Zwischen Provokation und Lüge

Ritter Sport und „Cacao y nada“

Wenn ein Reptilienpark ankündigt, künftig das Schwimmen mit Krokodilen zu erlauben, ist klar: Das kann nur ein Aprilscherz sein. Immer wieder regt der 1. April PR- und Marketing-Abteilungen zu mehr oder weniger kreativen Höchstleistungen an. Nicht immer geht das gut, wie jüngst der Fall Volkswagen in den USA zeigte: Erst „leakte“ der Autohersteller, sich in „Voltswagen“ umbenennen zu wollen, schob dann eine offizielle Pressemitteilung hinterher, um das Ganze nach Unruhen an der Börse schließlich als Aprilscherz aufzulösen. Ergebnis: verärgerte Medien, verstimmte Anleger*innen, verständnislose Kund*innen. Falsche Behauptungen, wenn auch scherzhaft gemeint, können nach hinten losgehen.

Wenige Wochen vorher gab es einen ähnlichen Fall, der anfangs in die Irre führte. Der Schokoladenhersteller Ritter Sport lancierte in der „Bild“-Zeitung die Meldung, dass seine jüngste Kreation „Cacao y nada“ („Kakao und nichts“) nicht Schokolade genannt werden dürfe. Das Problem: Die Tafel sieht aus wie Schokolade, schmeckt auch wie Schokolade, bezieht ihre Süße aber nicht aus Zucker oder einem herkömmlichen Substitut, sondern ausschließlich aus dem Saft der Kakaofrucht. Eine Innovation, die mit dem geltenden Lebensmittelrecht nicht zu vereinbaren sei, wonach Schokolade zwingend aus Kakao und einer Zuckerart bestehen müsse, sagte der Hersteller. Die „Bild“-Zeitung titelte pointiert: „Schokoladen-Schwachsinn des Jahres.“

Die Meldung fand ihren Weg über „dpa“ in zahlreiche Leitmedien – von der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ bis zum „Spiegel“. Selbst die ZDF-Kindersendung „Logo“ beschäftigte sich mit der Meldung. Zusätzlich gab es eine Pressemitteilung des Schokoladenkonzerns, in der Geschäftsführer Andreas Ronken das Lebensmittelrecht als „absurd“ kritisierte und wetterte: „Wenn Wurst aus Erbsen sein darf, braucht Schokolade keinen Zucker. Aufwachen!“ Die Empörung des Unternehmens bestimmte den Tenor der Medienberichte.

Bis sich Bundesernährungsministerin Julia Klöckner einschaltete. Der „Wirtschaftswoche“ erklärte sie, aus Sicht ihres Ministeriums dürfe die „Kakaofruchttafel“ sehr wohl Schokolade heißen, denn die zuständige Zuckerarten-Verordnung führe nicht abschließend alle Zuckerarten auf. Folgerichtig könnte auch natürlicher Kakaosaft als Zuckerart gelten. Die Geschichte von der Schokolade, die keine sein darf – alles nur ein Scherz, ein gelungener PR-Stunt?

Redaktionen, darunter „dpa“, sahen sich jedenfalls zu Korrekturen genötigt, das Medien-Portal „Übermedien“ rollte den Fall auf. Fake-News-Vorwürfe gegen Ritter Sport wurden laut. Der Deutsche Rat für Public Relations (DRPR) prüfte als PR-Selbstkontrollorgan den Fall.

Schuldige auf allen Seiten

Das Branchenblatt „Meedia“ mahnte, die Pressemitteilung als Stuntmedium zu missbrauchen, könne „das Vertrauen der Medienmacher in die PR-Arbeit dieses Unternehmens massiv erschüttern“. Die Rhetorik des Unternehmenschefs, der „das Klischee der handlungsunfähigen und inkompetenten“ Politik und Gesetzgebung bediene, sieht das Medium gar gefährlich nahe am Narrativ der „Querdenker“-Bewegung.

Der PR-Ethikrat sah vor allem die journalistische Sorgfaltspflicht verletzt. „Mit fünf Minuten intensiver Recherche hätte man in Redaktionen herausfinden können, dass das so nicht sein kann. Für uns ist das eher ein Fall für den Presserat“, sagt Uwe Kohrs vom Deutschen Rat für Public Relations. Recherchen waren unzureichend.

Von einer Rüge sah der PR-Ethikrat ab. „Es war relativ klar, dass es sich bei dem Fall um eine Mystery-Aktion handelte“, erklärt Kohrs. Sogenannte Mystery-Aktionen – also mit einem provozierenden Narrativ Aufmerksamkeit zu erzielen –, seien grundsätzlich in Ordnung, solange diese zeitnah aufgedeckt würden. Im Fall von Ritter Sport sei dies geschehen, stellt Kohrs fest, „egal, wer die Aufklärung veranlasst hat“. Kohrs’ Kollege und DRPR-Vorsitzender Lars Rademacher lobte gar in einem Interview die Kreativität von Ritter Sport: „Das war sehr geschickt konstruiert. Ein Hoch auf die PR-Frau, die das erfunden hat.“

„Hier wurde nichts erfunden“

Die Angesprochene kann weder mit dem Lob noch mit Fake-News-Vorwürfen etwas anfangen. Petra Fix, die Leiterin der globalen Nachhaltigkeitskommunikation von Ritter Sport, stellt im Gespräch klar: „Hier wurde nichts erfunden. Was wir kommunizieren, entspricht den Tatsachen.“

