Eigentlich stehen die Türen der Deutschen Journalistenschule (DJS) in München für Bewerberinnen und Bewerber mit verschiedensten Vorkenntnissen offen. Weder ein Hochschulabschluss noch das Abitur oder ein bestimmter Notenschnitt sind zwingende Voraussetzung, um in eine der Lehrredaktionen aufgenommen zu werden. Vielmehr qualifizieren auch eine abgeschlossene Lehre oder ein Fachschulstudium zur Aufnahmeprüfung. So beschlossen es die Gründer der ersten Journalistenschule Deutschlands vor 70 Jahren auch mit Blick auf die zerrissenen Biografien der Kriegsgeneration.
Formal ist das System also durchlässig geblieben, genauso wie die Berufsbezeichnung Journalist durch keinen Meisterbrief geschützt ist. Und doch sehen zu wenig junge Leute mit ungewöhnlichen Biografien darin eine Chance.
Das ist nicht nur an der DJS so. Das in Oxford angesiedelte Reuters Institute for the Study of Journalism und die Universität Mainz haben diesen Sommer eine Studie über die mangelnde Diversität im Journalismus vorgelegt. Die Wissenschaftler haben dafür Chefredakteure und Ausbildungsleiter interviewt. Ergebnis: In den Journalismus streben heute überwiegend junge Großstädter mit bildungsbürgerlichem Hintergrund. In den Redaktionen fehlen entsprechend Journalistinnen und Journalisten mit besonderem Gespür für die Anliegen jener Zielgruppen, die von den klassischen Medien nicht ausreichend erreicht werden.
Warum das so ist, dazu haben die Forscher eine ganze Reihe von Thesen zusammengetragen, wie die mangelnde Attraktivität des Berufs, ein stressiger Alltag, mittelmäßige Bezahlung und unsichere Zukunftsperspektiven. Einwandererfamilien, heißt es zum Beispiel in der Studie, wünschen sich, dass ihre Kinder nicht Journalisten, sondern Ärzte, Lehrer oder Ingenieure werden. Technikaffine junge Menschen wiederum streben in die Bällebad-Atmosphäre der Tech-Konzerne, wo sich zudem gut verdienen lässt. Moderne journalistische Vorbilder fehlen. Während sich schlechte Nachrichten über die Branche nachhaltig verbreiten, erreichen Erfolgsstorys höchstens die eigene Blase.
Schadet Homogenität der Qualität?
Am schwierigsten zu belegen, aber zugleich am schwersten wiegt der Zusammenhang zwischen dem aktuellen Glaubwürdigkeitsverlust des Journalismus und der Homogenität des Berufs. Wenn klassische Medien den Eindruck erwecken, dass sie nur die Lebenswelten und Sichtweisen einer privilegierten Schicht abbilden, läuft ihnen das Publikum davon. Wenn aber viele Zielgruppen nur noch in fragmentierten Räumen erreicht werden, verliert die Gesellschaft ihre Diskussionsgrundlage; was für einen die Wahrheit ist, betrachtet der andere als Fake News. Und wer nur Nischenmedien konsumiert, interessiert sich kaum für ein Volontariat bei einer Regionalzeitung – und irgendwann auch nicht mehr für Elite-Institutionen wie die DJS.
Nun mag manch einer sagen, wo liegt denn das Problem? Werden ausgebildete Journalisten überhaupt noch gebraucht in einer Zeit, in der jeder selbst publizieren kann? In der Parteien sogenannte Newsrooms eröffnen und Firmen ihre eigenen Hochglanzmagazine, Video-Storys und Podcasts produzieren? Ist es nicht sogar recht günstig, wenn Botschaften ohne Umwege direkt ans Publikum gebracht werden können? Wenn sich der Kommunikationschef nicht mehr frechen Fragen stellen muss, sondern einfach gute Storyteller und einen Algorithmus braucht, der die richtige Zielgruppe anvisiert?
Solche Zukunftsvisionen decken sich bisher nicht mit der Realität. Ganz im Gegenteil: Qualifizierter Nachwuchs, der hart recherchieren und die Ergebnisse auf vielen Wegen ausspielen kann, von Print bis Social Media, ist derzeit auf dem Arbeitsmarkt sehr gefragt. Wer eine Top-Ausbildung im Journalismus absolviert, schafft den Einstieg in den Beruf vergleichsweise leicht und bekommt Jobangebote von namhaften Redaktionen.
Denn nicht alle, aber viele Zeitungen und Sender haben sich entschlossen, auf die digitale Transformation zu setzen. Sie wollen weiterhin ergebnisoffen berichten und damit ihre zentrale Rolle für die Demokratie erfüllen. Sie wollen Bürgerinnen und Bürger erreichen, informieren, aufrütteln. Sie wollen Fake News und Propaganda wahre Informationen entgegensetzen, auf Facebook, Instagram und Youtube ebenso wie in den eigenen Angeboten in Print, Radio, TV und Online.
DJS-Absolventinnen und Absolventen, die Fakten von Fakes unterscheiden, neue Formate entwickeln und damit ihre Branche voranbringen können, sind daher im Jahr 2019 sehr gefragt. Und wenn sie die Medien mit ihrer ganz eigenen Perspektive bereichern und so unterschiedliche Zielgruppen erreichen können, genießen sie auf dem Arbeitsmarkt einen klaren Wettbewerbsvorteil.
Wer Vielfalt im Journalismus zu fördern sucht, handelt sowohl pragmatisch und marktorientiert als auch vorausschauend. Denn Diversität spielt sich in den verschiedensten Dimensionen ab: Vielfalt der sozialen, kulturellen, nationalen oder regionalen Herkunft; Vielfalt der politischen Einstellungen und persönlichen Lebenserfahrungen; Vielfalt der Hautfarbe und Geschlechteridentität; Vielfalt aber auch in der fachlichen Vorbildung aus Lehre oder Bachelor-Studium.
Die DJS trägt diesem Gedanken Rechnung, zum Beispiel mit von der Klaus-Tschira-Stiftung geförderten Stipendien für Naturwissenschaftler, Mathematiker, Informatiker und Techniker. Konkret heißt das: Der Youtuber Rezo hätte bei uns ein Stipendium bekommen. Als Ausnahmetalent hätte er die Aufnahmeprüfung sicher geschafft.
PR-Abteilungen profitieren von Journalistenausbildung
Für Unternehmen und Organisationen ist es ein Glücksfall, dass die Glaubwürdigkeitskrise des Journalismus sowohl Medienhäuser als auch Journalistenschulen unter Druck setzt, für mehr Vielfalt zu sorgen. Denn auch Pressestellen brauchen kritische Denkerinnen und Denker, die sich nicht mit hohlen Phrasen abspeisen lassen. Die fesselnd erzählen können. Die verstehen, wie das Publikum tickt.
Nicht von ungefähr haben viele der besten Sprecherinnen und Sprecher ursprünglich an einer Journalistenschule gelernt oder ein Volontariat in einem Medienhaus absolviert. Und auch Kommunikationsabteilungen müssen diverser werden, bei Verbänden ebenso wie bei Gewerkschaften, bei Universitäten wie Stiftungen, bei Großkonzernen wie mittelständischen Betrieben.
Allein durch Zuschauen wird das allerdings nicht gelingen. In den Qualitätsjournalismus zu investieren, zum Beispiel durch die Förderung von Ausbildungsplätzen oder durch Stipendien, ist daher nicht nur für die Medien selbst zwingend, sondern auch systemkritisch für alle Stakeholder der Demokratie.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe ZEIT. Das Heft können Sie hier bestellen.