No pain, no gain

Herr Palm, als einziger Deutscher und zweitältester Teilnehmer haben Sie im August den Badwater Ultramarathon in der Mojave-Wüste beendet. Warum laufen Sie bei 50 Grad Celsius Außentemperatur freiwillig 40 Stunden durch die Wüste?
Mit der Teilnahme am Badwater Ultramarathon habe ich mir einen großen Traum erfüllt. Ich bin schon viele Marathons und Ultramarathons gelaufen, aber der Badwater ist etwas ganz besonderes. Allein für diesen Wettkampf habe ich angefangen Ultradistanzen, also alles über die Marathonlänge von 42,192 Kilometern hinaus, zu laufen. Es war ein großartiges Erlebnis. Nächstes Jahr will ich unbedingt wieder hin.

Was fasziniert Sie so an diesem Wettkampf?
Die Strecke ist eine Herausforderung, aber sie liegt mir einfach. Zudem kann man beim Laufen wunderbar den Kopf ausschalten und einfach die Natur genießen. Ich bin ein großer Hitze- und Death-Valley-Fan. In den vergangenen 14 Jahren habe ich dort sieben Mal Urlaub gemacht und wusste, worauf ich mich einlasse.
 

Aber konnten Sie die Strecke wirklich genießen?
Ich habe die ersten 70 Kilometer richtig genossen. Zu Beginn läuft man auch noch in der Gruppe. Ultraläufer laufen mehr miteinander als gegeneinander, es ist eine andere Dynamik als auf den Kurzstrecken wie beispielsweise dem Marathon. Man kennt sich persönlich, spricht sogar von der „Badwater- Familie“ und jeder Läufer wird von jeder Begleitmannschaft angefeuert. Es ist eine große Party.
 

Unser Titelthema ist „Change“. Die Fachliteratur rät den Kommunikatoren dazu oft, auch kleine Erfolge beziehungsweise das Erreichen von Etappenzielen in Veränderungsprojekten zu kommunizieren. Hilft dieser „Trick“ auch Ihnen beim Laufen?
Selbstverständlich. Ultraläufe kann man mental nicht anders bewältigen. Mit dem Erreichen jedes einzelnen Etappenziels motiviert man sich und gegebenenfalls seine Mannschaft zum Weitermachen. Hätte ich beim Badwater-Lauf von der Startlinie an nur daran gedacht, dass in den kommenden 40 Stunden 217 Kilometer und 4.300 Höhenmeter vor mir liegen, hätte ich nicht starten brauchen. Die Aufgabe wäre im Kopf zu groß gewesen.
 

Welche Etappenziele haben Sie sich denn gesetzt?
Die Autostopps. Ich hatte mit meiner Begleitmannschaft, die aus meiner Frau und zwei Freunden bestand, verabredet, dass sie jede Meile – also ungefähr alle elf bis zwölf Minuten – am Straßenrand auf mich wartet. Sie haben mich dann mit Eiswasser abgekühlt, mir etwas zu essen oder trinken gegeben und kontrolliert, wie es mir geht.
 

Bei den äußeren Bedingungen ist das aber auch notwendig.
Absolut. Ultramarathon ist unter diesen Bedingungen immer eine Mannschaftsleistung. Zwar bekomme nur ich als Läufer im Ziel die Medaille und die begehrte Gürtelschnalle als Trophäe, aber letztendlich hat die Mannschaft es ebenso verdient.
 

Vielleicht lässt sich an dieser Stelle wieder der Vergleich zur Kommunikationsabteilung als „Begleitmannschaft“ in Veränderungsprojekten ziehen. Welche Bedeutung hatte Ihre Mannschaft für Sie während des Laufs?
Für mich war es eine großartige Erfahrung, dass mein Team mich zum richtigen Zeitpunkt aufgefangen hat und wieder hat aufrichten können. Bei Ultrarennen verändert sich der Zustand eines Läufers schnell. Gerade noch geht es ihm gut und er läuft „rund“. Wenige Minuten später merkt er nicht mehr, wie es ihm geht und was mit ihm geschieht. Umso wichtiger ist es dann, dass er eine Mannschaft hat, der er absolut vertraut. Sie muss wissen, wie mit dem Läufer in so einer Situation umzugehen ist, welche Informationen er braucht und wann eine klare Ansage nötig ist. Im Idealfall läuft der Läufer nur, alles andere liegt in den Händen der Mannschaft. Das gilt sicher auch für Kommunikationsabteilungen.

