Plastikverzicht bietet auch PR-Potential

Umwelt-PR

Im Jahr 2050 könnte in den Meeren die Menge an Plastik die Menge der Fische übersteigen. Zu diesem alarmierenden Ergebnis kommen Forscher der Ellen MacArthur Foundation in einer Studie, die das Weltwirtschaftsforum beauftragt hatte. Neben größeren Plastikteilen, die zum Tod vieler Meeresbewohner führen, ist vor allem das sogenannte Mikroplastik ein großes Problem. Diese kleinsten Partikel finden sich mittlerweile sogar im menschlichen Blutkreislauf wieder.

Das liegt daran, dass Plastik quasi unzerstörbar ist. Laut Umweltbundesamt kann die Zersetzungszeit von Kunststoffen bis zu 450 Jahre betragen – wobei selbst dann nicht von einem vollständigen Abbau gesprochen werden kann. Eine konsequente Plastik- Vermeidung, wo immer es geht, wäre die einzige Möglichkeit, eine Welt zu verhindern, die langsam, aber sicher im Plastikmüll versinkt.

Selbst in Deutschland, das in Sachen Recycling weltweit als ein Vorbild gilt, lag die Plastikmüllproduktion im Jahr 2015 bei stolzen 37 Kilogramm pro Kopf. Das sind rund sechs Kilogramm über dem EU-Durchschnitt, wie aus einer Studie des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft hervorgeht – Tendenz steigend.

Angesichts dieser brisanten Situation würde folgende Schlagzeile wohl für großes mediales Aufsehen sorgen: „Einer der größten deutschen Lebensmittel-Discounter verzichtet ab sofort komplett auf Plastikverpackungen“. Die Pressesprecher des Konzerns könnten sich vor Journalistenanfragen vermutlich kaum noch retten, ein Image als „Umwelt-Pionier“ wäre leicht kreiert. PR-technisch wäre ein Verzicht auf Plastikverpackungen also gewissermaßen ratsam. Und dennoch scheint sich bislang keine der großen Lebensmittelketten hervortun zu wollen. Woran liegt das?

Einige kleinere Supermärkte haben den „Less Waste“- Zeitgeist bereits erkannt und sich von vornherein auf ein verpackungsfreies Sortiment ausgerichtet – darunter „Original unverpackt“ in Berlin oder der „Ohne“- Supermarkt in München. Ihr Ziel besteht darin, gar keinen Plastikverpackungsmüll mehr zu produzieren. Ihre Kunden bringen eigene Behältnisse mit, in denen sie die unverpackt angebotene Ware nach Hause transportieren.

Rewes Einsparung: 140 Millionen Plastiktüten weniger pro Jahr

Eine derartige Komplettumstellung auch von den großen Discountern zu erwarten, wäre angesichts des globalen Plastikproblems zwar wünschenswert. In der Praxis lassen sich bisher allerdings eher bescheidene Schritte beobachten.

Noch am ehesten ist ein glaubhafter Wille zur Veränderung bei der Rewe Group zu erkennen. Die Supermarktkette verzichtet seit Sommer 2016 vollständig auf Plastiktüten und bietet stattdessen Stoffbeutel, Nylontaschen, Papiertüten und Kartonträger an. Konzernchef Lionel Souque spricht von einem „logischen und konsequenten Schritt“ in der Nachhaltigkeitsstrategie. Er beziffert die Ersparnis auf rund 140 Millionen Plastiktüten jährlich.

Auf der Homepage des Unternehmens werden weitere Schritte zur Reduktion von Plastikmüll vorgestellt. Dort liest man beispielsweise: „Schon jetzt bestehen viele der Rewe-Eigenmarken zu 100 Prozent aus wiederverwertetem Plastik, von dem aktuell 20 Prozent aus dem Gelben Sack stammt.“ Zudem ist die Kette Mitglied einer „Recyclat-Initiative“, die sich dafür einsetzt, dass derartige Bemühungen künftig noch weiter ausgeweitet werden.

Doch nicht nur Recycling verbessern helfen will Rewe. Auch sollen einige Plastikverpackungen komplett ersetzt werden. Bei Birnen und Äpfeln setzt die Rewe Group als erster Lebensmittelhändler in Deutschland auf Verpackungen aus Gras. Und durch „natürliches Labeling“– ein Verfahren, bei dem Bio-Süßkartoffeln durch Laseretikettierung gekennzeichnet werden – werden nach eigenen Angaben fünf Tonnen Verpackungsmüll jährlich eingespart.

Ehrgeizige Pläne zur Müllvermeidung

Die Maßnahmen zur Müllvermeidung bescheren Rewe regelmäßig positive Medienberichte. Verantwortung für Umweltschutz und Nachhaltigkeit zu übernehmen, so wird deutlich, ist eben nicht nur gut für die Umwelt, sondern auch für das Image – und damit letztlich für das Geschäft.

„Rewe ist sicher ein Vorreiter und positiv zu beurteilen“, meint Marc Köppen. Als Experte für Müllreduktion unterhält er Innovationsnetzwerke zu den Themen „neue Verpackung“ und „Recycling“ und betreut mehrere Forschungsprojekte, darunter das Forschungsnetzwerk „bio2pack“. Bei vielen Discountern sieht Köppen noch Verbesserungspotenzial. „Die Mehrheit hat zu lange ausschließlich die Preise bei ihren Entscheidungen mit einbezogen“, kritisiert er. Doch allmählich würden sich alle bewegen.

