit und -geld. Mütter und Väter können sich temporär hauptsächlich um die Kinder kümmern. Das ist fordernd und anstrengend. Doch entwickeln viele Beschäftigte während der Elternzeitpause neue Motivation und freuen sich, dann doch wieder regelmäßig arbeiten zu dürfen, so schön das Sorgen für Baby und Kleinkind auch ist.
Die Erkenntnis, auch ohne Arbeit gut leben zu können
Oliver Schumacher hat 2018 als Leiter Kommunikation und Marketing bei der Deutschen Bahn eine berufliche Auszeit genommen. Zwei Monate waren es in seinem Fall. Der Unterschied zu Antje Neubauer: Der 58-Jährige kehrte an seinen Arbeitsplatz zurück. Neubauer hat das ausgeschlossen und will sich neu orientieren.
„Das Sabbatical war die erste Auszeit für mich in zwölf Jahren bei der Deutschen Bahn, die länger als drei Wochen gedauert hat“, sagt Schumacher. „Ich habe immer gern und viel gearbeitet. Aber auch Kommunikationsmanager müssen einmal abschalten. Für acht Wochen habe ich losgelassen und kann sagen: Ein Leben ohne Termine, E-Mails und Smartphone kann wunderbar sein!“
„Meine Frau und ich sind nach Peru gereist – und waren wirklich komplett weg. Sich auf eine neue Kultur und – zumindest zeitlich befristet – auf ein anderes Leben einzulassen, war eine großartige Erfahrung. Ich habe viel gelesen und ein neues Maß an Ruhe und Gelassenheit gewonnen. Und die beruhigende Erkenntnis, auch ohne Arbeit gut leben zu können“, meint Schumacher. Mal nicht „senden und empfangen“ zu müssen, habe der frühere Journalist als Bereicherung empfunden.
Ein Sabbatical beschreibt eine befristete Auszeit vom Job. Entweder kehrt ein Arbeitnehmer in seinen Beruf zurück oder – die gewagtere Variante – verabschiedet sich ohne Sicherheitsnetz. In Deutschland wurde der Begriff dem breiten Publikum bekannt, als der ehemalige Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg 2011 ankündigte, ein Sabbatical einlegen zu wollen.
Eine Umfrage des Karrierenetzwerks Xing kam 2017 zum Ergebnis, dass jeder Zehnte der etwa 1.500 befragten Arbeitnehmer ein Sabbatical genommen habe und weitere 21 Prozent gerne eine Auszeit nehmen würden. Bei jüngeren Befragten ist der Wunsch nach einer Auszeit deutlich stärker als bei älteren Berufstätigen. Erholung, Reisen, Weiterbildung sowie eine berufliche Neuorientierung seien die Hauptgründe für eine Pause, zeigte die Umfrage.
Was will ich eigentlich selbst?
Babette Kemper, ehemalige Geschäftsführerin der Kommunikationsagentur Ogilvy PR, entschied sich im Sommer 2018, ihren Job zu kündigen, ohne einen Folgevertrag zu haben. Nach ihrer Freistellung nahm sie sich eine mehrmonatige Pause, um für sich einige grundsätzliche Fragen zu klären – das große Ganze. „In welchen Strukturen will ich künftig arbeiten? Was setzt neue Energie frei? Wie kann ich mich selbst herausfordern?“, fragte sich die 46-Jährige. Sie habe Ogilvy nicht verlassen, weil es ihr dort schlecht ging. Im Gegenteil: „Die Agentur war wunderbar aufgestellt. Wir waren auf kontinuierlichem Wachstumskurs.“ Auch habe sie nie das Gefühl gehabt, ihrer Rolle als Mutter von drei Kindern nicht gerecht zu werden. Die Babypausen waren die einzigen Zeiträume, in denen sie nicht gearbeitet hat. Ihre Karriere: nahtlos.
