Risiko Anführungszeichen

Kolumne

Sind Sie auch ein Freund von Anführungszeichen? Manche Texte wimmeln nur so davon, und das ist aus Lektoratssicht meist kein gutes Zeichen.

Mit Bedacht gesetzt, machen die kleinen Strichlein einen Text lesbarer und können das Verständnis deutlich erleichtern. Denn sie sind wie Hinweisschilder: Der Text, den sie einrahmen, ist anders als der übrige – er stammt zum Beispiel von einer anderen Person (Zitat) oder erfordert aus anderen Gründen besondere Aufmerksamkeit. Anführungszeichen bringen uns dazu, beim Lesen einen Moment innezuhalten, sodass wir nicht stolpern.

Nüchtern betrachtet, erfüllen alle korrekt gesetzten Anführungszeichen eine der folgenden drei Funktionen:

  1. Sie kennzeichnen ein Zitat beziehungsweise eine direkte Rede.
  2. Sie zeigen einen Namen oder Titel an, der ohne die Striche unter Umständen auch anders verstanden werden könnte – man kann zum Beispiel in den Spiegel sehen oder in den „Spiegel“ (die Zeitschrift).
  3. Sie können Ironie, eine Distanzierung, übertragenen Gebrauch oder ein Wortspiel verdeutlichen.

Diese Aufzählung ist abschließend. Das heißt: Außer diesen drei Punkten gibt es keine gültigen Gründe, Anführungszeichen zu setzen. Hinsichtlich des dritten Grunds scheiden sich hier und da die Geister, denn dass etwas ironisch oder wortspielerisch gemeint ist, sollte in einem gut geschriebenen Text aus dem Zusammenhang deutlich werden. Wenn Anführungszeichen noch nötig erscheinen, lohnt es sich meist, noch einmal über die Formulierung nachzudenken, sodass man am Ende vielleicht doch ohne die Striche auskommt.

Insbesondere sind Anführungszeichen kein Mittel, um etwas zu betonen! Dafür gibt es so viele andere Möglichkeiten – man kann die entsprechenden Textteile fetten, unterstreichen, kursiv setzen, in einer anderen Farbe schreiben oder, wenn es denn unbedingt sein muss, auch in Großbuchstaben schreiben. Anführungszeichen gehören aber nicht zu diesen Möglichkeiten.

Wer die Strichlein trotzdem zur Betonung nutzt, begibt sich auf dünnes Eis. Schauen Sie sich mal folgendes Beispiel an, das ich vor einiger Zeit auf Hochglanzpapier gedruckt in meinem analogen Briefkasten fand:

Kampfsport der »EXTRAKLASSE«
Jetzt EINSTEIGEN!
1 Woche »GRATIS« trainieren
»KEINE« Aufnahmegebühr!

 

Die Großbuchstaben allein hätten völlig gereicht, um die aus Anbietersicht wichtigsten Textteile hervorzuheben. Sie führen bereits dazu, dass wir beim Lesen gar nicht anders können, als kurz innezuhalten und uns von den so geschriebenen Wörtern anschreien zu lassen. Warum noch die Anführungszeichen – doppelt hält ja besser? Gleichen wir mal ab mit den oben aufgezählten drei Gründen für Anführungszeichen:

  1. Zitat/direkte Rede: Das ist es in allen Fällen eindeutig nicht.
  2. Namen/Titel: Dieser Grund scheidet ebenfalls aus.

Auch der dritte Grund ist hier vermutlich nicht gegeben. Aber als sprachlich halbwegs sensibler Mensch kommt man nicht umhin, das Ganze so zu verstehen. Wenn ich gratis – oder von mir aus auch GRATIS – trainieren darf, dann heißt das, ich bezahle nichts. Die zusätzlichen Anführungszeichen machen mich mehr als misstrauisch: Ironie? Wortspiel? Distanzierung? Und natürlich argwöhne ich, dass von Extraklasse in Wirklichkeit keine Rede ist, von Aufnahmegebühr dafür umso mehr.

Ich sag’s ja: dünnes Eis. Denn gemeint war es so mit einiger Sicherheit nicht.

Wer Anführungszeichen derart inflationär benutzt, macht seinen Text nicht nur zu einer Straße voller Hinweisschilder, auf der man ständig anhalten muss und nicht vom Fleck kommt. Er setzt sich auch ohne Not dem Verdacht aus, Dinge nicht ernst zu meinen oder, mindestens genauso ungünstig, kein besseres Wort für das Gemeinte zu finden. Beides kann in der Unternehmenskommunikation mächtig nach hinten losgehen.

Offen bleibt nur noch die Frage, warum EINSTEIGEN auf dem Hochglanz-Flyer keine Anführungszeichen bekommen hat. Ob das am Ende wirklich ernst gemeint war?

 

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