Keine Märchen

PR und die Wahrheit

Vier Pressesprecherinnen und Pressesprecher waren für Donald Trump in dessen Amtszeit als US-Präsident tätig: Sean Spicer, Sarah Huckabee Sanders, Stephanie Ann Grisham und Kayleigh McEnany. Dazu Kommunikationsdirektorinnen und -direktoren wie Hope Hicks und Anthony Scaramucci. Als Verfechter der Wahrheit werden die Genannten nicht in die Geschichte eingehen. Trump hatte Fake News und die Beschimpfung von Medien zum festen Bestandteil seiner Kommunikationsstrategie gemacht.

Jeder aus Trumps Kommunikationsstab wusste, dass das systematische Verbreiten von Unwahrheiten Teil des Jobs sein würde. Warum nimmt man so eine Stelle an? Vermutlich teilten einige der genannten Trumps Grundüberzeugungen. Die Aussicht, Karriere zu machen, dürfte ebenfalls ein Motivationsfaktor gewesen sein. Ehemalige Mitarbeitende aus dem Weißen Haus finden aufgrund ihrer Kontakte meist gut bezahlte Jobs. Vielleicht hatten einige auch die naive Hoffnung, Trump kontrollieren und seine Öffentlichkeitsarbeit beeinflussen zu können. Ohne Frage ist Kommunikation für einen US-Präsidenten spannend und herausfordernd.

Das amerikanische Wirtschaftsmagazin „Forbes“ hat kurz vor Joe Bidens Amtsübernahme klargestellt, dass es denjenigen auch in Zukunft nicht glauben wird, die dazu beigetragen haben, Trumps Lügen zu verbreiten. Der Artikel liest sich wie eine Warnung an „Corporate America“: „Hire any of Trump’s fellow fabulists above (gemeint sind die am Textanfang genannten), and ‚Forbes’ will assume that everything your company or firm talks about is a lie.“

Was „Forbes“ schreibt, sollte für Medien eine Selbstverständlichkeit sein. Dass sie alle Informationen, die sie von PR-Seite bekommen, kritisch hinterfragen und hinsichtlich ihres Wahrheitsgehalts prüfen. In der Realität muss oft ein flüchtiger Blick reichen. Es gibt zwischen Journalist*innen und Kommunikationsverantwortlichen unterschiedliche Formen von Beziehungen. Man kennt sich häufig gut und lange. Manchmal hat man bei demselben Medium gearbeitet. Gute Kommunikatorinnen und Kommunikatoren sind bestrebt, sich bei Journalisten einen Vertrauensvorschuss zu erarbeiten. Die Redaktionen sollen sich darauf verlassen können, dass die von einem Unternehmen, Verband, einer Behörde, Partei oder einer NGO bereitgestellten Informationen korrekt sind. Wer regelmäßig Märchen erzählt oder irrelevantes Zeug anbietet, findet bei Medien kaum ein offenes Ohr.

Positive Botschaften versus Lügen

„PR- und Kommunikationsfachleute verbreiten keine falschen und irreführenden Informationen“, heißt es im für die Kommunikationsbranche relevanten Kommunikationskodex. Im normalen Alltagsgeschäft lassen sich diese Grundsätze für die meisten problemlos einhalten, weil Medien Sachfragen haben oder sie Statements oder eine persönliche Einschätzung wollen. Hier lassen sich positive PR-Botschaften unterbringen. Auch Spin. Die Notwendigkeit, die Unwahrheit zu verbreiten, ist selten gegeben. Bei schriftlichen Anfragen lässt sich wunderbar im Ungefähren formulieren. Medien mögen zwar keinen Marketingslang, nehmen diesen aber meist schon aus Bequemlichkeit widerspruchslos hin.

Schwieriger wird es für Kommunikationsverantwortliche mit Wahrheit und Faktentreue bei Anfragen von Investigativ-Medien. Wenn Journalist* innen kritische Fragen zu einem möglichen Fehlverhalten von Unternehmen oder politischen Akteuren stellen. Leichen im Keller gibt es überall. Unternehmen verbrauchen Ressourcen. Es treten Umweltschäden auf. Firmen sind in Ländern tätig, in denen Menschenrechte wenig zählen. Sie behandeln ihre Mitarbeitenden schlecht, betreiben Abzocke oder bieten einen miesen Service. Man muss nur lange genug graben oder als Journalist eine Agenda verfolgen, es findet sich was. Kommunikator*innen kennen mögliche Angriffsflächen bei ihren Arbeitgebern.

