PR als Lebensversicherung

Wenn sie tätig werden, geht es nicht um technische Innovationen, neue Märkte oder bessere Verkaufszahlen – sondern um Leben und Tod. Christiane Maack und Christian Hanne, Geschäftsführer der Agentur „Hanne + Maack Kommunikation“, arbeiten im Bereich Menschenrechte. Im Interview sprechen sie über erlösende Anrufe, gesprengte Feiertage und ihren prominentesten Kunden Michail Chodorkowski.

Frau Maack, Herr Hanne, laut Selbstbild betreiben Sie „ein Übersetzungsbüro“ gepaart mit einer „Partnervermittlung“. Wie passt das zusammen?

Hanne: Unsere häufigste Aufgabe ist es, wie Übersetzer unseren Kunden zu erklären, wie Politiker denken und wie man Inhalte für NGOs, Menschenrechtsgruppen oder Medien aufbereiten muss, damit sie ihre Botschaft möglichst passgenau entwickeln können. Unser Ziel ist es, beide Seiten zusammenzubringen.

Sie haben sich auf soziale Themen spezialisiert, sind aber mit dem Portfolio breit aufgestellt. Wie hat sich das entwickelt?

Hanne: Bei unserem früheren Arbeitgeber, bei dem wir uns vor neun Jahren kennen gelernt haben, wurden Kunden nach Kapazität verteilt. So wird man wie ein Journalist zum Generalisten, der sich schnell in neue Themen einarbeitet. Gleichzeitig wird man so aber auch zum Experten für das PR-Instrumentarium und das Aufbereiten schwieriger Themen für die Medien.

Die Kommunikation im Bereich Menschenrechte bedarf viel Fingerspitzengefühl. Wie planen Sie das Agenda-Setting?

Maack: Das ist erst einmal wie bei allen Kommunikationsprojekten auch: Man plant für einen Zeitraum – meistens ein Jahr – alle Aktivitäten, die man zur Erreichung eines Ziels benötigt. Wenn wir aktiv unsere Agenda bespielen, machen wir das zum Beispiel mit eigenen Veranstaltungen wie Buchvorstellungen oder Solidaritätskonzerten.

Hanne: Gleichzeitig nutzen wir das Umfeld von externen Anlässen im politischen Bereich oder große Sport-Events. Oder wir reagieren auf Statements von Politkern und NGOs und stellen die eigene Position dar. Das ist dann aber nicht immer planbar.

Und wie baut man seinen Unterstützerkreis auf?

Maack: PR für Menschenrechte besteht zum Großteil aus persönlichen Kontakten. Commitment und Haltung sind viel wichtiger als bei klassischer Produkt-PR. Im Vergleich zu früher sind wir viel öfter unterwegs und erweitern unser Netzwerk bei Mittagessen, Abendveranstaltungen und am Wochenende.

Wie wichtig ist das Monitoring bei der Kampagnenentwicklung?

Maack: Das ist sehr wichtig. Den Kunden zu googeln reicht dabei nicht aus. Wir arbeiten täglich mit einem online-basierten Pressemonitoring-Dienst und werten hinterlegte Suchabfragen aus. Zudem abonnieren wir Posts und Tweets relevanter Politiker, Gruppen, Blogger und Aktivisten, die zum Teil mehrfach täglich veröffentlichen – das wollen wir nicht erst am Folgetag in der Zeitung lesen.

Für einige Ihrer Kunden geht es nicht um Umsatzzahlen sondern im Extremfall um Leben und Tod. Was für eine Haltung bedingt diese Aufgabe?

Maack (lacht). Man muss mit wenig Schlaf auskommen.

Hanne: Ich glaube, dass man immer hinter den Kunden stehen sollte, die man vertritt. Aber natürlich ist die Identifikation mit Personen größer als mit Unternehmen, weil es nicht um Produkte geht. Man kümmert sich im Bereich Menschenrechte um einzelne Schicksale ­ und das hört nicht mit dem Feierabend und am Wochenende auf. Das muss man wollen und aushalten können.

 

Christiane Maack (r.) (c) Helios Media/Laurin Schmid

Christian Hanne und Christiane Maack (c) Laurin Schmid, Helios Media

 

Sie sprechen schon seit vielen Jahren für Michail Chodorkowski. Der ehemalige Oligarch galt als „Putins persönlicher Gefangener“ und kam im Dezember 2013 nach zehn Jahren Haft frei. Wie kam es zu dem Auftrag?