Nach ihrem Ogilvy-Ausstieg hat Kemper im Sommer ausgiebig Urlaub mit ihrer Familie gemacht. Gespräche mit potenziellen Arbeitergebern habe sie erst einmal keine geführt. Für sie stand fest: „Ich möchte in meinem Beruf bleiben. Ich bin leidenschaftliche Kommunikatorin und Führungskraft.“ In einem Unternehmen anzufangen, bei einer anderen Agentur zu arbeiten oder etwas Eigenes aufzubauen, waren die Optionen. Kemper entschied sich, ein Business-Coaching zu machen. Nach Gesprächen mit Achtung!-CEO Mirko Kaminski entschloss sie sich, eine eigene PR-Beratung zu gründen.
Die Düsseldorferin ist überzeugt, dass sie diesen Schritt nur gehen konnte, weil sie sich die Freiheit genommen hat, mit offener Zukunftsplanung erstmal aus dem System auszusteigen. „Aus einem bestehenden Job heraus hätte ich das nicht gemacht. Während man beschäftigt ist, strebt man eher nach einem besseren Angebot.“ Diese freie Zeit habe ihr geholfen, sich als Person sowie ihre Stärken und Schwächen besser kennenzulernen.
Job und Branche mit Distanz betrachten
Eine berufliche Auszeit muss man sich leisten können – auch finanziell. Das gilt besonders, wenn noch eine Familie dranhängt. Hinzu kommt psychischer Stress, wenn man als Arbeitnehmer nicht die Gewissheit hat, nach einer Auszeit wieder bei seinem Arbeitgeber unterzukommen. Der Markt für Kommunikationsexperten mit Berufserfahrung ist aktuell zwar sehr gut. Doch auch bestens vernetzten PR-Profis kann es passieren, dass ihr Traumjob besetzt ist, sich Recruiting-Prozesse hinziehen und am Ende eine ungewollte Kompromisslösung herauskommt. Dann ist Frust im Job vorprogrammiert. Die Jobsuche beginnt aufs Neue, ergänzt um das Gefühl, gescheitert zu sein.
Christiane Schulz, bis Ende April Deutschlandchefin der Agentur Weber Shandwick und Präsidentin der Gesellschaft der führenden PR- und Kommunikationsagenturen in Deutschland (GPRA), befindet sich derzeit in einer beruflichen Pause. Ab November wird sie Geschäftsführerin bei Edelman Deutschland.
Warum die Pause? Ihr geht es darum, „anzuhalten und stillzustehen und den eigenen Job und die Branche mit etwas Distanz zu betrachten“. Raus aus dem Daily Business. „Wenn ich im Job und der täglichen Routine drin bin, dann ist das sehr viel schwerer beziehungsweise für mich war es nicht möglich.“ Schulz wolle „reflektieren, welche Aufgaben mir besonders Spaß machen, wo ich meine Kompetenzen am besten einbringen kann und wie die nächste Herausforderung aussehen sollte“. Die Sinnfrage: Wer bin ich eigentlich? Was kann beruflich noch kommen?
Wie nutzt sie ihre freie Zeit? „Bisher habe ich meine Auszeit genutzt, um mich mit vielen Menschen zu treffen“, erklärt die 50-Jährige. „Ich habe ein Exposé sowie ein Probekapitel für ein Buch geschrieben, zu dem ich schon immer eine Idee im Kopf hatte, und ich verbringe viel Zeit an der Ostsee mit Familie und Freunden. Dabei genieße ich besonders alle sportlichen Aktivitäten wie Tennis, Joggen und Golfen, denen ich zu jeder Tageszeit nachgehen kann und nicht erst am Abend oder nur am Wochenende.“ Familie, Freunde, Hobbys – eine bessere Work-Life- Balance. Mal das machen, was einem Spaß macht. Nicht wenige streben danach in der Branche.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe ZEIT. Das Heft können Sie hier bestellen.