Bei strafrechtlich relevanten Themen wie dem Abgasskandal oder wie bei Wirecard wurde von Unternehmen gelogen. Für Kommunikationsverantwortliche sind das schwierige Situationen. In der Regel ist ihr Handeln nicht verantwortlich für den Skandal. Sie sollen die Verfehlungen anderer nach außen schadensmindernd verkaufen. Storys zu „killen“ und kleinzuhalten gilt als gute Krisenkommunikation. Mögen PR-Ratgeber noch so häufig schreiben, dass die Salamitaktik falsch ist, angewendet wird sie oft. Es wird nur das zugegeben, was man zugeben muss.

Kommunikationsabteilungen werfen Nebelkerzen. Sie bestätigen Journalisten einen Teil der Vorwürfe, während sie zu anderen schweigen. Sie versuchen, von der Story abzulenken. Man behilft sich mit Phrasen oder spielt auf Zeit, in der Hoffnung, ein Thema werde von alleine wieder verschwinden oder andere Akteure würden in den Fokus rücken. Lügen ist das nicht.

Kommunikationsverantwortliche wissen auch, wie es sich vermeiden lässt, dass sie in die Bredouille geraten, öffentlich lügen zu müssen. Schriftliche Statements und Wortlautinterviews, die in Deutschland stets autorisiert werden, sind ein Weg. Wie auch Pressegespräche unter drei, aus denen nicht zitiert werden darf. Pressekonferenzen, auf denen keine Nachfragen erlaubt sind, sind bei Medien unbeliebt, aber legitim. Sich nicht vor TV-Kameras zu stellen, ist ebenfalls eine Strategie, um eine direkte Konfrontation mit kritischen Fragen zu vermeiden. „Kein Kommentar“ ist sowieso immer eine Option.

Wie aber steht es mit Lügen? Wie soll man reagieren, wenn Vorstand oder Geschäftsleitung von einem verlangen, bewusst die Unwahrheit zu verbreiten? Klar ist, dass die Unternehmenskultur gestört ist, wenn das Management das Verbreiten von Lügen für eine Aufgabe der Kommunikationsabteilung hält. Die dort Beschäftigten stehen in einem Abhängigkeitsverhältnis und haben Sorgen vor Arbeitsplatzverlust wie jeder andere auch. Klar ist ebenfalls, dass man als Pressesprechender den eigenen Job riskiert, wenn man sich weigert, etwas an die Öffentlichkeit zu geben, obwohl die Chefetage es verlangt. Die Vertrauensbasis ist dann gestört. Das Ergebnis: Kündigung.

Die „Forbes“-Geschichte verdeutlicht, dass es für Kommunikationsverantwortliche Sinn macht, die eigenen moralischen Grenzen lieber etwas enger zu definieren und selbst die Reißleine zu ziehen, bevor man sich in einem Lügengeflecht verstrickt. Man rettet so den eigenen guten Ruf, kann auch künftig vertrauensvoll mit Journalisten zusammenarbeiten und hat sich für Folgejobs vielleicht sogar attraktiver gemacht. Man kann von sich behaupten, moralisch korrekt gehandelt zu haben. Dazu sollte man stehen. Möglicherweise bewahrt man sich sogar vor staatsanwaltlichen Ermittlungen, wenn man öffentliche Lügen vermeidet. Vorgänge rund um die Kommunikation werden bei Skandalen oft durchleuchtet.

Keine Märchen! Das sollte nicht nur ein Grundsätz für Journalismus sein. Es muss auch für PR gelten.

Der Kommentar ist in der Print-Ausgabe 1/2021 des “pressesprecher” erschienen. Einen Überblick über alle Inhalte gibt es hier

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe DIGITAL FIRST. Das Heft können Sie hier bestellen.

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