Hanne: Wir haben ihn lange bei unserem früheren Arbeitgeber, einer internationalen Kommunikationsagentur, begleitet. Und als er eine andere Agentur suchte, haben wir uns selbstständig gemacht, um weiter an seiner Seite zu sein.

Sie waren Chodorkowski bis dahin nie persönlich begegnet. Wie bauten Sie eine emotionale Bindung zu ihm auf?

Maack: Das war nicht schwer: Wir haben über die Jahre seine Eltern, seinen Sohn sowie Weggefährten und Freunde aus der Zeit vor seiner Inhaftierung kennengelernt. Sie erinnern uns daran, dass Herr Chodorkowski Ehemann, Sohn und Vater zugleich ist.

Wie war der Moment, als Sie von seiner Freilassung erfuhren?

Maack: Der Anruf kam vier Tage vor Weihnachten, ich saß gerade im Zug nach Hause. Mein erster Gedanke war: Ja nee, klar – das passt. Im Fall Chodorkowski läuft es ja grundsätzlich nicht so wie man erst mal denkt. Die großen Erlebnisse, die dann folgten, habe ich erst eine Woche nach der ersten Pressekonferenz realisiert. Ich hatte keine Zeit zum Nachdenken auf der Metaebene und habe erst an der Reaktion von Kollegen und Freunden bemerkt, dass das wahrscheinlich das bisherige Highlight meiner beruflichen Karriere war.

Hanne: Weil sich nach Chodorkowskis Ausreise erst einmal alles in Berlin abspielte, war es zunächst ziemlich hektisch. Wir hatten keinen extra Notfallplan, wussten aber aufgrund unserer Erfahrung, was zu tun ist. Mit genügend Adrenalin im Blut haben wir dann alles Punkt für Punkt abgearbeitet.

Hier galt also das „Umsatzplus Freiheit“ als größtmögliches Ziel der PR-Kampagne?

Hanne: Genau. Dass Chodorkowski frei kommt, war viele Jahre das Maximalziel – und lange unrealistisch. Wir haben es in kleine Zwischenziele unterteilt, bei denen es darum ging, Aufmerksamkeit auf ihn zu lenken und ihn zu schützen, damit ihm nichts „zustößt“ und es niemand bemerkt. PR war seine Lebensversicherung.

Welche Zwischenziele waren das?

Maack: Wir haben Anlässe seines Lebens genutzt wie zum Beispiel die beiden Prozesse, Geburtstage, Jahrestage der Verhaftung, Briefinterviews mit Unterstützern oder die Veröffentlichung der Bücher und Kolumnen, die er in Haft geschrieben hatte.

Wenn es diplomatisch um so etwas Heikles geht wie ein Menschenleben – wie offen sichtbar muss oder kann eine Agentur agieren?

Hanne: Transparenz und Offenheit sind wichtig – gerade im Umgang mit Politikern, NGOs und Unterstützern. Da ist Vertrauen die Währung. Aber oft entwickeln Kampagnen auch eine Eigendynamik, wenn sich zum Beispiel deutsche Olympia-Sportler in Sotschi zu Menschenrechtsfragen äußern, weil sie es persönlich für opportun halten. So etwas steuert dann keine Agentur.

Maack: Rund um Chodorkowski gab es am Ende auch ein Buch mit einem skurrilen Befreiungs-Plot, ein Theaterstück in London und einen Dokumentarfilm, der 2011 die Berlinale eröffnete. Das geschah aber nicht, weil eine Agentur involviert war – sondern weil das Thema spannend ist.

Ist der unsichtbare Sprecher der beste?

Hanne: Der Sprecher oder die Agentur ist niemals wichtiger als der Kunde. Aber es geht immer um eine transparente Durchführung, damit erkennbar ist, wenn eine Agentur involviert ist.

Anders als von vielen erwartet, schweigt Michail Chodorkowski seit seiner Berliner Pressekonferenz direkt nach seiner Freilassung. Wenn das größtmögliche Ziel für einen Kunden erreicht ist – was kommt danach: Brauchen Sie einen neuen Protagonisten oder ein neues Ziel?

Maack: Herr Chodorkowski ist in der Findungsphase. Wir stehen ihm da beratend zur Seite. Aber es wird sicher dauern, bis er seine Ziele öffentlich kommunizieren wird. Natürlich ist die Ungeduld bei den Journalisten groß.