Und bei Ihnen hat es gut funktioniert?
Ja, das hat funktioniert. Ich hatte meinen „dunklen Moment“, nicht wie die meisten während der ersten 70 Kilometer durch das Death Valley, sondern erst beim Anstieg zur zweiten Bergkette. Der Punkt, an dem es flacher werden sollte, wollte und wollte nicht kommen. Plötzlich fühlte ich mich schlapp, leer, energielos. Ich ging mehr, als dass ich lief und begann zudem zu rechnen, ob ich noch im vorgeschriebenen Zeitlimit bin. Ein ganz großer Fehler.
Ihre Mannschaft hat dann eingegriffen?
Ich sage immer, meine Frau kann mich lesen. Sie war bei genügend Läufen als Begleitung dabei, um zu wissen, was ich brauche. Von ihr gab es dann eine klare Ansage: „Setz dich sofort ins Auto, ruhe dich aus und iss etwas. Du bist nicht hierhergekommen, um aufzuhören, sondern um anzukommen.“

Und das hat geholfen?
Es waren die Reaktion und die Worte, die für mich persönlich richtig waren, die ich gebraucht habe. Durch das dritte Tal bin ich wieder durchgelaufen und hatte beim finalen Anstieg wieder richtig Spaß am Rennen.

Veränderungsprozesse in Organisationen scheitern oft an Mitarbeitern, die sich innerlich gegen die Veränderungen sperren oder Ängste haben. Sie haben bereits angesprochen, dass sich auch der Zustand eines Läufers in Ultrarennen schnell ändern kann. Haben Sie davor Angst?
Angst habe ich nicht. Ich bin nicht der Typ, der sich schnell unter Stress setzen oder Angst machen lässt. Ich gehe es lieber ruhig und gut vorbereitet an. Denn selbstverständlich muss man für ein Rennen wie den Badwater die läuferischen Bedingungen bereits mitbringen. Jeder Teilnehmer muss mindestens drei 100-Meilen-Rennen erfolgreich gelaufen sein. Die Veranstalter lassen nur erfahrene Ultraläufer starten. Aber der mentale Aspekt spielt immer eine wesentliche Rolle – sowohl in der Vorbereitung als auch während des Laufs. In der Ultraszene heißt es „no pain, no gain“ und beim Badwater läuft man durchaus auch einmal zehn Stunden mit Schmerzen. Da muss man die mentale Stärke haben, um durchzuhalten.

Und wie trainiert man diese mentale Stärke?
Vieles ist Erfahrung. Im Training versuche ich immer an den Punkt zu gehen, an dem es weh tut, und dann noch ein Stück darüber hinaus. So bekomme ich ein Gefühl für meinen Körper und weiß, wie er reagiert. Aus verschiedenen, erfolgreich absolvierten Läufen holt man sich das nötige Selbstvertrauen. Besonders wichtig: Information, Information, Information. Man muss wissen, worauf man sich vorzubereiten hat: Wie verläuft das Streckenprofil, wo lauern mögliche Gefahren, wo liegen Möglichkeiten – das ist doch bestimmt auch auf Ihre Kommunikationsabteilungen bei Veränderungen übertragbar, oder?

Stimmt. Zum Abschluss muss ich Sie jetzt aber doch noch auf Ihr Alter ansprechen. Sie sind jetzt 64 Jahre alt, im Juli den Badwater gelaufen und Anfang September Deutscher Vizemeister Ihrer Altersklasse im 24-Stunden-Lauf geworden – wie lange wollen Sie eigentlich noch so weiterlaufen?
Eingangs hatte ich ja schon erwähnt, dass ich auch im kommenden Jahr noch einmal den Badwater mitnehmen möchte. Darüber hinaus gibt es noch den ein oder anderen Wüstenlauf, der mich reizen würde. Aber die liegen leider in den Monaten, die nicht heiß genug für mich sind. Mit der „Tortour de Ruhr“ habe ich auch noch eine Rechnung offen und am Berliner Mauerweglauf möchte ich so lange teilnehmen, bis ich den „Legend-Status“ erreicht habe. Sie merken, von Kürzertreten kann noch keine Rede sein – solange ich gesund bleibe.

Zur Person

 

Hajo Palm, Jahrgang 1949, läuft seit acht Jahren Ultramarathon. Als einziger Deutscher und zweitältester Teilnehmer beendete er den diesjährigen Badwater Ultramarathon in den USA. 2013 läuft er zehn Ultraläufe und ist zudem Deutscher Vizemeister seiner Altersklasse über 100 Kilometer und mit 171,7 Kilometern im 24-Stunden-Lauf.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Change. Das Heft können Sie hier bestellen.

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