Nach Rezo-Debakel: CDU/CSU planen Digitaloffensive

Politische Kommunikation

Eine Woche nach der enttäuschend ausgegangenen Europawahl läuft in den Unionsparteien die Diskussion über die zukünftige digitale Ausrichtung auf Hochtouren.

Insbesondere die Auswirkungen des Rezo-Videos auf das Wahlverhalten unter jüngeren Leuten und die umstrittenen Aussagen der CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer zu neuen “Regeln” für Online-Meinungsäußerungen im Wahlkampf stehen dabei im Mittelpunkt.

Bei der Wahl am 26. Mai hatten die Grünen bei allen deutschen Wählern bis 60 Jahre die meisten Stimmen geholt; lediglich ältere Wähler hatten der Union noch den Status als stärkste Partei gesichert.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) brachte unter anderem die Liveübertragung von Parteiterminen ins Spiel. Cnetz, ein unionsnaher Verein von Digitalpolitikern und Netzaktivisten, legte ein Konzept vor, mit dem sich die CDU „in Zukunft in ihrer Digital- und Innovationspolitik aufstellen” und eigene Youtube-Influencer aufbauen soll. Der Vorstand der CDU lässt sich auf seiner Klausur in Berlin von bekannten Ex-Journalisten hinsichtlich ihrer Online-Strategie beraten.

Die Diskussion im Überblick.

Söder: Every-Day-Democracy statt Bayernkurier

Bereits einen Tag nach der Europawahl hatte die CSU mitgeteilt, ihre traditionsreiche Parteizeitung Bayernkurier – erstmals erschienen am 3. Juni 1950 – noch im Jahr 2019 einzustellen und stattdessen ihre Ressourcen auf digitale Kanäle der Öffentlichkeitsarbeit zu konzentrieren. Der bayerische Ministerpräsident und Parteivorsitzende Markus Söder legte nun nach.

Social Media sei die schnellste Form der Kommunikation und somit mittlerweile die „fünfte Gewalt“. Es sei zwingend erforderlich, der digitalen Welt mit mehr Respekt zu begegnen, sagte Söder. „Sie ist unsere reale Welt. Man geht nicht ins Internet, sondern man ist immer drin.”

Er könne sich zum Beispiel vorstellen, Parteivorstandssitzungen in Echtzeit zu streamen und die Möglichkeit zum Kommentieren zu geben. „Die Menschen wollen eine Every-Day-Democracy, also jeden Tag mitbestimmen und nicht nur ab und zu an einem Wahltag“, erklärte Söder.

Bayern wolle außerdem einen „Youtube- oder Influencer-Preis“ ausschreiben.

Cnetz: Respekt, Agilität, eigene Influencer

Der unionsnahe Verein Cnetz legte einen Vier-Punkte-Plan vor, auf dessen Grundlage die Parteien ihre Strategie gegenüber digitalen Themen definieren sollten.

Die beiden CDU-Bundestagsabgeordneten Thomas Jarzombek und Jörg Müller-Lietzkow kritisieren darin scharf den Umgang der Unionsparteien mit den Protesten gegen die EU-Urheberrechtsreform. Immer wieder seien hierbei von Parteivertretern Aussagen an die Öffentlichkeit gelangt, „die von offensichtlich mangelnder Sachkenntnis zeugten“, heißt es in dem Papier.

„Noch schlimmer wurde es dadurch, dass Gegner des Vorhabens auch durch die Abgeordneten der CDU aus Brüssel noch verunglimpft wurden.“ Vorwürfe, diese seien Bots oder gekaufte Demonstranten, hätten vor allem viele bis dahin parteipolitisch neutrale junge Menschen verärgert, erklärten die Cnetz-Vertreter.

Außerdem forderten Jarzombek und Müller-Lietzkow in ihrem Konzept (PDF) einen Vorrang neuer, digitaler Geschäftsmodelle gegenüber alten, ein agiles und adaptives Politikverständnis durch „kleine schnelle Schritte“ sowie den Aufbau unionsnaher Influencer etwa bei Youtube, die es ermöglichten, online „auf Augenhöhe zu diskutieren“.

Jessen und Diekmann beraten CDU-Vorstand

Der CDU-Parteivorstand lässt sich in Sachen politischer Online-Kommunikation offenbar von bekannten Ex-Journalisten beraten. Im Rahmen der Vorstandklausur zur Analyse der Europawahl hielt der frühere Online-Chef des stern, Phil Jessen, einen Vortrag zu digitaler Kommunikation. Jessen gehört – neben dem früheren Bild-Chef Kai Diekmann – zur Führungsspitze der Social-Media-Beratung Storymachine.