Aldi etwa will ab sofort auf Plastikfolien bei Salatgurken verzichten. Das sei das Ergebnis von Gesprächen von Politik und Handel zur Vermeidung überflüssiger Verpackungen, heißt es in einer Mitteilung. Als weitere Maßnahme zur Reduzierung von Kunststoffmüll teste Aldi in ausgewählten Filialen zudem Mehrwegtaschen für Obst und Gemüse. Auch Lidl kündigte in einer Pressemitteilung an, bis 2025 hundertprozentige Recyclingfähigkeit seiner gesamten Kunststoffverpackungen für Eigenmarken sicherzustellen.

Kunststoffe sind praktisch – trotzdem müssen Alternativen her

Damit tut sich zwar etwas in der Lebensmittelbranche. Doch noch läuft es eher schleppend. Oft wird als Argument angeführt, Plastikverpackungen hätten unschlagbare Vorteile. So erfüllten sie gesetzlich festgelegte Hygiene-Anforderungen, indem sie gefährliche Keime von den Lebensmitteln fernhielten. Zudem schütze Plastik viele Produkte vor vorzeitigem Verderben, da es deren Haltbarkeit verlängere. Häufig hört man auch, Kunststoffverpackungen seien, beispielsweise im Vergleich zu Glas, sehr leicht und reduzierten damit bereits beim Transport von den Produktionsstätten zu den Filialen CO2-Emissionen.

Marc Köppen kann diese Gründe zwar durchaus nachvollziehen, lässt sie aber als „Totschlag-Argumente“ trotzdem nicht gelten: „Die Substitutionspotenziale im Verpackungsbereich – bei denen sofort Plastik durch Papier ersetzbar wäre – liegen aktuell bei circa 20 Prozent der Regalfläche. Wichtig dabei ist es, auf sogenannte Funktionsbarrieren zu achten. Diese Barrieren dienen als Schutz vor Nässe und bringen Eigenschaften wie Aromaschutz et cetera mit sich.“

Das sei beispielsweise möglich durch Naturstoffe wie etwa Zucker, Stärke, Mineralien oder Proteine. Köppen: „Präpariert man Papier entsprechend, ist es gerade im Lebensmittelbereich eine gute und umweltschonende Alternative zu Plastik. Daneben gibt es aber noch viele weitere spannende Ansätze.“

Warum sich trotz vorhandener Optionen kaum etwas tut im Regal, dafür macht Köppen auch gezielte Lobbyarbeit verantwortlich: „Die Chemie-Lobby unterstellt den Papierlösungen schlechte ökologische Werte. Auch die Plastik-Lobby lässt sich ihre Aufträge nur ungern wegnehmen.“ Als weiteren Grund nennt Köppen: „Zwar bewegen sich manche Lebensmittelketten schon eine Weile und sind prinzipiell auf einem guten Weg. Doch ein niedriger Preis spielt meist noch die Hauptrolle. Da viele Prozesse bei alternativen Verpackungsmaterialien noch nicht vollständig hochindustrialisiert wurden, müssen deswegen wohl noch einige Rationalisierungsrunden gefahren werden, um die neuen Materialien in einer Kostenstruktur anbieten zu können, wie sie beim Plastik bereits gegeben ist.“

Ein Vorbild aus Neuseeland

An Innovationen mangelt es also keineswegs. Eher an der Bereitschaft, entsprechende Budgets zu investieren. Doch diese Taktik wirkt kurzsichtig. Vielmehr scheint es, als könnten sich bei einer Umstellung auf umweltfreundlichere Verpackungsmaterialien höhere Kosten rasch wieder amortisieren.

Ein Beispiel, wo die öffentliche Positionierung als „Umwelt-Pionier“ für steigende Umsatzzahlen gesorgt hat, ist die neuseeländische Supermarktkette New World. Sie hat in ihren Filialen die Verwendung von Plastikverpackungen für ihr gesamtes Obst- und Gemüsesortiment eingestellt. In der Folge erzielte New World bei einigen Gemüsesorten eine Verkaufssteigerung um 300 Prozent.

Derartige Effekte wären wohl auch für den deutschen Markt zu erwarten. Das legt zumindest eine Studie des Meinungsforschungsinstituts Kantar TNS nahe: Laut einer repräsentativen Umfrage waren 92 Prozent der Befragten der Meinung, dass Produkte und Verpackungen zu viel Plastik enthalten würden. Jeder Dritte würde für Produkte ohne Kunststoffverpackung sogar einen höheren Preis bezahlen.

Viele Verbraucher würden höhere Kosten also mittragen. Die Chancen stünden damit gut, dass höhere Ausgaben im Sinne des Umweltschutzes finanziell nicht zum Nachteil würden. Klar ist: Reduktion von Plastikmüll birgt für Unternehmen viele strukturelle Herausforderungen. Doch in Sachen PR steckt darin sehr viel (bislang) ungenutztes Potenzial.

 

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe VERANTWORTUNG. Das Heft können Sie hier bestellen.

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