Hanne: Nach zehn Jahren Haft ist er jetzt in der Schweiz, wo seine Söhne auf ein Internat gehen und genießt die alltäglichen Dinge des Lebens wie Einkaufen mit seiner Familie.

Chodorkowski taugt mit seinem wechselvollen Lebenslauf als ehemaliger Oligarch nicht gerade als heiliger Protagonist.

Hanne: Das Bild jedes Protagonisten ist immer geprägt durch den Betrachter und seine Perspektive. Das gilt für Unternehmen genauso, auf die die Erwartungen der Kunden oder Kritikern projiziert werden. Damit müssen wir umgehen.

Spender, Unterstützer, Buchkäufer – wer zahlt eigentlich Ihre Rechnung?

Hanne: Sein Hauptvermögen hat Herr Chodorkowski mit der Zerschlagung seines Unternehmens Jukos verloren. Als er noch in Freiheit war, konnte er aber – mit Wissen des russischen Staats – seine Dividenden ins Ausland transferieren. Von diesem Restvermögen werden die Anwälte und Berater bezahlt.

Hatten Sie jemals persönlich Angst?

Maack: Ich wäre seit der Übernahme des Auftrags privat nicht nach Russland gereist.

Hanne: Ich war zweimal während des Prozesses da. Mich verunsicherte eher, dass ich die Sprache weder sprechen noch lesen kann. Bedroht wurden wir nie.

Welche vergleichbaren anderen Kunden im Bereich Menschenrechte haben Sie?

Hanne: Wir beraten auch einen Regisseur aus Kasachstan, der 2012 verhaftet wurde, als er über die Streiks der Ölarbeiter berichten wollte, die von der Regierung gewaltsam unterdrückt wurden.

Maack: Er war solidarisch mit den Arbeitern, wurde inhaftiert und erst nach einigen Wochen – vor allem auf Druck aus Deutschland – wieder freigelassen. Das Interesse an dem Fall war aber natürlich nicht so groß wie bei Chodorkowski, auch weil das deutsch-kasachische Verhältnis politisch gesehen von geringerer Bedeutung ist als das deutsch-russische.

Um in diplomatisch sensiblen Fällen kommunizieren zu können, entwickelt sich das Handwerkszeug konstant weiter. Welchen Medientrend finden Sie spannend?

Maack: Durch die digitale Vernetzung, die höhere Taktzahl und dauernde Erreichbarkeit gibt es keinen Feierabend und – abgesehen von Printmedien – keinen Redaktionsschluss mehr.

Hanne: Social Media sind weiter auf dem Vormarsch. Viele Journalisten recherchieren nicht nur darin, sondern haben selbst Facebook- und Twitter-Accounts, sind mit Lesern, Politikern, Aktivisten und NGOs im direkten Kontakt.

Welche Gemeinsamkeiten zur Produkt-PR sehen Sie?

Hanne: In beiden Bereichen bedient man sich des gleichen Handwerkszeugs und ist den Logiken und Nachrichtenwerten der Medien unterworfen.

 

Christian Hanne und Christiane Maack (c) Helios Media/Laurin Schmid

Christian Hanne und Christiane Maack (c) Laurin Schmid, Helios Media

 

Was ist Ihr nächstes Projekt?

Maack: Wir verstehen uns als Handwerker und möchten unser Wissen weitervermitteln. Zurzeit entwickeln wir ein Seminarkonzept zum Thema „Politische Kommunikation für Anfänger“.

Machen Sie sich damit nicht selbst überflüssig?

Maack: Nein, schließlich sind Agenturen auch dafür da, mangelnde Kapazitäten beim Kunden auszugleichen. Nur weil ich weiß, wie ich ein Stakeholder-Mapping erstelle, habe ich ja noch lange nicht die Zeit dazu.

Hanne: Wir wollen Kunden befähigen, manches selbst tun zu können. Und wecken vielmehr Verständnis für das Thema Politische Kommunikation und decken Bedürfnisse auf. Der strategische Blick der Agenturen von außen wird immer gefragt sein.

Haben Sie einen Wunschkunden?

Maack: Mein Wunschkunde hat immerhin schon einen deutschen Anwalt: Edward Snowden.

 

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Der gute Ruf. Das Heft können Sie hier bestellen.

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