So eindeutig, wie es scheint, ist die Angelegenheit nicht. Ob Kakaosaft eine Zuckerart im Sinne der Kakao-Verordnung ist oder nicht, wird in Fachkreisen diskutiert. Rechtssicherheit gibt es aktuell nicht. So schreibt Ritter Sport auf seinem Unternehmensblog: „Würden wir uns nicht streng an (alle) juristischen Vorgaben halten (…), würden wir uns ganz schnell mit dem Vorwurf der Verbrauchertäuschung konfrontiert sehen. Und das können wir als Markenartikelhersteller (…) nicht riskieren.“

Die Emotionalität der Pressemitteilung und die Empörung seien also nicht gespielt gewesen, sagt Fix. „Wer die Marke Ritter Sport kennt, der weiß, dass wir gern mal für einen provokanten Spruch gut sind. Aber unsere Aussagen basieren immer auf der Realität“, erklärt die Kommunikatorin. Darauf fuße schließlich das Vertrauen der Verbraucher*innen. „Etwas provokant zu formulieren, macht es noch lange nicht zu einem Gag oder Fake“, betont Fix.

Any Publicity is good Publicity

Die Geschichte von der Schokolade, die keine sein darf, war also kein verfrühter Aprilscherz. Für ein Kommunikationschaos hat sie dennoch gesorgt. Ist die Reputation der Marke Ritter Sport nun beschädigt? Nein, meint Martin Wohlrabe, Geschäftsführer des auf Litigation-PR spezialisierten Beratungsunternehmens Consilium: „Ritter Sport ist eine starke, über die Jahrzehnte gewachsene Marke mit einer starken Basis an echten ‚Fans‘. Und nicht umsonst hat der Satz ‚any publicity is good publicity‘ Berühmtheit erlangt.“

Das Unternehmen habe nichts falsch gemacht, im Gegenteil, findet der Jurist Wohlrabe: „Ritter Sport ist es gelungen, einen hochkomplexen rechtlichen Sachverhalt in eine attraktive Story zu packen. Und so recht verlieren konnte Ritter Sport nicht. Es waren entweder Schlagzeilen oder eben zumindest eine öffentliche Diskussion garantiert. In diesem Fall ist sogar beides gelungen.“

Darüber freut sich vor allem Petra Fix. „Wir begrüßen es sehr, dass eine kontroverse Diskussion entstanden ist“, sagt sie. Nur die Fake-News-Vorwürfe haben sie erstaunt. „Es gilt Meinungsfreiheit. Aber natürlich wäre es schön gewesen, hätte man den direkten Kontakt mit uns gesucht“, sagt sie. Andere wären auf sie zugegangen, hätten sich rückversichert und auch im Nachgang habe sie das ein oder andere Gespräch mit Journalist*innen geführt. Von einem „erschütterten Vertrauen“ könne deshalb keine Rede sein. „Auch was die Verbraucher betrifft: Da ist, denke ich, nichts Negatives hängengeblieben“, so die Fachfrau.

Mit dem Statement auf dem Unternehmensblog habe Ritter Sport ausreichend auf die Vorwürfe reagiert, meint Berater Wohlrabe: „Jetzt innezuhalten und abzuwarten, bis sich die Wogen geglättet haben, ist eine gute Entscheidung. Letztendlich hat man ja sein Ziel, nämlich mediale Aufmerksamkeit für das neue Produkt sowie die ungeklärte rechtliche Einordung zu erzeugen, erreicht.“

Ob es überhaupt die Aufgabe von Ritter Sport ist, auf die unsichere Rechtslage hinzuweisen, ist fraglich. Auch Bundesernährungsministerin Klöckner, die zwar öffentlich Stellung bezog, hat die Verwirrung rund um das Lebensmittelrecht und die entscheidende Frage nicht auflösen können. „Ritter Sport hat die Kurve sicherlich mit einer nicht unerheblichen Geschwindigkeit genommen“, sagt Wohlrabe, „aber die Verantwortlichkeit verteilt sich – wie so häufig – auf mehrere Schultern.“

Story auf dem Silbertablett

Für das Vorgehen der Medien, die zunächst die Inhalte aus der Pressemitteilung des Unternehmens ungeprüft übernahmen, zeigt der frühere „Bild“-Journalist Wohlrabe Verständnis: „Ritter Sport hat einen hochattraktiven Spin geschaffen. Im Mittelpunkt: ein Produkt, mit dem sich eine Menge Leute identifizieren, das aber mit dem quasi undurchdringlichen Dschungel des Lebensmittelrechts zu kämpfen hat.“ Zugleich lägen Produkte, die ohne herkömmlichen Zucker auskommen, im Trend. „Der Spannungsbogen für eine gute Story wurde den Medien auf dem Silbertablett serviert“, sagt Wohlrabe.

Petra Fix von Ritter Sport ist jedenfalls zufrieden. „Wir sind überzeugt, dass unser Weg der richtige war“, sagt sie. Sollte das Unternehmen jemals ankündigen, statt quadratischer nur noch runde Schokolade verkaufen zu wollen, dann wäre das mit Sicherheit eine Sensation, aber kein Aprilscherz. Es wäre dann wahr.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe KREATIVITÄT. Das Heft können Sie hier bestellen.